Interview mit Berufsschullehrerin Anke Fuhlendorf

„VR macht das Lernen zu einem aufregenden Abenteuer!“

mg
Praxis
Anke Fuhlendorf gehört zu einem vierköpfigen Projektteam, das Virtual Reality (VR) an der Beruflichen Schule für medizinische Fachberufe auf der Elbinsel Wilhelmsburg in den Unterricht implementiert. Hier erzählt sie, wie und warum gerade ihre Schülerinnen und Schüler als künftige ZFA von diesen neuen Lernformen profitieren.

Frau Fuhlendorf, worin besteht der didaktische Mehrwert von VR in der Lehre?

Anke Fuhlendorf: Er besteht darin, dass sie das Lernen spannender und greifbarer macht. Mit VR können Lernende in eine virtuelle Welt eintauchen, in der sie komplexe Themen hautnah erleben können. Das hilft ihnen, besser zu verstehen und sich Dinge länger zu merken. Stellen Sie sich vor, man könnte medizinische Eingriffe direkt miterleben, ohne das Klassenzimmer zu verlassen oder Patienten zu belasten. Diese Art von praktischer Erfahrung motiviert die Lernenden und fördert ihre Problemlösekompetenz. VR verbindet Theorie mit praktischen Anwendungen und macht das Lernen zu einem aufregenden Abenteuer. VR-Anwendungen sollen dabei aber traditionelle Lehrmethoden nicht ersetzen, sondern durch einen gezielten Einsatz ergänzen.

Sehen Sie nach einem Jahr Projektphase auch Risiken, die sich aus dem Einsatz ergeben?

So wie wir die VR einsetzen, sehe ich bisher didaktisch keine Risiken. Es gibt Personen, die mit der VR-Technologie nicht gut klarkommen. Sie haben vielleicht Symptome wie Schwindel oder Übelkeit, das nennt man dann Cyberkrankheit. Einige fühlen sich vielleicht auch von einem so dichten Erlebnis überfordert. Aber entweder sie tasten sich langsam an diese Möglichkeit heran, oder dieser Lernkanal ist eben nichts für sie. Das ist ja mit jedem anderen Angebot ebenso. Man erreicht nie alle gleich. Daher versuchen wir mit unserem Angebot – der VR-Kurs ist ja in ein komplex gestaltetes Lernfeld eingebettet – viele verschiedene Lernzugänge zu ermöglichen.

Eine Herausforderung könnte für Schulen in der Wartung, dem Aufwand für technische Problembehebung und der Schulung der Kollegen bestehen. Aber diese Herausforderung muss bei allen technischen Neuerungen immer wieder gemeistert werden. Da sind die Schulen eigentlich geübt.

Das größte Risiko ist eigentlich, dass sich Gesetzeslagen wie zum Beispiel Hygienevorschriften schneller ändern, als wir mit der Programmierung hinterherkommen. Sollte etwa die Wirksamkeit der Wischdesinfektion aufgrund einer neuen Studienlage infrage gestellt werden, müssten wir wieder an die Programmierung ran.

Was sagt denn die Studienlage zum möglichen Benefit von VR in der Ausbildung?

Die Studienlage zeigt, dass virtuelle Ausbildungsanteile das Lernen erheblich bereichern können. Eine Vielzahl von Forschungen belegt, dass VR das Verständnis komplexer Konzepte verbessert, da Lernende durch immersive Erfahrungen Informationen besser verarbeiten und behalten. Zudem steigert die interaktive Natur von VR die Motivation der Lernenden, was zu einer höheren Beteiligung führt. Besonders in praxisorientierten Bereichen wie Pflege, Rettungswesen, Medizin oder Ingenieurwesen ermöglicht VR, realistische Szenarien zu simulieren, die in der echten Welt schwer zugänglich sind.

Darüber hinaus können Lernende soziale und kommunikative Fähigkeiten in virtuellen Rollenspielen trainieren. Ein weiterer Vorteil ist der Zugang zu Inhalten, die geografisch oder finanziell schwer erreichbar sind, sowie die Möglichkeit, personalisierte Lernpfade zu gestalten. Insgesamt deutet die Forschung darauf hin, dass virtuelle Ausbildungsanteile erhebliche Vorteile bieten, wenn sie gut umgesetzt werden.

Die Ausstattung Ihrer Schule mit zwei VR-Brillen und Rechnern sowie die Softwareentwicklung war durch EU-Mittel gedeckt. Was würde es andere Einrichtungen ungefähr kosten, ihr Konzept zu übernehmen?

Die Kosten für ein Set, bestehend aus einem VR-tauglichen Rechner, einer Brille und dem notwendigen Zubehör, liegen zwischen 3.000 und 5.000 Euro. Zudem müssen geeignete Räume und Stauraummöglichkeiten vorhanden sein. Mit vier oder fünf Sets kann mit unserem Kurs effektiv eine halbe Klasse von 12 bis 15 Personen gleichzeitig mit VR arbeiten, während die andere Hälfte im digitalen Klassenraum Moodle beschäftigt ist.

Insgesamt planen wir, 14 Brillen anzuschaffen, die auch für verschiedene andere VR-Programme genutzt werden sollen, wie beispielsweise zum Lernen von Anatomie, Erste Hilfe und anderen verfügbaren Anwendungen auf dem Markt. Ein Vorteil von Laptops ist ihre Flexibilität, da sie es ermöglichen, die Programme überall einzusetzen, zum Beispiel in der Zahnärztekammer, ohne dass der PC-Raum der Schule reserviert werden muss.

Warum lohnt sich diese Investition langfristig?

Die Investition in Virtual Reality-Technologie lohnt sich unseren Erachtens nach langfristig aus mehreren Gründen. Erstens ermöglicht VR den Lernenden, praktische Erfahrungen zu sammeln, die in herkömmlichen Lernumgebungen oft nicht möglich sind. Diese immersiven Erlebnisse fördern nicht nur das Verständnis, sondern auch die Anwendung von Wissen in realistischen Szenarien. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir keinen speziellen Fachraum mehr benötigen. Die variablen Lernzugänge, die VR bietet, ermöglichen es uns, die Technologie überall einzusetzen, sei es in der Schule oder an externen Orten. Das erhöht die Flexibilität und macht das Lernen zugänglicher.

Ein besonders wichtiger Aspekt ist die Ansprache Gaming-affiner Schülerinnen und Schüler. VR spricht diese Zielgruppe direkt an und kann ihre Motivation und Beteiligung am Lernprozess erheblich steigern. Darüber hinaus – und das ist mir das Wichtigste – eröffnen sich durch die fortschreitende Entwicklung der Technologie ständig neue Möglichkeiten. Die Vielzahl an Anwendungen, die wir in Zukunft nutzen können, wird das Lernen bereichern und an die Bedürfnisse der Lernenden anpassen. Insgesamt betrachtet wird diese Investition nicht nur die Qualität der Ausbildung verbessern, sondern auch die Lernenden besser auf die Anforderungen der Zukunft vorbereiten.

Das Gespräch führte Marius Gießmann.

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