US-Studie zum Imposter-Syndrom unter Ärzten

Wenn Selbstzweifel die Lebensfreude nehmen

mg
Gesellschaft
Ärzte leiden viel häufiger unter dem Imposter- oder „Hochstapler“-Syndrom als vergleichbar gut ausgebildete Teile der Allgemeinbevölkerung, zeigt eine US-Studie. Das erhöht auch das Burn-out- und Suizidrisiko.

Die Querschnittsumfrage wurde zwischen dem 20. November 2020 und dem 16. Februar 2021 unter Ärzten und Arbeitnehmern in den USA durchgeführt. Dabei wurde eine etablierte 20-Punkte-Skala (Clance Imposter Phenomenon Scale) verwendet, bei der die Befragten angeben, wie gut jeder Punkt ihre Erfahrung auf einer Fünf-Punkte-Skala charakterisiert. Dabei reichen die Optionen von „überhaupt nicht“ bis „sehr wahr“. Die einzelnen Punktewerte von 1 bis 5 ergeben addiert einen Gesamtscore. Je höher dieser Wert, desto häufiger und schwerwiegender greift das Imposter-Phänomen (IP) in das Leben eines Menschen ein. Für die Studie wurden nur beruflich aktive Ärzte im Alter zwischen 29 und 65 Jahren herangezogen.

Akademiker sind besonders gefährdet

Das 1978 von Suzanne Imes, Ph.D., und Pauline Rose Clance, Ph.D., erstmals beschriebene Imposter-Syndrom (IS) ist ein verhaltensbezogenes Gesundheitsphänomen, das als Selbstzweifel an Intellekt, Fähigkeiten oder Leistungen bei leistungsstarken Personen beschrieben wird. Diese Personen können ihren Erfolg nicht verinnerlichen und verspüren in der Folge ein allgegenwärtiges Gefühl von Selbstzweifeln, Ängsten, Depressionen und/oder der Befürchtung, bei ihrer Arbeit als Betrüger entlarvt zu werden, obwohl ihr Erfolg nachprüfbar und objektiv belegt ist. Die Begriffe Imposter-Syndrom und Imposter-Phänomen (IP) werden synonym verwendet, wobei IP in der neueren Literatur häufiger verwendet wird.

Die am häufigsten mit dem Imposter-Syndrom in Verbindung gebrachten Gruppen bestehen typischerweise aus leistungsstarken Personen und scheinen in Akademikern, insbesondere im Gesundheitswesen, überproportional häufig anzutreffen. Es besteht ein besonderes Interesse an der Untersuchung dieses Phänomens in der Medizin, da ein nachgewiesener Zusammenhang zwischen IP und anderen verhaltensbezogenen Gesundheitsstörungen besteht, darunter Burnout, Depression, Angstzustände und die Verschlimmerung anderer verhaltensbezogener Gesundheitsprobleme.

Huecker MR, Shreffler J, McKeny PT, Davis D. Imposter Phenomenon. 2023 Apr 9. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2023 Jan–. PMID: 36251839, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36251839/

Ergebnisse: Von den 3.237 Ärzten beantworteten 3.116 (96,3 Prozent) die IP-Fragen. 4 bis 10 Prozent von ihnen bestätigten jeden Punkt als „sehr zutreffende“ Charakterisierung ihrer Erfahrung. Insgesamt lagen 40,4 Prozent im minimalen, 36,4 Prozent im moderaten, 17,4 Prozent im häufigen und 5,8 Prozent im intensiven IP-Bereich.

Die mittleren IP-Werte waren bei Ärztinnen höher als bei Ärzten. Die Werte nahmen mit zunehmendem Alter ab und waren bei verheirateten und verwitweten Personen niedriger. Die Werte variierten auch je nach Fachgebiet, wobei die höchsten Werte bei pädiatrischen Fachärzten, allgemeinen Kinderärzten und Notärzten und die niedrigsten Werte bei Augenärzten, Radiologen und orthopädischen Chirurgen festgestellt wurden.

Bei Personen mit einem höheren IP-Grad wurden höhere mittlere Werte für emotionale Erschöpfung und Depersonalisierung beobachtet. Die Werte für die berufliche Erfüllung waren bei Personen mit einem höheren IP-Grad niedriger. Die Prävalenz von Suizidgedanken nahm mit höheren IP-Werten zu.

