Wen der Klimawandel besonders krank macht
Dass Klimawandel und Gesundheit stark zusammenhängen, zeigt der aktuelle Versorgungs-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Am Beispiel der zunehmenden Hitzeperioden hat das Klimaforschungsinstitut Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) für den Report untersucht, wie viele Krankenhauseinweisungen in den Jahren 2008 bis 2018 auf die Hitze zurückzuführen waren.
Jeder vierte AOK-Versicherte über 65 Jahre sei demnach überdurchschnittlich gefährdet, an heißen Tagen gesundheitliche Probleme zu bekommen und deshalb ins Krankenhaus zu müssen, erklärte Dr. Nicolas Koch, Leiter des Policy Evaluation Lab am MCC, heute bei der Vorstellung des Reports vor der Presse in Berlin. An Tagen mit über 30 Grad Celsius sei es hitzebedingt zu drei Prozent mehr Krankenhauseinweisungen in dieser Altersgruppe gekommen.
Besonders gefährdet: Menschen mit Demenz und Alzheimer
Besonders hitzegefährdet sind dem Report zufolge Menschen mit Demenz und Alzheimer oder etwa Niereninsuffizienz, Depressionen, Diabetes und chronischen Atemwegserkrankungen. Vor allem ältere Männer mit Vorerkrankungen sind betroffen. Bei dem am stärksten gefährdeten Prozent der über 65-Jährigen wurden bis zu 550 weitere Klinikeinweisungen je Million Älterer erreicht – rund das 14-fache des Durchschnitts von 40 Einweisungen. Wenn die Erderwärmung ungebremst voranschreitet, dann könnte sich den Berechnungen des Reports zufolge bis zum Jahr 2100 die Zahl der hitzebedingten Klinikeinweisungen versechsfachen.
Komplexe Faktoren, regionale Unterschiede
Jedoch wird laut Report die gesundheitliche Gefährdung nicht allein durch Hitze beeinflusst. Es spielen auch eine Reihe komplexer Faktoren eine Rolle, darunter biologische, ökologische, medizinische, soziale und geografische. So zeigt sich etwa im regionalen Vergleich ein heterogenes Bild: Menschen, die besonders hitzegefährdet sind, leben nicht zwangsläufig in den am meisten von Hitze betroffenen Regionen. Im besonders heißen Jahr 2018, in dem in vielen Regionen die 40-Grad-Marke überschritten wurde, kristallisierten sich Hotspots entlang zweier geografischer West-Ost-Bänder heraus: Eines zog sich vom Weser-Ems-Gebiet zur Niederlausitz und ein zweites vom Rhein-Main-Gebiet nach Niederbayern.
Klimaschutz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
„Klimaschutz ist aktiver Gesundheitsschutz“, schlussfolgerte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, aus dem Report. „Wir müssen alle mehr dafür tun, die gesundheitlichen Auswirkungen schädlicher Umwelteinflüsse zu reduzieren.“ Für ihn sei Klimaschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Er kündigte an, in den nächsten drei Jahren in der AOK-Welt ein Maßnahmenpaket umsetzen, um den CO2-Fußabdruck verbessern zu helfen.
Das reiche von der Umstellung der Stromversorgung auf Grünstrom über das Mobilitätsmanagement bis hin zur Schaffung von mehr Sensibilität für ein klimafreundliches Verhalten in der Belegschaft. Auch im Vertragsbereich sollen Aspekte von Nachhaltigkeit mehr Bedeutung erhalten, so etwa im Arzneimittelbereich. Seit 2020 habe die AOK mit der gesonderten Ausschreibung für antibiotische Wirkstoffe neue Standards für Versorgungssicherheit und Umweltschutz gesetzt, sagte Litsch.
Hoher Informationsbedarf in der Bevölkerung
Der Report untersuchte auch, welche Rolle der Klimawandel im Bewusstsein der Bevölkerung spielt. Dazu wurden in einer deutschlandweiten Online-Erhebung zwischen dem 1. und 17. September 2020 rund 3.000 Frauen und Männer im Alter von 18 bis 86 Jahren nach ihrem Informationsstand, nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen, zu ihrem Schutzverhalten und zur Nutzung von Warn- und Informationsdiensten befragt.
Die Ergebnisse zeigen laut Christian Günster, Leiter des Bereichs Qualitäts- und Versorgungsforschung beim WIdO, dass ein deutlicher Informationsbedarf besonders bei Klimaauswirkungen besteht, die nicht oder weniger direkt erlebt werden. Das zeige sich beim Schutzverhalten: Während Hitze-Schutzverhalten breit verankert zu sein scheine, sei die Umsetzung von Schutzmaßnahmen bei Belastung durch UV-Strahlen, Luftschadstoffen und Pollen steigerungsfähig. Warn- und Informationsdienste würden generell noch wenig genutzt.
Günster, C., Klauber, J., Robra, B.-P., Schmuker, C. und Schneider, A. (Hrsg) (2021) Versorgungs-Report: Klima und Gesundheit . Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.https://mwv-open.de/site/chapters/e/10.32745/9783954666270-5/ _blank external-link-new-window