Studie der TU Wien

Tröpfchen mit Coronaviren halten länger als gedacht

ck/pm
Gesellschaft
Winzige, mit Viren beladene Tröpfchen verschwinden nach dem Ausatmen langsamer, als bisherige Modelle vermuten ließen. Warum das so ist, können Wiener Forscher mithilfe von Computer-Simulationen nun erklären.

Im Winter steckt man sich leichter an als im Sommer – das gilt für die Corona-Pandemie, Influenza und andere virale Erkrankungen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die relative Luftfeuchtigkeit. Sie ist im Winter draußen viel höher als im Sommer – zu erkennen daran, dass der Atem an der kalten Luft zu Tröpfchen kondensiert.

Kleine Tröpfchen verdunsten gar nicht schnell

Bisherige Modelle gingen davon aus, dass nur große Tröpfchen eine relevante Ansteckungsgefahr mit sich bringen, weil kleine Tröpfchen schnell verdunsten. Forscher der TU Wien fanden nun allerdings mit Kollegen der Universität Padua, Italien, heraus, dass das nicht stimmt: Durch die hohe Feuchtigkeit der Atemluft können auch kleine Tröpfchen viel länger in der Luft bleiben als bisher angenommen. Die Studie wurde im Fachjournal PNAS publiziert.

Ein Mix aus Gas und Aerosolen

Prof. Alfredo Soldati und sein Team am Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung der TU Wien beschäftigen sich mit Strömungen, die aus unterschiedlichen Komponenten zusammengesetzt sind: „Mehrphasenströmungen“. Dazu zählt auch die Luft, die ein infizierter Mensch beim Niesen ausatmet: Die infektiösen Viren befinden sich in Flüssigkeitströpfchen unterschiedlicher Größe, dazwischen ist Gas.

Diese Mischung führt zu einem relativ komplizierten Strömungsverhalten: Sowohl Tröpfchen als auch Gas bewegen sich, beide Komponenten beeinflussen einander, und die Tröpfchen können dabei verdunsten und selbst zum Gas werden.

Experimente mit dem Dummy-Kopf

Um diesen Effekten auf den Grund zu gehen, entwickelten die Wissenschaftler Computersimulationen, in denen man die Ausbreitung von Tröpfchen und Atemluft bei unterschiedlicher Temperatur und Luftfeuchtigkeit berechnen kann.

Zusätzlich führte man Experimente durch: In einen Dummy-Kopf wurde eine Düse mit einem elektromagnetisch gesteuerten Ventil eingebaut, um auf präzise definierte Weise ein Gemisch aus Tröpfchen und Gas zu versprühen. Mit Hochgeschwindigkeitskameras wurde der Vorgang aufgezeichnet, so dass man genau messen konnte, welche Tröpfchen wie lange in der Luft bleiben.

Die feuchte Atemluft lässt Tröpfchen länger schweben

„Wir haben festgestellt, dass kleine Tröpfchen eine Größenordnung länger in der Luft bleiben als man bisher gedacht hatte“, sagt Soldati. „Das hat einen simplen Grund: Für die Verdunstungsrate der Tröpfchen ist nicht die durchschnittliche relative Luftfeuchtigkeit der Umgebung entscheidend, sondern die lokale Feuchtigkeit direkt am Aufenthaltsort des Tröpfchens.“

Die ausgeatmete Luft ist demnach viel feuchter als die Umgebungsluft, und diese ausgeatmete Feuchtigkeit führt dazu, dass kleine Tröpfchen langsamer verdunsten. Wenn die ersten Tröpfchen verdunsten, führt das lokal wieder zu einer höheren Feuchtigkeit, wodurch der weitere Verdunstungsprozess anderer Tröpfchen weiter gebremst wird.

„Das heißt zwar, dass kleine Tröpfchen länger infektiös sind als angenommen, aber das soll kein Grund für Pessimismus sein“, meint Soldati. „Es zeigt uns nur, dass man solche Phänomene eben auf die korrekte Weise studieren muss, um sie zu verstehen. Nur dann können wir wissenschaftlich solide Empfehlungen machen, etwa in Bezug auf Masken und Sicherheitsabstände.“

Jietuo Wang, Mobin Alipour, Giovanni Soligo, Alessio Roccon, Marco De Paoli, Francesco Picano, Alfredo Soldati, Short-range exposure to airborne virus transmission and current guidelines, in: Proceedings of the National Academy of Sciences Sep 2021, 118 (37) e2105279118;DOI: 10.1073/pnas.2105279118

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