Tritt gegen den Chef = fristlose Kündigung
Volker Görzel, Kölner Fachanwalt für Arbeitsrecht vom VDAA – Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte mit Sitz in Stuttgart, beleuchtet dieses Mal folgenden Fall: Ein Arbeitnehmer nutzte während der Arbeit sein privates Handy, obwohl das im Betrieb verboten war. Al sein Vorgesetzter ihn darauf ansprach, reagierte der Mann sehr aggressiv und sagte zu ihm „Hau ab hier“, stieß ihn mit der Hand gegen die Schulter und führte einen Tritt in seine Richtung aus.
Der Tritt berührte den Vorgesetzten nur leicht, war aber eindeutig als körperlicher Angriff gemeint. Der Arbeitgeber reagierte sofort und sprach eine außerordentliche fristlose Kündigung aus. Der Beschäftigte wehrte sich mit einer Kündigungsschutzklage: Die Kündigung sei zu hart, er sei provoziert worden und der Arbeitgeber hätte ihn zuerst abmahnen müssen.
Die Tätlichkeit verletzt das Vertrauensfundament
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen sah das anders und hielt die fristlose Kündigung für wirksam. Die Richterinnen und Richter stellten klar: Eine Tätlichkeit am Arbeitsplatz ist ein schwerer Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB.
Der Arbeitnehmer habe seinen Vorgesetzten beleidigt und gleichzeitig körperlich angegriffen. Schon der Ausruf „Hau ab hier“ sei respektlos und zeige fehlende Achtung. Das Stoßen und der Tritt hätten dieses Fehlverhalten erheblich verstärkt. Wichtig war für das Gericht vor allem der Tritt. Auch wenn er nur leicht war, zeigte er nach Ansicht des Gerichts eine klare Missachtung des Vorgesetzten. „So ein Verhalten muss ein Arbeitgeber nicht hinnehmen“, bestätigt Görzel.
Warum war keine Abmahnung nötig?
„Normalerweise ist bei einer verhaltensbedingten Kündigung vorher eine Abmahnung erforderlich“, führt Görzel aus: Der Arbeitnehmer solle die Chance bekommen, sein Verhalten zu ändern. „Bei Tätlichkeiten gegenüber Kollegen oder Vorgesetzten gilt aber etwas anderes!“
Wie das Gericht hervorhebt, ist ein tätlicher Angriff eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten. Jeder Arbeitnehmer wisse, dass Schläge, Tritte oder Stoßen am Arbeitsplatz absolut tabu sind. Deshalb dürfe der Arbeitgeber in solchen Situationen in der Regel ohne Abmahnung kündigen. Das gelte nicht nur bei besonders brutalen Angriffen: Auch eine leichte Tätlichkeit könne eine fristlose Kündigung rechtfertigen, wenn sie den Respekt und den Betriebsfrieden massiv stört.
Keine Versetzung als milderes Mittel
Das Gericht prüfte auch, ob der Arbeitnehmer vielleicht an einem anderen Arbeitsplatz hätte eingesetzt werden können. Diese Frage spielte laut Görzel aber letztlich keine Rolle, denn das Gericht sah eine konkrete Gefahr, dass der Mann sich auch an anderer Stelle wieder ähnlich verhalten könnte. Damit sei eine Versetzung kein geeignetes milderes Mittel mehr gewesen. Die außerordentliche Kündigung wegen Tätlichkeit hielt stand.
Was bedeutet das für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?
Für Arbeitnehmer ist das Urteil Görzel zufolge ein deutliches Warnsignal: „Körperliche Angriffe – auch leichte – gegen Vorgesetzte oder Kollegen können den Arbeitsplatz kosten!“ Wer andere stößt, schubst oder tritt, riskiere eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung. Auch starke emotionale Situationen, Stress oder Provokationen entschuldigten das Verhalten in der Regel nicht vollständig. „Eine spätere Kündigungsschutzklage hat in solchen Fällen oft nur geringe Erfolgsaussichten“, stellt der Fachanwalt fest. Wichtig: Auch Beleidigungen und Rrohungen („Hau ab hier“) spielten eine Rolle. Kommt zur verbalen Entgleisung noch eine Tätlichkeit hinzu, werde es arbeitsrechtlich sehr brenzlig.
Für Arbeitgeber zeige das Urteil, wie sie bei Tätlichkeiten rechtssicher handeln können. Wichtig sei eine saubere Vorbereitung und Dokumentation, bevor eine außerordentliche fristlose Kündigung ausgesprochen wird.
So sollte man den Sachverhalt schnell und objektiv aufklären, Beteiligte und Zeugen zeitnah befragen, Beweise sichern (Videoaufnahmen, Chatverläufe, E-Mails) und alles schriftlich dokumentieren. „Das ist wichtig, weil bei einer fristlosen Kündigung die Zwei-Wochen-Frist ab Kenntnis des Sachverhalts läuft“, stellt Görzel klar.
Dennoch sollte man immer den Einzelfall im Blick haben und die Interessen abwägen. Denn auch wenn Tätlichkeiten grundsätzlich schwer wiegen, sollte der Arbeitgeber immer prüfen: Gab es eine Provokation? Handelte der Arbeitnehmer aus Notwehr oder in einer Ausnahmesituation? Liegt eine einmalige Entgleisung vor nach langer störungsfreier Beschäftigung?
„Diese Punkte können das Ergebnis beeinflussen“, betont Görzel. „Sie heben die Schwere des Verhaltens meist nicht auf, können aber beispielweise für eine Abmahnung oder eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung statt einer fristlosen Kündigung sprechen.“ Oft sei es sinnvoll, den Arbeitnehmer bis zur Klärung des Falls unter Fortzahlung der Vergütung freizustellen, um weitere Konflikte oder Eskalationen im Team zu vermeiden.
Warum das Urteil für den Betriebsfrieden so wichtig ist
„Der Arbeitgeber hat nicht nur Pflichten gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer, sondern gegenüber der gesamten Belegschaft“, hält Görzel fest. Er müsse dafür sorgen, dass andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind, der Betriebsfrieden nicht durch Gewalt oder Drohungen gestört wird und dass keine Arbeitskräfte wegen Verletzungen ausfallen. Das Gericht habe deutlich gemacht: „Wer einen Vorgesetzten tätlich angreift, zerstört das notwendige Vertrauen in einer Weise, die eine außerordentliche Trennung in der Regel rechtfertigt.“
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Az.: 15 SLa 315/25
Urteil vom 25. August 2025





