Zähne in Redewendungen

Wenn Raffzähne auf Granit beißen

ck
Gesellschaft
Nicht nur für Zahnärzte, auch für Sprachwissenschaftler sind Zähne spannend, weil sich von ihnen viele – bissige – Redensarten ableiten. Ihre wichtigsten Aufgaben – Fressen, Kämpfen und Kommunikation – treten auch in Metaphern auf.

Fachleute sprechen hier von „Metaphern“, was einfach nur „Übertragungen“ heißt: Man überträgt das, was man über die wohlbekannten Zähne weiß, in abstraktere Bereiche wie Auseinandersetzungen und Emotionen. Die drei wichtigsten Aufgaben der Zähne sind Fressen, Kämpfen und Kommunikation.

1. Metaphern der Nahrungsaufnahme

Die Nahrungsaufnahme von Säugetieren erfolgt durch Abbeißen und Kauen, bei härteren Brocken dann durch Nagen und Knabbern, Raspeln und Schaben, Zerknacken und Zermalmen. Mit den Eckzähnen, die Beutegreifern als Fangzähne den Tötungsbiss erlauben, können NäherInnen immerhin noch einen Faden zielsicher abbeißen. Dass unsere Vorfahren häufig Hunger litten, lässt sich an einschlägigen Wendungen ablesen.

  • am Hungertuch nagen, das Essen reicht nicht für einen hohlen Zahn

  • lange Zähne kriegen (vgl. Stielaugen), jemandem lange Zähne machen

  • mehr Futter zwischen die Zähne (Kiefer) brauchen

Das gründliche Kauen, das Speisen leichter verdaulich macht, kann auch in Übertragungen nützlich sein, wird aber oft übertrieben. Besonders bedenklich hierbei ist der „Wiederkäuer“, denn während Rinder ihre eigenen Bissen nach Hochwürgen erneut bearbeiten, tut dies der unkreative Nachbeter mit Bissen, die andere bereits vorgekaut haben. Ähnlich unappetitlich sind übrigens „abgelutschte Themen“, selbst wenn man sie sorgsam „aufwärmt“...

  • sich in ein Problem verbeißen, sich durchbeißen

  • auf Enttäuschungen herumkauen, Kummer in sich hineinfressen

  • verbissen arbeiten, trockene Formeln immer wieder durchkauen

  • wiederkäuen

Verwerflich hingegen ist die Gier, die im Christentum als Todsünde und sogar als Wurzel allen Übels gilt („cupiditas est radix malorum“, 1. Brief des Paulus an Timotheus 6, 10).

  • mehr abbeißen als man kauen kann

  • nach jedem Bissen schnappen

  • Raffzahn (vgl. Gierschlund), Kilometerfresser

In weiteren Ableitungen wird eine Person von inneren Kräften gebissen oder man schreibt sogar unbelebten Objekten solche Beiß- und Schlinggelüste zu.

  • Gewissensbisse, nagende Zweifel

  • der Zahn der Zeit nagt

  • Sprit-, Stromfresser

2. Metaphern des Droh- und Aggressionsverhaltens

Ihre zweite wichtige Funktion haben Zähne beim Droh- und Aggressionsverhalten. Viele Säugetiere ziehen die Lippen zurück, so dass die Zähne gut sichtbar sind. Sehr beeindruckend, wenn dazu noch gefaucht wird! Es gibt sogar zwei spezielle Verben: Man kann die Zähne „fletschen“ oder „blecken“. Eine bunte Fülle von Übertragungen beschreibt das ganz ähnliche Verhalten im Menschenreich, wobei sogar der Giftzahn der Schlangen auftaucht:

  • bissige Bemerkungen, beißende Ironie, ein Witz hat Biss

  • energisch: Haare auf den Zähnen haben (weil Haare Zeichen für Kraft sind)

  • undankbar: die Hand beißen, die einen füttert

  • zänkisch: stutenbissig, Bissgurn (bayrisch: zänkische Frau)

  • sich mit Zähnen und Klauen verteidigen, bis an die Zähne bewaffnet

  • Angstbeißer (ein in die Enge getriebener Feigling)

  • sich hochbeißen, Rivalen wegbeißen

  • Eisen-, Katholiken-, Ketzer-, Kommunistenfresser

  • brutal: keine Beißhemmung haben, einen Maulkorb brauchen, einander zerfleischen

  • Giftzahn (ein gemeiner Mensch)

Einige Wendungen beschreiben die Beziehung zwischen Jäger und Beute als Naturgesetz und entschuldigen damit auch die Unterdrückung von Menschen durch Menschen. Genannt werden vor allem vor allem große Beutegreifer mit beeindruckendem Gebiss.

