Gesundheitsministerium lädt zum „Versorgungsgipfel“

Spitzentreffen bringt viel Kritik für Lauterbach

mg
Politik
Der Versorgungsgipfel des Gesundheitsministeriums war zur Befriedung der Niedergelassenen gedacht. Funktioniert hat das nicht. Der Virchowbund zeigte sich „völlig unzufrieden“ und kündigte weitere Proteste an.

Entbudgetierung, Entbürokratisierung und Digitalisierung: Das waren die Kernthemen eines Treffens zwischen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Vertreterinnen und Vertretern der Ärzteschaft. „Wir haben uns getroffen, um gemeinsam über Entlastungen im Praxisalltag der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte zu sprechen. Unnötige Bürokratie bauen wir ab. Zudem werden wir bei der hausärztlichen Versorgung eine Entbudgetierung vornehmen und die Art und Weise, wie die Praxen vergütet werden, verändern“, so der Minister auf der anschließenden Pressekonferenz.

Mit der aktuell vorbereiteten Reform der hausärztlichen Versorgungsstruktur werden alle hausärztlichen Leistungen entbudgetiert, meldet das Bundesgesundheitsministerium (BMG). „Reicht die reguläre Vergütung nicht aus, leisten die Kassen für darüber hinaus erbrachte Leistungen Ausgleichszahlungen.“ Für die Behandlung chronisch erkrankter Erwachsener werde zudem eine Versorgungspauschale eingeführt. Für Hausarztpraxen, die maßgeblich die hausärztliche Versorgung aufrechterhalten, wird künftig eine Vorhaltepauschale vorgesehen.

KBV: „Das ist zu wenig“

Lauterbach will zudem die Ambulantisierung fördern und Praxen „von zeitraubender Zettelwirtschaft durch Digitalisierung entlasten“. Vor allem die ab 2025 zur Verfügung stehende elektronische Patientenakte (ePA) werde es den behandelnden Medizinern ermöglichen, sich schneller und bürokratieärmer abzustimmen, einen Überblick über bereits verschriebene Medikamente zu erhalten und die Behandlung ohne viel Aufwand zu dokumentieren, heißt es.

„Das ist zu wenig!“, meldeten die Vorstände Dr. Andreas Gassen und Dr. Sibylle Steiner, die für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) am Treffen teilgenommen hatten. Trotz „erster Lichtblicke“ sei die Veranstaltung insgesamt enttäuschend gewesen, lautete ihr Urteil. „Vor dem Hintergrund der drängenden Probleme der ambulanten Versorgung hätten wir uns mehr und deutlich konkretere Lösungs- und Umsetzungsschritte gewünscht“, schreibt die KBV. „Zu vieles ist unverbindlich und offen geblieben. Immerhin: Die hausärztliche Entbudgetierung soll in diesem Jahr kommen. Das begrüßen wir! Das kann und darf aber nun nicht alles sein.“

Was bleibt, sind vage Ankündigungen und offene Fragen

Im nächsten Schritt müsse nun zeitnah die Entbudgetierung der Fachärzte folgen, fordert die KBV. „Auch die Entbürokratisierung, gilt es schnell und entschlossen anzugehen. Der Minister hat erneut zugesagt, die Regresse weitgehend abzuschaffen. Beim Thema Digitalisierung blieb eigentlich außer vagen Ankündigungen alles offen. Wie der Wechsel zu leistungsfähigen Praxisverwaltungssystemen erleichtert und finanzierbar werden soll, ist heute jedenfalls unklar geblieben.“

Um die Rahmenbedingungen der ambulanten Versorgung schnell und konsequent zu verbessern, sei es „absolut unerlässlich“, dass das BMG seine geplanten Schritte jetzt mit der KBV und den Kassenärztlichen Vereinigungen erörtert und auf Praktikabilität prüft. Würden notwendige Lösungen stattdessen auf die lange Bank geschoben, „droht sehr bald das Ende der von Patientinnen und Patienten hochgeschätzten qualitativ hochwertigen sowie wohnortnahen medizinischen Versorgung durch inhabergeführte Praxen.“

Virchowbund: „Lauterbach versucht die Ärzteschaft zu spalten“

Aus Sicht des Virchowbunds ist der Krisengipfel „auf halbem Wege stehen geblieben“. Lauterbachs Versuch, „einseitig die hausärztliche Versorgung zu fördern und die Fachärzte weiterhin zu ignorieren“, sei ein Versuch, die Ärzteschaft zu spalten und das Gesundheitssystem komplett umzubauen“, konstatierte der Virchowbund-Vorsitzende Dr. Dirk Heinrich. Die vorgelegten Vorschläge seien „unvollständig und viel zu vage“.

