"TTIP könnte zu Verwerfungen führen!"

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Die Heilberufsverbände fordern in einer Erklärung zum Freihandelsabkommen TTIP eine Positivliste für das deutsche Gesundheitswesen. Europa-Experte Alfred Büttner von der Bundeszahnärztekammer erklärt, was es damit auf sich hat.

1. TTIP darf keine Anwendung im deutschen Gesundheitswesen finden, fordern die Heilberufsverbände in einer Erklärung an die EU-Politiker. Sie argwöhnen, dass das Freihandelsabkommen die Behandlungsqualität und den Patientenschutz gefährden werde. Was genau sind die Befürchtungen, gibt es dafür Beispiele?

Alfred Büttner:Grundsätzlich werden von TTIP alle Wirtschaftssektoren einschließlich des Gesundheitssektors erfasst. Dies gilt ausdrücklich auch für Gesundheitsdienstleistungen. Eine der vielen Unterrubriken des Dienstleistungskapitels in TTIP trägt die Überschrift „Medical (including Psychologists) and Dental services”. Hier soll es zu einer Marktöffnung kommen.

Von besonderer Bedeutung ist der angestrebte Abbau sogenannter nichttarifärer Handelshemmnisse. Darunter versteht man Maßnahmen, die unmittelbar oder mittelbar den Handel beschränken können und bei denen es sich nicht um Zölle handelt. Als derartige Hemmnisse werden etwa technische Vorschriften, industrielle Sicherheitsstandards, Vorschriften über die Sicherheit von Lebens- oder Arzneimitteln, Umweltstandards oder Zulassungsbedingungen gesehen. Hier soll TTIP zu einer möglichst weitreichenden Angleichung von Normen und Standards beziehungsweise deren umfassender gegenseitiger Anerkennung in möglichst vielen Bereichen führen.

Ein ausgesprochen kritischer Punkt im TTIP-Verhandlungsprozess ist die Frage des Investitionsschutzes. Nach dem Vorbild anderer Handelsabkommen soll ein "Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus" (ISDS) in TTIP verankert werden. Dieser Mechanismus würde es Investoren ermöglichen, die USA oder die EU beziehungsweise deren Mitgliedstaaten, unabhängig vom regulären juristischen Instanzenzug, vor speziellen internationalen Schiedsgerichten direkt auf Entschädigung zu verklagen, falls nach Abschluss des Abkommens erlassene nationale oder europäische Regelungen zu entgangenen Gewinnen führen würden.

Der Streit zwischen dem niederländischen Versicherungskonzern Achmea und der Slowakei zeigt, dass solche Schlichtungsverfahren durchaus den Gesundheitssektor tangieren können. In diesem Rechtsstreit verklagte das niederländische Unternehmen, das seit  2006 über ein Tochterunternehmen auf dem slowakischen Markt tätig ist, das Land vor einem internationalen Schiedsgericht wegen einer im Jahr 2007 verabschiedeten gesetzlichen Regelung, die den Gesundheitsversicherern die Bildung von Gewinnen verbot. Das Schiedsgericht gab Achmea recht und verurteilte die Slowakei in der Folge auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 25 Millionen Euro.

Deutliche Auswirkungen dürfte TTIP im Bereich der Medizinprodukte- und Arzneimittelherstellung haben. Beim Inverkehrbringen von Medizinprodukten gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den USA und der EU. Während in Europa Medizinprodukte ein vergleichsweise einfaches Konformitätsverfahren durchlaufen, bedürfen sie in den USA einer individuellen Zulassung durch die Agentur für Food an Drug Administration (FDA). Erschwerend kommt dabei hinzu, dass die EU-Regeln für Medizinprodukte derzeit überarbeitet werden und es noch nicht absehbar ist, welche Änderungen in Kraft treten werden. Im Bereich der Arzneimittel könnte es ebenfalls zu Verwerfungen kommen, da die Patentregeln in den USA deutlich länger sind. 

2. "Kapitalinteressen dürfen medizinische Entscheidungen nicht beeinflussen“, heißt es weiter in der Erklärung. Was ist damit konkret gemeint?

Das US-amerikanische Gesundheitssystem ist im Gegensatz zu dem unsrigen stark marktwirtschaftlich geprägt und weist deutlich weniger solidarische Elemente auf. Die Struktur unseres Gesundheitswesens ist maßgeblich gekennzeichnet durch Schutzmechanismen wie die Zulassungsvoraussetzungen für Vertrags(zahn)ärzte, die Bedarfsplanung oder den Sicherstellungsauftrag der Körperschaften.

3. Die Präsidenten und Vorsitzenden der Verbände warnen zudem davor, Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung sowie Diagnostizierverfahren patentieren zu lassen. Diese sogenannten Medical Procedure Patents müssten in Deutschland weiterhin verboten werden. Warum?

Der medizinische Fortschritt basiert auch darauf, neue medizinische Verfahren anzuwenden und sie stetig zu verbessern. Anders als in den USA, die „Medical Procedure Patents“ zulassen, sind in Europa gemäß Art. 53 lit c) des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.

Dieser Ausschlusstatbestand verhindert, dass die Wahl der Behandlungsmöglichkeiten durch den Patentschutz eingeschränkt wird. Ärzten muss die Freiheit erhalten bleiben, sich für die am besten geeignete Maßnahme zur Behandlung ihrer Patienten entscheiden zu können. Durch „Medical Procedure Patents“ können Behandlungsmöglichkeiten blockiert werden. Dies würde letztlich dazu führen, dass Patienten von der Teilhabe am Fortschritt in der Medizin ausgeschlossen werden.

4. Inwieweit ist TTIP auch ein Angriff auf die Freiberuflichkeit?

Aus freiberuflicher Sicht könnte besonders der im Zuge des Abkommens geplante sukzessive Abbau sogenannter nichttarifärer Handelshemmnisse zu Verwerfungen führen. Denkbar ist, dass bestimmte berufsrechtliche Regelungen, die etwa der Qualitätssicherung dienen, wie beispielsweise Fremdkapital- oder Werbeverbote, als Handelshemmnisse verstanden werden, da sie potenziell Investoren abschrecken. Das Freihandelsabkommen könnte auf diese Weise einen sich bereits heute auf europäischer Ebene abzeichnenden Trend zur Deregulierung, etwa im Zusammenhang mit dem laufenden Transparenzprozess für regulierte Berufe, verstärken.

Bis zum endgültigen Abschluss und der Ratifizierung eines transatlantischen Freihandelsabkommens bleibt vieles Spekulation. Vor dem Hintergrund der anhaltenden öffentlichen Kritik an TTIP und zahlreicher ungeklärter Einzelfragen wie des Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus ist das tatsächliche Zustandekommen des Abkommens zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch immer fraglich.

Die Fragen stellte Claudia Kluckhuhn. 

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