Was wir von den Finnen lernen können
In Deutschland gibt es mit die meisten Ärztinnen und Ärzten, aktuell sind es über 428.000. Rechnerisch versorgt jeder von ihnen rund 198 Menschen, was einer Verdopplung seit den 1980er Jahren gleichkommt. Doch stehen ländlich geprägte Bundesländer wie Brandenburg und Flächenländer wie Niedersachsen oder Bayern mit einer Quote von 230 bis 250 erheblich schlechter da.
Rund 13 Prozent der Mediziner gehen zudem bald in den Ruhestand. Die kommende Generation wünscht sich – anders als früher – flexible Arbeitszeiten und will am besten angestellt statt selbstständig arbeiten. Was tun? Auf der Suche nach Lösungen lohne sich ein Blick in den hohen Norden Europas, meinen Experten der Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK): Zum Beispiel nach Finnland! Hier leben auf einer fast so großen Fläche wie die Deutschlands gerade einmal 5,5 Millionen Menschen. Das Whitepaper „Finnland: Gesundheitsversorgung in der Fläche“ der SBK hat untersucht, was die Finnen im Vergleich zu uns Deutschen besser machen.
Wie die Autoren schreiben, trat Anfang 2023 in Finnland die letzte Phase einer Gesundheitsreform in Kraft, mit dem Ziel, die Versorgung effizienter zu machen. Die bis dahin 309 Kommunen und 20 Krankenhausbezirke wurden in diesem Zuge zu 21 Gesundheitsregionen plus Helsinki und die autonome Region Åland zusammengefasst, die auch finanziell für die Ausgestaltung der regionalen Versorgung verantwortlich sind.
130 Gesundheitszentren mit insgesamt 510 Standorten und unterschiedlichen medizinischen Fachkräften bilden demnach nun die erste Anlaufstelle für Patienten, um ihre Grundversorgung von akuten Fällen bis hin zu chronischen Krankheiten sicherzustellen.
Fachkräfte dürfen auch früher Ärzten vorbehaltene Tätigkeiten verrichten
Pflegefachkräfte spielen in den Zentren eine Schlüsselrolle, heißt es in dem Papier: „Sie sind die ersten Gatekeeper und entscheiden – in einer Art Triage – über das weitere Vorgehen, etwa ob eine ärztliche Untersuchung oder ärztlicher Rat vonnöten ist.“ Ausgebildet werden sie in Hochschulen für angewandte Wissenschaften und dann in Trainings weiterqualifiziert, um Erkrankte eigenständig zu betreuen und auch bestimmte Medikamente selbständig zu verschreiben.Außerdem kommen neue Gesundheitsberufe wie „Nurse Practitioners“ oder „Physician Assistants“ zum Einsatz, die auch früher Ärztinnen und Ärzten vorbehaltene Tätigkeiten verrichten dürfen.
Das sollten wir nachmachen!
Strukturen vor Ort stärken: „Entscheidungen sollten dort getroffen werden, wo die Versorgung stattfindet.“ Darum sei es wichtig, regionale Initiativen zu fördern und den (vertraglichen) Handlungsspielraum für die Beteiligten vor Ort zu erweitern.
Arztunterstützende Berufe ermächtigen: Mit dem steigenden Fachkräftemangel stelle sich die Frage, welche Aufgaben Pflegekräfte künftig selbstständig übernehmen und wie neue Berufe wie Community Nurses oder Physician Assistants die Branche entlasten können.
Digital vernetzen: „Technologie kann die Versorgungskonzepte in einer Region zu einem funktionierenden Ganzen zusammenfügen.“ So erleichtere eine gelebte „ePA für alle“ die interdisziplinäre Zusammenarbeit und sorge für Transparenz in allen Phasen einer Behandlung. Telemedizin dürfe für Praxen nicht zusätzlich kommen, sondern müsse Hausbesuche oder Konsultationen vor Ort ersetzen.
Gesund und selbst kompetent: Die Kompetenz, gute Entscheidungen für die eigene Gesundheit zu treffen, stärke den Einzelnen und auch die Resilienz unseres Systems. „Deshalb müssen wir mehr als bisher dafür sorgen, dass Gesundheitsinformationen jederzeit einfach und verständlich verfügbar sind.“
Whitepaper der SBK „Finnland: Gesundheitsversorgung in der Fläche“
Ein Wermutstropfen: Es gibt keine freie Arztwahl. Umd beim Besuch eines Gesundheitszentrums ist eine finanzielle Beteiligung fällig. Ambulante Behandlungen und die Pflege zu Hause sind danach die Regel, stationäre Behandlungen die Ausnahme. Chronisch Erkrankte und ältere Pflegebedürftige werden daheim von mobilen Teams versorgt, die von den zuständigen Gesundheitszentren gelenkt werden.
Ein Wermutstropfen: Es gibt keine freie Arztwahl
Insgesamt setzt das Land sehr stark darauf, dass die Bevölkerung selbst Verantwortung für die eigene Gesundheit übernimmt: „Gesundheitskompetenz wird bereits in der Schule gelehrt. Arbeitgeber sind verpflichtet, betriebliches Gesundheitsmanagement anzubieten“, betonen die Forschenden.
Das finnische Gesundheitswesen sei außerdem konsequent durchdigitalisiert. So ist die elektronische Patientenakte schon seit mehr als 20 Jahren Herzstück des Systems. Seit mehr als zehn Jahren lassen sich die Finnen Rezepte für Medikamente digital ausstellen. „Alle Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen, auch private Anbieter, sind verpflichtet, die ePA zu nutzen“, heißt es in dem Whitepaper. „Die Bürgerinnen und Bürger können so zu jeder Zeit alle über sie gespeicherten Daten einsehen.“