Wie lernen Praxen voneinander?
"Digitale anonyme Melde- und Berichtssysteme können zwar grundsätzlich den Umgang mit unerwünschten Ereignissen und Fehlern in Praxen verbessern. Um die Patientensicherheit nachhaltig zu fördern, sollten jedoch flankierende Maßnahmen greifen." Das ergab ein Pilotprojekt der Techniker Krankenkasse zusammen mit dem Institut für Allgemeinmedizin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main (IfA) und dem Gesundheitsnetz Qualität und Effizienz (QuE) Nürnberg. Im Projekt wurde ein solches digitales, praxisübergreifendes Berichts- und Lernsystem mit 69 Praxen des Netzwerks im Alltag erprobt. In der Fachwelt werden diese Systeme als CIRS (Critical Incident Reporting Systems) bezeichnet.
Das wissenschaftlich begleitete Projekt der TK ergab: Damit Praxen im Alltag voneinander lernen, benötigen sie ein gemeinsames Verständnis von Fehlern und Know-how, wie man mit ihnen umgehen und sie vermeiden kann. Erst dann kann eine Online-Berichtsplattform sinnvoll genutzt werden. Wichtig hierfür sei ein Mix flankierender Maßnahmen wie Schulungen, Workshops und einem offenen Austausch im Praxisteam, resümierten die Projektleiter.
Lernen über den gemeinsamen Austausch
Der Umgang mit Fehlern hat sich im Verlauf des Projekts positiv verändert, wie das Projekt aufzeigte. Insgesamt 89 Prozent der Ärzte und des Praxispersonals gaben in der Abschlussbefragung an, dass sie in Teamsitzungen über kritische Ereignisse gesprochen haben. 60 Prozent berichteten, dass ihre Praxis ein Verzeichnis über derartige Vorkommnisse führt, zum Beispiel ein Fehlerbuch. Zu Beginn des Pilotprojekts waren es nur 28 Prozent. Auch Schulungen zum Thema Risikomanagement wurden gut angenommen. Insgesamt zeigten sich 55 Prozent der Haus- und Fachärzte sowie des Praxispersonals nach der Projektphase zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit dem Risikomanagement ihrer Praxis.
Während des Projekts hatten die Praxen Newsletter, Erinnerungs-E-Mails und Publikationen auf der Online-Plattform des Berichts- und Lernsystems zur Patientensicherheit erhalten. Außerdem wurden die Ärzte und medizinischen Fachangestellten in Schulungen, Workshops und Präsentationen in den netzinternen Fachzirkeln an das Thema Fehlermanagement herangeführt.
Während sich die Ärzte und ihre Teams im Projektverlauf verstärkt praxisintern über Fehler und deren Ursachen austauschten, nahm das Interesse an der Online-Berichtsplattform ab. Die Praxisteams schätzten ihre praxisinternen Fehler und Probleme als zu spezifisch ein. Sie hielten das System auch für zeitaufwendig und schwierig nutzbar im Praxisalltag.
"Das Projekt zeigt, dass wir einen integrierten Ansatz verfolgen müssen, um Patientensicherheit in der ambulanten Versorgung nachhaltig zu fördern.“, erklärte der Projektleiter, Hardy Müller vom Wissenschaftlichen Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG) dazu. Allein ein digitales praxisübergreifendes Berichtssystem reiche nicht aus. Wichtig sei der Rahmen, in dem das Thema Patientensicherheit beschrieben werde. Dazu gehörten zum Beispiel regelmäßige Schulungen, ein Peer-Review, also der Austausch auf Kollegen-Ebene, überzeugte Praxis-Leitungen und praxisinternes Know-how, um Fehler sinnvoll zu analysieren und daraus Maßnahmen zu entwickeln.
Neben der zunehmenden Offenheit der Praxisteams im Umgang mit Fehlern seien auch klar die Hindernisse zum Vorschein gekommen. Müller: "Oft hapert es an einem einheitlichen Fehler-Verständnis sowie der Wahrnehmung der Ursachen und der eigenen Rolle in der Fehlervermeidung."
CIRS dent: das Fehlermeldesystem für die Zahnarztpraxis
Ein Fehlermeldesystem existiert im zahnärztlichen Bereich schon lange. Es entspricht den Anforderungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), die er in seiner Qualitätsmanagement-Richtlinie 2014 formuliert hat: Das zahnärztliche Berichts- und Lernsystem „CIRS dent – Jeder Zahn zählt!“ bietet für Zahnarztpraxen ein eigenes Lernsystem an. Es wird von BZÄK und KZBV gemeinsam getragen und richtet sich an alle Zahnärzte. Sie können unter www.cirsdent-jzz.de auf freiwilliger Basis anonym und sanktionsfrei über unerwünschte Ereignisse aus ihrem Praxisalltag berichten und sich mit Kollegen austauschen.
"Das Berichts- und Lernsystem der Zahnärzteschaft 'CIRS dent - Jeder Zahn zählt!' ist zu Beginn des Jahres 2016 online geschaltet worden. Die positive Zwischenbilanz zeigt mittlerweile rund 5.400 Mitglieder und 140 Erfahrungsberichte“, erklärt ZA Martin Hendges, Stellvertretender Vorsitzender der KZBV. „Insofern besteht die Bereitschaft der Zahnärzte, hier mitzumachen. Ziel ist, Abläufe und Prozesse in den Praxen zu optimieren und unerwünschte Ereignisse zu minimieren. CIRS dent-JZZ! bietet dabei die Möglichkeit, von den Erfahrungen anderer zu lernen. Die Erfahrungsberichte werden systematisch analysiert und ausgewertet. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Bedingungen, die unerwünschte Ereignisse verursachen oder begünstigen. So können Instrumente zur Vermeidung von unerwünschten Ereignissen und zur Verbesserung der Sicherheit in den Praxen, aber auch beispielsweise in Universitätszahnklinken entwickelt werden. Das Ganze geschieht mit großer Vertraulichkeit nach innen und mit Transparenz nach außen. Insgesamt hat sich bewährt, dass Zahnärzte ein eigenes CIRS-System haben, dass ausschließlich für sie relevante Themen enthält."
"Berichts- und Lernsysteme leben vom regelmäßigen Austausch der zahnärztlichen Kollegen und es ist sinnvoll, sich daran zu beteiligen“, ergänzt BZÄK-Vizepräsident Prof. Dr. Christoph Benz. „Der offene Umgang mit unerwünschten Ereignissen hilft dem Zahnarzt im Praxisalltag. Die regelmäßige Nutzung der CIRS dent - JZZ!-Datenbank belegt das Interesse der Zahnärzte, die Zahl der dort eingestellten Erfahrungsberichte entwickelt sich erfreulich nach oben. Derzeit erarbeiten wir einen neuen Flyer und eine Musteranzeige, um das Projekt noch stärker in den Fokus der Kollegenschaft zu rücken. Gute Erfahrungen mit dem Projekt zeigen sich auch bei Fortbildungsveranstaltungen. Dort stößt es auf immer wieder großes Interesse. Auch in Qualitätszirkeln bringt die Diskussion über das Projekt viel Resonanz. Es zeigt sich: Berichts- und Lernsysteme von Zahnärzten für Zahnärzte wirken."