  • Fressen oder gefressen werden.

  • Die großen Fische fressen die kleinen.

  • Wer sich zum Schaf macht, den fressen die Wölfe.

  • Miethai, Raubtierkapitalismus

Schließlich können sogar unbelebte Objekte aggressiv auftreten:

  • die Farben beißen sich

In zahlreichen Gegenbeispielen ist entweder das Subjekt zu schwach oder der äußere Widerstand zu groß, wobei in harmlosen Fällen nur der Geschmack schlecht ist.

  • zahnlose Verteidigung, zahnlose Satire

  • Mümmelgreis (kann nur weiche Nahrung zu sich nehmen)

  • an einer Niederlage zu knabbern haben, in den sauren Apfel beißen müssen

  • sich an einem Problem die Zähne ausbeißen, auf Granit beißen

  • auf dem Zahnfleisch daherkommen, nur ein zahnloser Tiger sein

Ein Sonderfall sind Wendungen mit der Ursprungsdomäne Fischfang: Man kann bei jemandem „anbeißen“ oder „in Beißlaune“ sein wie ein Fisch. Die passive Wendung „zum Anbeißen“ hingegen vergleicht das Flirten mit der Nahrungsaufnahme, wobei man (politisch ganz inkorrekt) auch vom „Vernaschen“ appetitlicher „Sahneschnittchen“ spricht.

  • zum Anbeißen sein

  • jemanden zum Fressen gern haben, jemanden mit den Augen auffressen

3. Metaphern der Kommunikation

Der dritte wichtige Bereich ist die aussagekräftige Mimik des menschlichen Mundes, denn das Zusammenpressen von Lippen und Zähnen kann vielerlei ausdrücken. Beim Zähneknirschen und Zähneklappern kommt verstärkend ein eindringliches Geräusch hinzu.

  • Beherrschung: die Zähne zusammenbeißen, sich das Lachen (den Schmerz) verbeißen

  • Widerwille, Wut: zähneknirschend den Müll wegbringen

  • Ekel: mit langen Zähnen essen oder kauen

  • Angst: unter Zähneklappern in den Keller gehen

  • Mundfaulheit: die Zähne nicht auseinander bekommen

Sogar die speziellen Handlungen von Zahnärzten sind in der Metaphorik produktiv. Die beiden gebräuchlichen Wendungen beschreiben sehr eindringliche Handlungen dem Partner gegenüber, die ähnlich an die Substanz gehen wie ihre Urbilder auf dem Zahnarztstuhl.

  • jemandem auf den Zahn fühlen (ausfragen, aushorchen)

  • jemandem einen Zahn ziehen (eine Illusion nehmen, einen Wunsch ausreden)

4. Sonderfälle

In einigen Wendungen geht es um die charakteristische Form der Zähne, die punktuell auf Pflanzen und technische Objekte übertragen wird. So ist der Ausdruck „gezähnt“ ein Fachausdruck der Botanik, der eine bestimmte Randstruktur von Blättern beschreibt. Allgemein bekannt ist sie beim Löwenzahn, der dieser Zähnung sogar seinen volkstümlichen Namen verdankt.

Im technischen Bereich kennen auch Laien den Baggerzahn, der sich durch Kohleflöze oder Erdschichten frisst. Seine Rolle bei der Veränderung der Stadt beschreibt sehr einprägsam die Bildmappe 'Hier fällt ein Haus, dort steht ein Kran und ewig droht der Baggerzahn' (Jörg Müller und Heinz Ledergerber, Sauerländer 1976).

Das Zahnrad liefert Wendungen, die nur irrtümlich manchmal dem Gebiss zugeschrieben werden. Wörterbücher leiten „einen Zahn zulegen“ vom Zahnkranz eines Handgashebels ab, mit dem man die Geschwindigkeit erhöht. Der Querverweis auf die schnellen Bewegungen von Affen drückt dann eine zusätzliche Steigerung aus.

  • einen Zahn zulegen

  • mit einem Affenzahn unterwegs sein

Einen geeigneten Abschluss bietet schließlich noch die Wendung „ins Gras beißen“ als saloppe Umschreibung von „sterben“. Sie nimmt ebenso wie „die Radieschen von unten betrachten“ Bezug auf den neuen unterirdischen Wohnort.

Prof. Dr. Dagmar Schmauks,Arbeitsstelle für SemiotikTU BerlinFraunhoferstr. 33-36, 10587 Berlin

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.