"Sie kommen aus Deutschland, um HIER zu arbeiten?"

mg
Praxis
Viele Akademiker haben Griechenland seit Beginn der Krise verlassen. Dr. Maria Papadimitriou ging den entgegengesetzten Weg und eröffnete dort 2014 ihre eigene Zahnarztpraxis. Wie es läuft, erzählt sie hier.

Frau Dr. Papadimitriou, Sie haben im Januar 2014 - und damit gut drei Jahre nach Beginn der Schuldenkrise in Griechenland - in Athen Ihre Zahnarztpraxis gegründet. Wie kam es zu dieser Entscheidung, trotz Krise eine eigene Praxis zu gründen? Hatten Sie nicht Zweifel, ob das wirtschaftlich gut gehen kann?

Maria Papadimitriou:Natürlich hatte ich Zweifel! Aber ich dachte, entweder es klappt, oder es klappt nicht. Mein Mann und ich spielten schon lange mit dem Gedanken, in seine Heimat auszuwandern. Als dann die Krise begann, schoben wir das Ganze immer weiter hinaus, aber wirklich besser wurde es nicht. Schließlich fand mein Mann einen Job in Griechenland und dann überlegten wir nicht mehr lang - jetzt oder nie! 

Eine eigene Praxis wollte ich eigentlich nie haben, aber hier in Griechenland gibt es nur sehr wenig Stellen für angestellte Zahnärzte. Es gibt - man kann es schon als Unternehmen bezeichnen - große Praxen oder Zentren, in denen mehrere Zahnärzte arbeiten. Aber so, wie wir es in Deutschland von den gewöhnlichen Zahnarztpraxen kennen, findet man es hier in Griechenland nicht.

Die meisten Zahnärzte arbeiten komplett privat, da die Krankenkasse die zahnärztliche Versorgung kaum übernehmen. Das bedeutet, das die Patienten die kompletten Arztkosten selbst tragen müssen. Durch die Krise und die damit sinkende Zahlkraft der Patienten mussten die Zahnärzte ihre Preise nun bis zur Untergrenze heruntersetzen. Da bleibt nicht viel übrig. An eine Zahnarzthelferin oder gar angestellte/n Zahnarzt/ärztin ist kaum zu denken. 

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"Moment, Sie wollen eine Zulassung?"

Dann fanden wir ein gutes Angebot im Internet, ich bin nach Griechenland geflogen, um mir die Praxis anzuschauen, und eine Woche später war ich die neue Besitzerin. Ich habe sie von einer Griechin übernommen, die in Schweden studiert hat und kurz darauf dorthin ausgewandert ist.

Ja, ich weiß, die Geschichte hört sich ein wenig verrückt an. Und als wir begannen, alle notwendigen Papiere für meine Zulassung und die der Praxis zu sammeln, wurden wir fast immer zweimal gefragt: "Moment, Sie wollen eine Zulassung? Sie kommen aus Deutschland, um HIER zu arbeiten?" Und gleichzeitig, wenn auch kopfschüttelnd, haben auch manche etwas Hoffnung gesehen, dass nicht alle weggehen, sondern tatsächlich auch Menschen kommen.

Wie liefen die ersten Wochen nach dem Praxisstart?

Die erste Zeit war schwer. Mich kannte noch kein Patient, und es gab einige Tage, an denen ich vergeblich wartete. Das lag aber daran, dass die Patienten einfach auch nicht regelmäßig zum Zahnarzt gehen. Dadurch braucht es einfach viel mehr Zeit, bis sich ein Patientenstamm aufbaut.

Meine Bedenken im Vorfeld, dass aufgrund meiner mangelnden Griechischkenntnisse oder der allgemeinen Tatsache, dass ich Ausländerin und dann auch noch Deutsche bin, die Patienten ausbleiben, wurden gar nicht bestätigt. Im Gegenteil, wie schon in meinen ersten Monaten in Griechenland bewies sich nun wieder, dass die Griechen sehr aufgeschlossene und tolerante Menschen sind. Die Arbeit steht klar im Vordergrund. Und gerade weil sie wissen, dass ich in Deutschland studiert habe, kommen sie zu mir.

###more### ###title### Flicken und improvisieren - für eine ordentliche Versorgung fehlt oft das Geld ###title### ###more###

Flicken und improvisieren - für eine ordentliche Versorgung fehlt oft das Geld

Wie hat sich die Situation seitdem entwickelt?

Meine Kollegen haben mir häufig gesagt: "Du kommst zu einem günstigen Moment. Die Menschen haben sich an die Krise gewöhnt und kommen wieder zum Zahnarzt." Den Eindruck hatte ich auch. Viele kamen mit dem Satz: "Bitte erschrecken Sie nicht, aber ich musste aus finanziellen Gründen meine Zähne erst mal hinten anstellen." Jetzt hatten sie dann wieder etwas Geld gespart und waren entschlossen, ihre Zähne richten zu lassen. Und es gab wirklich einiges zu tun, aber leider war für eine ordentliche Versorgung häufig dann doch nicht das Geld da. Und es wurde wieder angefangen zu flicken und zu improvisieren. 

