Studie unter der Leitung der Universität Cambridge

Warum Kaiser Tiberius das Küssen verbieten wollte

nl/ck
Gesellschaft
Ein internationales Forscherteam hat es geschafft, Herpesviren bis in die Bronzezeit zurückzuverfolgen. Damals begünstigte eine aufkommende Modeerscheinung die weite Verbreitung des Virus: das Küssen. Wahrscheinlich genau deshalb versuchte der römische Kaiser Tiberius Jahrhunderte später das Bützen zu verbieten.

Die Geschichte des Herpes reicht Millionen von Jahren zurück. Die neuesten Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass der HSV-1-Virusstamm, der für Herpes-Simplex-Infektionen verantwortlich ist, vor etwa 5.000 Jahren entstand. Ein Team internationaler Wissenschaftler unter der Leitung der Universität Cambridge hat alte Genome des Herpesvirus zum ersten Mal aufgedeckt und sequenziert. Bisher stammten die ältesten genetischen Daten für Herpes aus dem Jahr 1925.

Kussverbot bei offiziellen Anlässen

Die Zunahme der Übertragung vor etwa 5.000 Jahren führen die Forschenden auf das Küssen zurück, das erstmals in einem Manuskript aus der Bronzezeit in Südasien überliefert ist. Sie vermuten, dass der Brauch, der in den menschlichen Kulturen bei Weitem nicht universell ist, mit den Migrationen aus Eurasien Richtung Westen nach Europa gelangt sein könnte.

Jahrhunderte später versuchte jedenfalls auch der römische Kaiser Tiberius, der von 14 bis 37 nach Christus regierte, das Küssen bei offiziellen Anlässen zu verbieten, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern – ein Erlass, der möglicherweise mit Herpes zusammenhing.

Während des größten Teils der menschlichen Vorgeschichte war die Übertragung von HSV-1 jedoch „vertikal“: Derselbe Stamm wurde von der infizierten Mutter auf das neugeborene Kind übertragen.

Auf 3.000 Proben kamen nur 4 Herpes-treffer

Trotz der heutigen Verbreitung des Virus beim Menschen sind  den Wissenschaftlern zufolge überraschend wenig antike Beispiele von HSV-1 zu finden. Die Forschenden haben insgesamt rund 3.000 DNA-Proben archäologischer Funde untersucht, hatten aber nur vier Herpes-Treffer. Dem Team gelang es, die virale DNA aus den Zahnwurzeln zu extrahieren.

Die Forschenden spürten Herpes in den Überresten von vier Individuen auf, die sich über einen Zeitraum von tausend Jahren erstreckten. Herpes tritt häufig in Verbindung mit Mundinfektionen auf: Mindestens zwei der Individuen hatten eine Zahnfleischerkrankung und ein drittes rauchte Tabak. Die älteste Probe stammte von einem erwachsenen Mann, der in der russischen Uralregion ausgegraben wurde und in der späten Eisenzeit vor etwa 1.500 Jahren lebte.

Zwei weitere Proben kamen aus Cambridge in Großbritannien. Es handelt sich um ein weibliches Exemplar aus dem 6. bis 7. Jahrhundert nach Christus von einem frühen angelsächsischen Friedhof einige Kilometer südlich der Stadt. Die andere Probe stammt von einem jungen erwachsenen Mann aus dem späten 14. Jahrhundert, der auf dem Gelände des mittelalterlichen Wohltätigkeitsspitals von Cambridge – dem späteren St. John‘s College – begraben wurde und unter entsetzlichen Zahnabszessen litt. 

Die letzte Probe stammte von einem jungen erwachsenen Mann, der in Holland ausgegraben wurde: Ein leidenschaftlicher Tonpfeifenraucher, der höchstwahrscheinlich bei einem französischen Angriff auf sein Dorf am Rheinufer im Jahr 1672 massakriert wurde.

Durch den Vergleich antiker DNA mit Herpesproben aus dem 20. Jahrhundert konnten die Wissenschaftler die Unterschiede analysieren, sowie eine Mutationsrate und damit einen Zeitrahmen für die Evolution des Virus abschätzen.

Zwei Drittel der Jüngeren haben Herpes

Guellil M, van Dorp L, Inskip SA, Dittmar JM, Saag L, Tambets K, Hui R, Rose A, D'Atanasio E, Kriiska A, Varul L, Koekkelkoren AMHC, Goldina RD, Cessford C, Solnik A, Metspalu M, Krause J, Herbig A, Robb JE, Houldcroft CJ, Scheib CL. Ancient herpes simplex 1 genomes reveal recent viral structure in Eurasia. Sci Adv. 2022 Jul 29;8(30):eabo4435.doi: 10.1126/sciadv.abo4435. Epub 2022 Jul 27. PMID: 35895820.

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