Schweres COVID verschlechtert IQ um 10 Punkte
Zwischen einem Drittel und drei Viertel der hospitalisierten Corona-Patienten berichten, dass sie drei bis sechs Monate später immer noch unter kognitiven Symptomen leiden. Etwa eine von sieben befragten Personen klagte einer britischen Studie zufolge 12 Wochen nach einem positiven COVID-19-Test über Symptome wie kognitive Probleme.
Um diesen Zusammenhang genauer zu untersuchen, analysierten die Forscher die Daten von 46 Personen, die stationär oder auf der Intensivstation auf COVID-19 behandelt wurden. Davon wurden 16 Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts mechanisch beatmet. Alle Patienten wurden zwischen März und Juli 2020 aufgenommen.
Die Probanden unterzogen sich im Durchschnitt sechs Monate nach ihrer akuten Erkrankung ausführlichen computergestützten kognitiven Tests, um geistige Fähigkeiten wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und logisches Denken zu messen. Außerdem wurden Skalen zur Messung von Angst, Depression und posttraumatischer Belastungsstörung ausgewertet. Ihre Daten wurden mit denen einer Kontrollgruppe verglichen.
Der kognitive Verlust entspricht einer 20-jährigen Alterung
Im Ergebnis waren Patienten mit schwerem COVID weniger genau und reagierten langsamer als die Kontrollgruppe - diese Defizite waren auch noch bei der Nachuntersuchung sechs Monate später nachweisbar. Am stärksten waren die Folgen bei denen, die mechanisch beatmet werden mussten.
Die Wissenschaftler verglichen daraufhin die Resultate mit den Leistungen von 66.008 gesunden Frauen und Männern aus der Allgemeinbevölkerung. Das Ausmaß des kognitiven Verlusts im Durchschnitt entspricht demnach einer 20-jährigen Alterung, die normalerweise zwischen 50 und 70 Jahren auftritt, schätzen die Forscher. Diese Defizite kommen einem Verlust von 10 IQ-Punkten gleich.
Die Patienten schnitten bei Aufgaben wie dem verbalen Analogieschluss besonders schlecht ab, ein Ergebnis, das das häufig beschriebene Problem der Wortfindungsschwierigkeiten bestätigt. Sie zeigten auch eine langsamere Verarbeitungsgeschwindigkeit, was sich mit früheren Beobachtungen nach COVID-19 deckt, wonach der Glukoseverbrauch im frontoparietalen Netzwerk des Gehirns, das unter anderem für Aufmerksamkeit, komplexes Problemlösen und Arbeitsgedächtnis zuständig ist, abnimmt.
'Fingerabdruck' von COVID-19 unterscheidet sich von anderen neurologischen Erkrankungen
"Kognitive Beeinträchtigungen sind bei einer Vielzahl neurologischer Erkrankungen, einschließlich Demenz, und sogar bei der normalen Alterung zu beobachten, aber die Muster, die wir gesehen haben - der kognitive 'Fingerabdruck' von COVID-19 - sind anders", sagte Studienleiter Prof. David Menon von der Abteilung für Anästhesie an der Universität Cambridge.
Zwar sei inzwischen bekannt, dass Menschen, die sich von einer schweren COVID-19-Erkrankung erholt haben, ein breites Spektrum psychsicher Symptomen aufweisen können - Depressionen, Angstzustände, posttraumatischer Stress, geringe Motivation, Müdigkeit, schlechte Laune und Schlafstörungen -, doch fand das Team heraus, dass der Schweregrad der akuten Erkrankung die kognitiven Defizite besser vorhersagen kann.
Die Ergebnisse und Reaktionszeiten der Patienten begannen sich im Laufe der Zeit zu verbessern, doch trat eine Erholung der kognitiven Fähigkeiten bestenfalls allmählich ein und wurde wahrscheinlich durch eine Reihe von Faktoren beeinflusst, darunter der Schweregrad der Erkrankung und ihre neurologischen oder psychologischen Auswirkungen.
Wahrscheinlich führt eine Kombination von Faktoren zu den kognitiven Defiziten
Menon: "Wir verfolgten einige Patienten bis zu zehn Monate nach ihrer akuten Infektion, so dass wir eine sehr langsame Verbesserung feststellen konnten. Dies war zwar statistisch nicht signifikant, aber es geht zumindest in die richtige Richtung, aber es ist sehr gut möglich, dass sich einige dieser Patienten nie wieder vollständig erholen werden."
Wahrscheinlich führt eine Kombination von Faktoren zu den kognitiven Defiziten, darunter eine unzureichende Sauerstoff- oder Blutversorgung des Gehirns, die Verstopfung großer oder kleiner Blutgefäße durch Gerinnung und mikroskopisch kleine Blutungen. Neue Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass der wichtigste Mechanismus die durch die körpereigene Entzündungsreaktion und das Immunsystem verursachte Schädigung ist.
Hampshire, A et al. Multivariates Profil und Korrelate der akuten Phase kognitiver Defizite in einer COVID-19-Kohorte von Krankenhauspatienten. eClinicalMedicine; 28 Apr 2022; DOI: 10.1016/j.eclinm.2022.101417