Verfassungsbeschwerde gegen Triage-Gesetz
Die vom Bundestag vor einem Jahr verabschiedete Regelung zum Umgang mit begrenzten überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten bei übertragbaren Krankheiten (Triage-Regelung) verstoße gegen Grundrechte von Ärztinnen und Ärzten.
Die Beschwerdeführer wenden sich insbesondere gegen zwei wesentliche Regelungsinhalte: den Positiv-Negativ-Kriterienkatalog für eine Zuteilungsentscheidung über intensivmedizinische Behandlungskapazitäten (§ 5c Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 IfSG) und das grundsätzliche Verbot der Ex-post-Triage (§ 5c Abs. 2 Satz 4 IfSG). Beide Regelungen machen aus ihrer Sicht ein mit ärztlichen Grundsätzen – ethisch wie medizinisch – zu vereinbarendes Handeln in einer Dilemmasituation unmöglich und verursachten „eine erhebliche Rechtsunsicherheit und ein signifikantes Strafbarkeitsrisiko“.
Die Triage-Regelung bringe Ärzte in eklatante Gewissensnöte
Die neu in das Infektionsschutzgesetz eingefügte Triage-Norm sieht ein Verfahren für die Zuteilung nicht ausreichend vorhandener intensivmedizinischer Behandlungsressourcen vor und enthält Kriterien für die Zuteilungsentscheidung sowie Dokumentations- und Verwaltungsvorgaben, die von den behandelnden Ärzten zu beachten sind. Aus der Sicht der klagenden Ärzte verletzt das Gesetz sie in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), das durch die Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 Var. 2. GG) in dem vorliegenden Fall entscheidend verstärkt werde.
Ärztinnen und Ärzte seien verpflichtet, ihren Beruf „nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit“ auszuüben (Muster-Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte). Durch die Triage-Regelung im Infektionsschutzgesetz würden ihnen jedoch Grenzentscheidungen aufgezwungen, die ihrem beruflichen Selbstverständnis an sich widersprechen und sie in eklatante Gewissensnöte bringen.
Der Eingriff in das Grundrecht der Beschwerdeführer sei im Wesentlichen aus vier Gründen nicht gerechtfertigt:
Das Diskriminierungsverbot in der Triage-Regelung und die daraus folgenden Zuteilungsentscheidungen seien widersprüchlich. Die Norm sei in ihrem Tatbestand deshalb unbestimmt und mit der Rechtsfolge einer möglichen berufsrechtlichen Sanktion für die Beschwerdeführer unzumutbar.
Die Unklarheit in der Negativliste (§ 5c Abs. 1 Satz 1 IfSG) mache die Regelung ebenfalls unzumutbar und damit im Ergebnis unverhältnismäßig.
Das Verfahren für Zuteilungsentscheidungen sei nicht nur unpraktikabel, es sei auch in grundrechtsverletzender Art und Weise ausgestaltet, weil kein verfahrensauslösendes Ereignis definiert sei, der Entscheidungszeitpunkt ungeregelt bleibe und die Unbestimmtheit des gesamten Verfahrens erhebliche Rechtsunsicherheit für die entscheidungsverpflichteten Ärzte mit sich bringe.
Das ausdrückliche Verbot der Ex-post-Triage (§ 5c Abs. 2 Satz 4 IfSG) könne bedeuten, dass neu hinzukommenden Patienten mit einer relativ besseren Überlebenswahrscheinlichkeit als Patienten mit deutlich schlechterer Prognose in bereits begonnener intensivmedizinischer Behandlung keine überlebenswichtige Behandlungskapazität mehr zugeteilt werden kann.
Das Bundesverfassungsgericht habe zudem in seinem Beschluss vom 16. Dezember 2021 klargestellt (1 BvR 1541/20), dass in einer Mangelsituation aufgrund übertragbarer Krankheiten mit unzureichenden Behandlungskapazitäten die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit das entscheidende Kriterium für die Zuteilung medizinischer Ressourcen sei.
Sie nehme Ärzten die Möglichkeit, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die größtmögliche Zahl an Menschen zu retten
Durch die Triage-Regelung im Infektionsschutzgesetz werde den Ärzten nun aber zugemutet, eine Ex-ante-Zuteilungsentscheidung in dem Wissen zu treffen, dass sie später eintreffende Patienten mit deutlich besseren Überlebenschancen nicht intensivmedizinisch behandeln können: „Die ohnehin schon hohe Belastung in einer Triage-Situation wird dadurch noch verstärkt und den Ärzten die für ihr berufliches Ethos essenzielle Möglichkeit genommen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um unter den schwierigen Umständen einer extremen Ressourcenknappheit die größtmögliche Zahl an Menschen zu retten.“