Ein ausgeprägtes Hochstapler-Syndrom verdoppelt das Burn-out und Suizid-Risiko

Das Imposter-Phänomen war laut statistischer Auswertung unabhängig mit dem Burn-out-Risiko verbunden, nachdem Alter, Geschlecht, Beziehungsstatus, Fachgebiet, wöchentliche Arbeitsstunden und Praxisumgebung berücksichtigt wurden. Im Vergleich zu Personen mit niedrigen IP-Werten betrug das Odds Ratio (OR) für Burn-out bei Personen mit mäßiger, häufiger und intensiver IP 1,28 (Konfidenzintervall 95 Prozent 1,04 bis 1,58), 1,79 (1,38 bis 2,32), 2,13 (1,43 bis 3,19).

IP war auch unabhängig davon mit einer geringen beruflichen Erfüllung verbunden, nachdem dieselben Faktoren berücksichtigt wurden: Im Vergleich zu denjenigen mit niedrigen IP-Werten betrug der OR für hohe berufliche Erfüllung bei denjenigen mit mäßigem, häufigem und intensivem IP 0,58 (0,48 bis 0,70), 0,41 (0,31 bis 0,53) und 0,40 (0,26 bis 0,62). Das Imposter-Phänomen wurde auch unabhängig mit Suizidgedanken (Suicidal ideations, SI) in Verbindung gebracht: Im Vergleich zu denen mit niedrigen IP-Werten betrug die OR für SI bei denjenigen mit mäßiger, häufiger und intensiver IP 1,29 (0,86 bis 1,97), 2,21 (1,41 bis 3,49) und 2,62 (1,46 bis 4).

Im Vergleich zu Arbeitnehmern in anderen Bereichen waren Ärzte – nach Bereinigung um Alter, Geschlecht, Beziehungsstatus, wöchentlich geleistete Arbeitsstunden – deutlich häufiger von ihren Leistungen enttäuscht (OR: 1,31; 1,17 bis 1,47). Ärzte hatten auch ein höheres IP-Risiko (OR: 1,81; 1,32 bis 2,48), wenn die Analyse auf Ärzte und Arbeitnehmer mit Doktortitel oder gleichwertigem Abschluss beschränkt wurde.

Entlarvt das Bild von Ärzten als Übermenschen!

Angesichts der hohen Prävalenz von IP-Erfahrungen bei Ärzten sehen die Autoren die Notwendigkeit, gezielter gegenzusteuern. Anstrengungen zur Eindämmung dieses Phänomens auf der Ebene des Berufsstandes, der Gesundheitsorganisationen und der einzelnen Ärzte seien erforderlich, heißt es. Zu diesen Bemühungen sollte die Entlarvung kollektiver Einstellungen gehören, die Ärzte als Übermenschen darstellen, die Arbeit dauerhaft über die menschlichen Grundbedürfnisse stellen und die Suche nach Hilfe als Schwäche stigmatisieren.

„Solche Einstellungen können durch eine Kultur der Authentizität und Verletzlichkeit während des Medizinstudiums und der Facharztausbildung sowie durch bewusste Ansätze zur Reduzierung des geistigen Eigentums bei Ärzten in der Praxis ersetzt werden", schreiben die Autoren. Um die IP-Prävalenz und die damit verbundene persönliche und berufliche Belastung zu verringern, seien ganzheitliche Anstrengungen erforderlich, weil es darum gehe, die beruflichen Normen, perfektionistischen Einstellungen und Systemfaktoren anzugehen, die zu diesem Phänomen beitragen, lautet ihr Fazit.

Die Autoren verweisen auf mehrere mögliche Einschränkungen: Obwohl die Größe der Stichprobe sowie die Ergebnisse einer Sekundärumfrage darauf schließen lassen, dass die Teilnehmer repräsentativ für US-Ärzte waren, seien Verzerrungen möglich.

Tait D. Shanafelt et al, Imposter Phenomenon in US Physicians Relative to the US Working Population, Mayo Clinic Proceedings, Volume 97, ISSUE 11, P1981-1993, November 2022, DOI: https://doi.org/10.1016/j.mayocp.2022.06.021

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