„Es liegt seit heute auf der Hand, dass der Minister die Fachärzte auf mittlere Sicht in den Krankenhäusern statt in deren Praxen sieht. Eine fachärztliche Grundversorgung wird es dann im bisherigen Umfang nicht mehr geben“, so der Virchowbund weiter. „Damit wird Lauterbach zum Vater der Wartelistenmedizin und des Endes der freien Arztwahl in Deutschland. Und er wird damit auch zum Vater der Zwei-Klassen-Medizin, weil sich Patienten aus dieser Wartelistenmedizin herauskaufen werden“.

Heinrich: „Die Proteste müssen weitergehen“

Der Virchowbund habe dem BMG drei Vorschläge gemacht, wie kurzfristig auf die bestehenden Probleme reagiert werden kann: Zunächst sollte ein unterer Budgetdeckel eingeführt werden, der die Quotierung der Leistungen auf minimal 90 Prozent begrenzt. Alle Leistungen, die auf eine Überweisung hin erfolgen, sollten vollständig von Budgets befreit werden. Dadurch soll die hausärztliche Koordinationsleistung gestärkt werden.

Zudem sollten alle Ärzte, die ihre Praxis in sozialen Brennpunkten betreiben, entbudgetiert werden. Hierfür gebe es bereits etablierte Sozialindizes, die Faktoren wie Arbeitslosenquote, Migrantenanteil oder Einkommensverhältnisse abbilden“, berichtet Heinrich. „Mit dem heutigen Gesprächsergebnis sind wir jedenfalls völlig unzufrieden. Wir beobachten, dass die Wut an der Basis weiter steigt. Daher ist für uns klar, dass die Proteste weitergehen müssen, wenn nicht die gesamte ambulante Versorgung durch Haus- und Fachärzte in den Blick genommen wird.“

Diese Maßnahmen sieht das BMG vor:

Reform der hausärztlichen Honorierung:

  1. Entbudgetierung aller Leistungen der allgemeinen hausärztlichen Versorgung (EBM-Kapitel 3.2) nach ähnlicher Systematik wie für die Kinder- und Jugendärzte. Überführung der Leistungen in eine „Hausarzt-Morbiditätsorientierte Gesamtvergütung (MGV)“; Aus-gleichszahlungen durch Krankenkassen, falls Hausarzt-MGV nicht ausreichtZiel: alle in der Hausarztpraxis erbrachten Leistungen werden vergütet und Entbürokrati-sierung durch Wegfall der Budgetbereinigung→ Versorgungsstärkungsgesetz I

  2. Einführung einer jahresbezogenen hausärztlichen Versorgungspauschale für die Be-handlung von erwachsenen Versicherten mit chronischer Erkrankung (mit kontinuier-lichem Arzneimittelbedarf). Die Versorgungspauschale ist je Versicherten jährlich einmal beim ersten Arzt-Patienten-Kontakt abrechenbar (unabhängig von der Anzahl weiterer Kontakte)Ziel: deutliche Senkung vermeidbarer Praxisbesuche in den Hausarztpraxen. Mehr Zeit für die medizinische Behandlung→ Versorgungsstärkungsgesetz I

  3. Hausärztliche Vorhaltepauschale: Für echte Versorgerpraxen, die maßgeblich die haus-ärztliche Versorgung aufrechthalten, wird eine Vorhaltepauschale gesetzlich vorgegeben. Diese ist abrechenbar, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind (z.B. Hausbesuche, Min-destanzahl an Versicherten in Behandlung)Ziel: besondere Förderung von Praxen, die den größten Teil der Versorgung leisten und Hausbesuche durchführen→ Versorgungsstärkungsgesetz I

  4. Einführung einer einmal jährlich abrechenbaren Vergütung für Hausärzte für eine qua-lifizierte Hitzeberatung vulnerabler Gruppen im EBMZiel: Zahl der Hitzetoten soll weiter gesenkt werden (Schätzungen RKI Hitzetote 2022: 4.500 – 2023: 3.200)→ Versorgungsstärkungsgesetz I

