Lügen, Drohungen, Falschbehauptungen

So kämpfte die Industrie gegen Werbeverbote für ungesunde Kinderlebensmittel

mg
Gesellschaft
Bei Werbung für ungesunde Lebensmittel setzt Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) auf Selbstverpflichtungen der Industrie. Interne Unterlagen zeigen jetzt, wie diese Einfluss auf das Ministerium nimmt.

Am 12. April meldete der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) selbstbewusst („Werbewirtschaft übernimmt Verantwortung”) den Inhalt einer neuen, mit Klöckner ausgehandelten, freiwilligen Selbstverpflichtung.

Wichtigste Neuerung: Künftig ist es nicht mehr zulässig, positive Ernährungseigenschaften von ungesunden Lebensmitteln in der audiovisuellen kommerziellen Kommunikation gegenüber unter 14-Jährigen hervorzuheben. Konkret geht es dabei um Werbeaussagen wie „unter Zusatz wertvoller Vitamine und Mineralstoffe” oder „hoher Vollkornanteil für körperliche Leistungsfähigkeit”.

Der neue Werbekodex unterstützt „die gesamtgesellschaftlichen Bemühungen für eine ausgewogene Ernährungsweise”, urteilt der ZAW. Jetzt zeigen interne Unterlagen, dass Klöckner vor Drohungen der Branche einknickte, obwohl Fachleute ihres eigenen Hauses nicht an die Wirksamkeit des ausgehandelten Kompromisses glauben.

Die Branche versuchte offenbar, dem Ministerium zu drohen

Wie BuzzFeed Deutschland unter Berufung auf bisher unveröffentlichte Dokumente aus dem Ministerium berichtet – die den Journalisten nach dem Informationsfreiheitsgesetz ausgehändigt wurden – stand eine ernsthafte gesetzliche Regelung nie zur Debatte. In den mühsamen Verhandlungen versuchte die Branche offenbar sogar, dem Ministerium zu drohen. Immerhin ging es für den Verband um Werbebeschränkungen für Produkte von Konzernen wie Kellogg’s, Ferrero, August Storck („Nimm2”) oder Mondelēz International („Milka”).

Selbst Klöckners eigener Beirat beklagte die Situation

Kurzer Rückblick in 2020: Nachdem selbst ein Gutachten des unabhängigen wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz aus Klöckners Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft befand, dass der Anteil der Werbespots für ungesunde Lebensmittel nach Einführung der damaligen Selbstverpflichtung „sogar angestiegen ist” und Werbeeinschränkungen forderte, suchten Ministerin und Fachabteilungen den Dialog mit der Werbewirtschaft. 

Die zeigte sich laut Bericht mehr als uneinsichtig. Nachdem die Ministerin „nachdrücklich” forderte, Positiv-Aussagen für ungesunde Lebensmittel auszuschließen, nahmen die Bemühungen von Wirtschaftsvertretern Fahrt auf: Erst bat der Vorstand der Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie, Andreas Schubert, um ein persönliches Gespräch mit der Ministerin.

Und während die britische Regierung ein Werbeverbot für Junkfood in Fernsehen und Internet vor 21 Uhr ankündigte, wandte sich noch in der Woche vor dem Treffen der Ministerin mit Schubert ein weiterer Lobbyist an Klöckner. 

Lobbyist warnte Ministerin vor Widerstand aus Union und FDP

Buzzfeed zeigt Auszüge des Briefs von Hans-Henning Wiegmann, dem früheren Chef der Oetker-Tochter Henkell und heutigen Vorsitzenden des Werberats. Darin beschreibt Wiegmann die bestehende Selbstregulierungspraxis als „vorbildhaft”. Die „Parteien der CDU und CSU (und der FDP) wussten wir stets an unserer Seite, weil ihnen wie uns der Erhalt einer funktionsfähigen sozialen Marktwirtschaft am Herzen liegt”, zitiert Buzzfeed den Ex-Manager, der Klöckner anschließend warnt, eine „Diskriminierung von Produkten” und „die unbelegte Unterstellung von Wirkzusammenhängen zwischen Werbung und Gesundheit” sei „nicht akzeptabel”.

