Sachverständigenrat fordert verpflichtende ePA

pr/pm
Die elektronische Patientenakte (ePA) soll für alle GKV-Mitglieder Pflicht werden, fordert der Sachverständigenrat in seinem neuen Gutachten zur Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, hält es für unabdingbar, dass Gesundheitsdaten nicht in falsche Hände geraten. Aber, so betonte er, die Daten müssten dann auch in die richtigen Kanäle gelangen können.

"Die meisten Daten wandern in die Arme von Datenkraken"

Gerlach bringt das Problem so auf den Punkt: „Die Menschen in Deutschland produzieren jeden Tag Abermillionen Daten, darunter sehr viele, die ihre Gesundheit betreffen. Die meisten dieser Daten wandern in die Arme von Datenkraken außerhalb der EU und werden von diesen für kommerzielle Zwecke, Werbung und Angebote ausgewertet. Wenn es aber darum geht, Gesundheitsdaten hierzulande zum Zwecke besserer Gesundheitsversorgung zu sammeln – zum Beispiel in einer elektronischen Patientenakte –und sie für gezieltere Forschung, Prävention, Diagnostik und Therapie verfügbar zu machen, dann werden Probleme aufgetürmt, die eine sinnvolle Datennutzung fast unmöglich machen. Das ist unverantwortlich. Länder wie Dänemark oder Estland, in denen auch die Datenschutzgrundverordnung gilt, nutzen die Chancen der Digitalisierung sehr viel besser.“

"Überholte Konzepte wie Datensparsamkeit helfen nicht weiter"

Für wichtig hält der Sachverständigenrat es auch, dass verwertbare Daten für Forschung und Versorgung zur Verfügung stehen – nicht nur Abrechnungsdaten, sondern auch Behandlungsdaten.

Der stellvertretende Vorsitzende, Prof. Dr. Wolfgang Greiner, machte das am Beispiel der Pandemie deutlich: „In der Corona-Pandemie hat sich zudem gezeigt, wie wichtig es wäre, Gesundheitsdaten wie eine nachgewiesene Ansteckung mit Bewegungs-und Kontaktdaten verknüpfen zu können, um zu erkennen, welche Situationen wirklich risikoreich im Sinne von Infektionsketten sind. Mit diesem Wissen könnten Maßnahmen zur Eindämmung viel gezielter sein.“ Er ergänzt: „Von der Lebenswirklichkeit längst überholte Konzepte wie Datensparsamkeit helfen nicht weiter.“

"Daten teilen heißt besser heilen!"Empfehlungen zur elektronischen Patientenakte (ePA)

Sehr ausführliche Empfehlungen gibt der Sachverständigenrat zur Ausgestaltung der ePA für gesetzlich Versicherte. Die Kernpunkte:

·         Der Rat empfiehlt die Nutzung einer strukturierten, bedienungsfreundlichen ePA, deren Inhalte nach standardisierten Vorgaben aus der Primärdokumentation befüllt werden. Grundsätzlich sollte – per Opt-out-Verfahren (also Widerspruchsmöglichkeit) – eine ePA für jede Person (mit Geburt oder Zuzug) eingerichtet und damit zugleich der Zugriff auf ePA-Daten – die Einsichtnahme, Speicherung von Informationen und Verarbeitung – durch behandelnde Leistungserbringer ermöglicht werden.

·         Das für die Implementierung in 2021 beziehungsweise ab 2022 vorgesehene mehrfache Opt-in-Verfahren (separat und wiederholt erforderliche Zustimmungen für Einrichtung, Zugriff zur Befüllung beziehungsweise Einsichtnahme sowie für erneute Zugriffe und Nutzung der Daten für Forschungszwecke; Opt-out für einzelne Inhalte) hält der Sachverständigenrat für zu aufwendig. Viel zu groß sei das Risiko, dass eine so grundlegende Leistung der Gesundheitsversorgung mit all ihren Potenzialen und Chancen von zu wenigen genutzt wird. Der Rat zeigt sich überzeugt: Daten teilen heißt besser heilen.

·         In der Kommunikation über Chancen der Verwendung von Gesundheitsdaten sollte der Öffentlichkeit vor allem der individuelle Nutzen einer verbesserten Datengrundlage fundiert und verständlich kommuniziert werden. Wichtig ist dem Sachverständigenrat hier eine adressatengerechte Information der Versicherten.

·         Die Behandlungsdaten, die im Rahmen der solidarisch finanzierter Gesundheitsversorgung erhoben und ohnehin dokumentiert werden, sollten über die ePA pseudonymisiert an eine zentrale „Sammelstelle“ (Forschungsdatenzentrum) weitergeleitet werden, die diese Daten treuhänderisch verwaltet, sichert und für Forschungszwecke zur Verfügung stellt.

Der Sachverständigenrat formuliert in seinem Gutachten eine Vielzahl von Empfehlungen. Hier einige Kernpunkte:

  • Der Rat empfiehlt eine Strategie zur Digitalisierung des Gesundheitswesens. Ziel ist die Ermöglichung eines dynamisch lernenden Gesundheitssystems. Die Debatte zur Digitalisierung in Deutschland sollte laut Sachverständigenrat neu und anders geführt werden als bisher.

  • Die Diskussion in Politik und Gesellschaft, in den Wissenschaften und im Gesundheitssystem sollte alle durch die Digitalisierung des Gesundheitswesens betroffenen Normen in den Blick nehmen und sie in ein ebenso wert- wie praxisorientiertes Verhältnis zueinander bringen.

  • Der Datenschutz sollte im Sinne eines umfassenden Patientenschutzes neu gedacht werden. Er sollte insbesondere mit dem Schutz von Leben und Gesundheit abgewogen und in sinnvollen Einklang gebracht werden. Dieser Verantwortung sollten sich auch die Datenschutzpolitiker in der Gesetzgebung und die Datenschutzbeauftragten in der Umsetzung stellen. Es gilt, Datenschutz im Gesundheitswesen als Teil von Lebens- und Gesundheitsschutz auszugestalten, nicht als deren Gegenteil.

  • Zu einer Digitalisierung, die eine breite Akzeptanz bei Leistungserbringern sowie Patientinnen und Patienten erfährt, gehören laut Gutachten adäquate und transparente Maßnahmen sowie Informationen zur Gewährleistung der Daten- und Informationssicherheit.

Das knapp 400 Seiten umfassende Gutachten wird nun dem Bundestag und Bundesrat zugeleitet und am 17. Juni 2021 im Rahmen eines Symposiums mit der Fachöffentlichkeit diskutiert.

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