Wie das Gehirn Ablenkungen ausblendet
Um zu untersuchen, wie dem Gehirn dies gelingt, brachten Neurobiologen der Universität Tübingen Rhesusaffen in eine vergleichbare Situation: Die Tiere mussten sich die Anzahl an Punkten in einem Musterbild merken und wenig später wiedergeben.
Während der Merkphase wurde kurz ein Störreiz eingeblendet, der eine andere Anzahl anzeigte. Obwohl es den Affen gelang, diesen Störreiz weitgehend zu ignorieren, wurden sie doch abgelenkt - ihre Gedächtnisleistungen verschlechterten sich.
Bei gleichzeitigen Messungen der elektrischen Aktivität von Nervenzellen aus zwei für das Arbeitsgedächtnis wichtigen Hirnarealen zeigte sich Überraschendes: Nervenzellen im Stirnlappen (Präfrontalkortex) signalisierten den Störreiz während seiner Präsentation, stellten aber nach Abschalten des Störreizes sofort wieder die Information über die relevante Punkteanzahl her. Demgegenüber zeigten sich Nervenzellen im hinteren Scheitellappen (Parietalkortex) unbeeindruckt vom Störreiz und signalisierten zuverlässig die Information über die wichtige Punkteanzahl.
Hirnareale haben verschiedene Strategien
Diese Ergebnisse liefern den Forschern wichtige Erkenntnisse über die Strategien und die Aufgabenteilung von Hirnbereichen beim Ausführen von Aufgaben des Arbeitsgedächtnisses. „Verschiedene Hirnareale scheinen bei der Ausblendung von Störreizen unterschiedliche Strategien zu verwenden“, erklärt Dr. Simon Jacob, vormals an der Uni Tübingen und mittlerweile an der Charité Berlin.
„Während Nervenzellen im Scheitellappen den Störreiz einfach unterdrücken, lassen sich die Nervenzellen im Präfrontalkortex kurzzeitig ablenken, um anschließend sofort wieder den eigentlich wichtigen Gedächtnisinhalt herzustellen.“
Unterschiedlich empfindlich gegenüber Störreizen
Die Forscher überraschte vor allem die unterschiedliche Empfindlichkeit der beiden Hirnareale gegenüber Störreizen. „Bisher war man davon ausgegangen, dass der Präfrontalkortex in der Lage ist, alle Arten von Störreizen herauszufiltern, während der Scheitellappen für anfällig gegenüber Störungen gehalten wurde”, fügt Studienleiter Prof. Andreas Nieder hinzu. „Unsere Ergebnisse erfordern ein Umdenken. Die Aufgaben und Strategien der jeweiligen Hirnareale sind bei der Speicherung von Inhalten im Arbeitsgedächtnis anders verteilt als gedacht.”
Simon Jacob, Andreas Nieder: Complementary Roles for Primate Frontal and Parietal Cortex in Guarding Working Memory from Distractor Stimuli. Neuron, 2. Juli 2014, DOI: dx.doi.org/10.1016/j.neuron.2014.05.009