Ebenfalls inakzeptabel aus Sicht des Lobbyisten: „Eingriffe in die freie und unzensierte Werbung über den bestehenden Rechtsrahmen hinaus”, schon gar nicht „aus wahlkampftaktischen oder populistischen” Motiven. „Das passt weder zu unserer Wirtschaftsordnung, noch zu Ihnen ganz persönlich und Ihrer Partei und wird bei Wirtschaft und in Ihren Reihen völlig unnötig Widerstand auslösen”, schreibt Wiegmann und bittet, den „den bisher unstreitigen Grundduktus von Wirtschaft und CDU/CSU” nicht durch „eine weitere Verbotspolitik zu gefährden”.

Klöckner weiß, dass die Lobbyisten falschliegen

Klöckner weiß zu diesem Zeitpunkt, dass Wiegmanns Behauptungen zum unbelegten Wirkzusammenhang schlicht falsch sind. Ihr Wissenschaftsbeirat hatte die Zusammenhänge in seinem Gutachten ausführlich dargelegt und ein Verbot von an Kinder gerichtete Werbung für Produkte mit hohem Zuckeranteil ausdrücklich empfohlen.

Erst 2019 belegte eine US-Untersuchung , dass Kinder, die regelmäßig Fast Food-Werbung sehen, dieses rund doppelt so häufig konsumieren wie Kinder ohne derartigen Werbeeinfluss. Und auch das Robert Koch-Institut wies 2020 darauf hin, dass laut einer eigenen Ernährungsstudie bei Kindern und Jugendlichen ein hoher Konsum an Fast Food Adipositas begünstigt und somit unter anderem das Risiko für Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen erhöht. 

Klöckner weiß: Selbstverpflichtungen bringen nichts

Dass Werbe-Selbstverpflichtungen der Industrie keinen positiven Einfluss auf den Konsum haben, weiß Klöckner auch. Der wissenschaftliche Beirat ihres Ministeriums hat darauf 2020 in seinem Gutachten ebenfalls hingewiesen. Demnach kam es einer Auswertung von 49 internationalen Studien zufolge zwischen 2002 und 2016 in Ländern ohne Werbebeschränkung zu einer Zunahme des Junk-Food-Konsums (+13,9 Prozent), auch wenn es eine freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie gab (+1,7 Prozent). Einen reduzierenden Effekt hatten lediglich verpflichtenden Beschränkungen (–8,9 Prozent). Die Regelung der Ernährungsministerin ist hingegen freiwillig – und Werbung mit Positivbotschaften weiter Usus.

  • Jennifer A. Emond et al., „Influence of child-targeted fast food TV advertising exposure on fast food intake: A longitudinal study of preschool-age children”, Appetite, Volume 140, 2019, Pages 134-141, ISSN 0195-6663,<link url="https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0195666318318671" import_url="https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0195666318318671 _blank" follow="follow" seo-title target="new-window">doi.org/10.1016/j.appet.2019.05.012.

  • Moosburger et al., „Fast-Food-Konsum bei 12- bis 17-Jährigen in Deutschland – Ergebnisse aus EsKiMo II”, Journal of Health Monitoring, 2020 5(1) DOI 10.25646/6394Robert Koch-Institut, Berlin,Ernährungsstudie

  • WBAE – Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim BMEL (2020). Politik für eine nachhaltigere Ernährung: Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumge-bungen gestalten. Gutachten, Berlin,<link url="https://www.bmel.de/DE/Ministerium/Organisation/Beiraete/_Texte/AgrVeroeffentlichungen.html" import_url="https://www.bmel.de/DE/Ministerium/Organisation/Beiraete/_Texte/AgrVeroeffentlichungen.html _blank external-link-new-window" follow="follow" seo-title target="new-window">www.bmel.de/DE/Ministerium/Organisation/Beiraete/_Texte/AgrVeroeffentlichungen.html

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