Welchen Einfluss haben die jüngsten Ereignisse in Griechenland auf Ihren Alltag als Zahnärztin und Praxischefin?

Katastrophal! Schon etwa zwei Wochen vor Bankenschluss kamen keine neuen Patienten mehr. Und als die Banken dann zu waren, wurden fast alle Termine abgesagt - verständlich!  Lieber mit einem kaputten Zahn essen als kein Geld mehr zu haben, sich Essen kaufen zu können.

Am Montag, dem Tag des Bankenschlusses, kamen besorgte Anrufe von meinen Kollegen: "Maria, pass auf! Lass dir alles sofort bezahlen. Sieh zu, dass dir die laufende Prothetik wirklich bezahlt wird! Fang nichts Neues an!" Es wurde überlegt, die Praxis einfach zu schließen und frühzeitig die Sommerpause zu beginnen.

Plötzlich mussten alle Materialien bar und sofort bezahlt werden, statt gesammelt am Ende des Monats. Zwischen mir, meinem Vertreter und meinem Zahntechniker kam es bislang noch zu keinem Problem, da noch alle Materialien vorrätig waren. Aber mein armer Vertreter hatte sehr große Probleme, da er keine Bestellungen im Ausland mehr aufgeben konnte. Er fing schon an zu zählen, wie lange er wohl noch zuliefern kann. Außerdem hatte er Riesenglück, dass er VOR Bankenschluss seine Angestellten bezahlt hatte - aber wie würde wohl der nächste Monat aussehen...

Seitdem feststeht, dass es mit Sicherheit zu irgendeiner Form einer Einigung auf europäischer Ebene kommen wird, kehrt langsam wieder Alltag ein. Die Patienten rufen wieder an und lassen zumindest das Nötigste machen. Im September nach der Sommerpause wird es spannend, wie es wohl weitergehen wird.

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Viele Zähne sind kaum noch zu gebrauchen

Wie ist es aus Ihrer Sicht um die zahnmedizinische Versorgung der griechischen Bevölkerung bestellt?

Es gibt sehr viel Behandlungsbedarf! Das Problem ist, dass alles privat bezahlt werden muss. Entschließen sich die Patienten dann zur Sanierung des Gebisses, sind viele Zähne kaum noch zu gebrauchen. Eine undankbare Arbeit für alle Beteiligten...

Dabei ist es nicht so, dass es keine Kassenzahnärzte geben würde. Diese Zahnärzte arbeiten in den Räumlichkeiten der Kassen. Leider ist die Qualität auf keinem hohen Niveau. Wurzelkanalbehandlungen werden gar nicht erst durchgeführt. Selber habe ich diese Einrichtungen nie besucht, aber kürzlich kam eine neue Patientin, die mir erzählte, dass sie zum Kassenzahnarzt ging, um eine Füllung zu bekommen. Sie hat schließlich auf die Füllung verzichtet und sich doch einen privaten Zahnarzt gesucht. Sie meinte, die Hygiene sei so schlecht, dass sie Angst hatte, sich dort mit irgendetwas zu infizieren.

Dann gibt es noch die Zahnklinik als Alternative. Dort jedoch liegt die Wartezeit nur für einen Kontrolltermin schon bei mehreren Monaten.

Wie berichtet wird, spielen mittlerweile sogenannte Sozialen Praxen eine wichtige Rolle bei der Versorgung der Bevölkerung, weil sie kostenlose Behandlungen anbieten. Wie bewerten Sie dieses Modell?

Ich freue mich und zolle gleichzeitig großen Respekt den Kollegen, die ihre Arbeit als Berufung sehen und ihre Dienste tatsächlich in den Dienst der Menschen und Menschlichkeit stellen. Soziale Praxen sind häufig die letzte Chance für Menschen, die durch die Krise in menschenunwürdige Lebensverhältnisse gerutscht sind. Gleichzeitig ist es eine Schande, dass dieses Land so weit gefallen ist, dass solche Maßnahmen überhaupt notwendig werden. Das, was Einzelne leisten, sollte eigentlich die Angelegenheit des Sozialstaates sein.

Ich habe Sorge, dass sich unsere Reformer auf diesem Modell ausruhen, statt tiefgreifende Reformen im Gesundheitssystem durchzuführen. Diese Reformen braucht dieses Land so sehr. Aber ohne Geld und ernsthafte Unterstützung sind sie undurchführbar.

Die Fragen stellte Marius Giessmann

 

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