Entbürokratisierung:

  1. Einführung einer wirkungsvollen Bagatellgrenze bei den Wirtschaftlichkeitsprüfungen von ärztlich verordneten Leistungen, um den bürokratischen Aufwand und den Zweck der Prüfungen in einem angemessenen Verhältnis zu halten. Ziel: Vermeidung von unnötigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen mit erheblichem bürokratischen Aufwand→ Versorgungsstärkungsgesetz I

  2. Festsetzung einer Ausschlussfrist von zwei Jahren für Beratungen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung entsprechend der Festsetzungen für Nachforderungen und Kürzungen. Ziel: Planungssicherheit erhöhen und bürokratischen Mehraufwand vermeiden→ Versorgungsstärkungsgesetz II

  3. Einführung der Möglichkeit zur digitalen Teilnahme an Sitzungen der Beschwerdeausschüsse durch Anpassung der Wirtschaftlichkeitsprüfungs-Verordnung. Ziel: bessere Nutzung der Digitalisierung und Vermeidung unnötiger Wege→ Versorgungsstärkungsgesetz II

  4. Abschaffung des zweistufigen Antragsverfahrens in der Kurzzeittherapie (Psychotherapie). Ziel: Beschleunigung des Versorgungszuggangs in der Psychotherapie und Entbürokratisierung des Antragsverfahrens→ Versorgungsstärkungsgesetz II

  5. Vereinfachung bei den Vorgaben zur Einholung eines Konsiliarberichts bei ärztlich überwiesenen Patientinnen und Patienten (Psychotherapie). Ziel: Verkürzung der Wartezeiten vor Beginn einer Psychotherapie→ Versorgungsstärkungsgesetz II

  6. Abschaffung der Präqualifizierungspflicht für Vertragsärztinnen und -ärzte, die Hilfsmittel an Versicherte abgeben. Ziel: Verbesserung der Hilfsmittelversorgung durch vereinfachte, unbürokratische Abgaberegelungen→ Versorgungsstärkungsgesetz II

Digitalisierung

  1. Entlastung der Praxen durch die Möglichkeit zur Ausstellung von elektronischen Rezepten und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei bekannten Patientinnen und Patienten lediglich durch telefonische Konsultation. Ziel: Mehr Zeit für die medizinische Behandlung→ Digitalgesetz (bereits verabschiedet)

  2. Modernisierung der Landschaft von Praxisverwaltungssystemen (PVS) durch ein Maßnahmenbündel, das transparente und verbindliche Vorgaben sowie Anreize vorsieht, um Funktionalitäten von Praxisverwaltungssystemen schneller und nutzerfreundlicher zu implementieren. Zeitgleich wird der Wechsel zu leistungsfähigen Praxisverwaltungssystemen durch die Ärzteschaft erleichtert. Ziel: PVS-Systeme sollen mit der elektronischen Patientenakte einfacher und besser zusammenwirken→ Gesetz zur Errichtung einer Digitalagentur

  3. Flexibilisierung des Umfangs, in dem Videosprechstunden erbracht werden können und Ermöglichung von Homeoffice für Ärzte. Ziel: zusätzliche Sprechstundenangebote für Patientinnen und Patienten→ Digitalgesetz (bereits verabschiedet)

  4. Umstellung des bisherigen BtM-Rezeptes auf einen digitalisierten Verschreibungsprozess,einschließlich digitaler Nachweisführung. Ziel: einfachere und unbürokratischere Verordnung von Betäubungsmitteln→ Digitalgesetz (bereits verabschiedet)

Sektorenübergreifende Versorgung

  1. Zur Förderung der Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen wurden zum 1. Januar 2024 sog. Hybrid-DRG eingeführt, die stetig weiterentwickelt werden.Ziel: Mehr derzeit noch stationär erbrachte Leistungen können und sollen in Zukunft ambulant erbracht werden→ Rechtsverordnung in Kraft

  2. Im Rahmen der Krankenhausreform wird die sektorenübergreifende Zusammenarbeit, insbesondere durch die Einführung von Level 1i-Krankenhäusern gestärkt. Ziel: wirtschaftliche Grundlage für ländliche, nicht spezialisierte Krankenhäuser soll gewährleistet werden. Neue Formen der Kooperation zwischen Haus- und Fachärzten sollen ermöglicht werden→ Krankenhausfinanzierungsgesetz

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