"Wir können große Fortschritte machen"

mg
Die Weiterentwicklung der Versorgung von pflegebedürftigen Menschen ist Thema einer Fachtagung von KBV, KZBV und BAGFW am 27. April in Berlin. Eine Standortanalyse von KZBV-Chef Dr. Wolfgang Eßer.

Herr Dr. Eßer, in puncto Mundgesundheit ist Deutschland im internationalen Vergleich Spitzenreiter, selbst bei den 65- bis 74-Jährigen sinkt der DMFT-Wert. Warum braucht es da noch weitere Anstrengungen?

Dr. Wolfgang Eßer:In diese Statistik gehen sowohl die sehr aktiven Älteren ein, die kontrollorientiert zum Zahnarzt gehen und eine intensive Mundhygiene betreiben, als auch Pflegebedürftige. Diese haben allerdings eine deutlich schlechtere Mundgesundheit. Zahlreiche Studien belegen dies. Wir können das auch an der Inanspruchnahme der Versicherten ablesen, was etwa im Barmer-GEK-Pflegereport 2014 dokumentiert ist.

Die Herausforderung für die betroffene Patientengruppe besteht darin, dass der Leistungskatalog der GKV auf Annahmen basiert: dass erstens jeder Erwachsene selbstverantwortlich Mundhygiene betreiben kann,  dass er zweitens aus eigener Kraft regelmäßig eine Zahnarztpraxis aufsuchen kann und dass drittens ein Patient bei der Untersuchung und der Behandlung mit dem Zahnarzt kooperieren kann. Der Katalog basiert also auf dem Grundprinzip Eigenverantwortung.

Diese Systematik funktioniert hervorragend für Erwachsene ohne Einschränkungen. Aber viele Pflegebedürftige erfüllen diese Voraussetzungen nicht oder zumindest nicht vollständig. Ihnen ist damit der Zugang zu bedarfsgerechten Leistungen versperrt. Das ist sozial ungerecht, das Grundprinzip Eigenverantwortung funktioniert hier nicht und muss daher durch solidarische Maßnahmen ausgeglichen werden.

Immerhin hat der Gesetzgeber den akuten Handlungsbedarf erkannt und für die Betroffenen einen gesetzlichen Anspruch auf aufsuchende zahnmedizinische Betreuung geschaffen. Gibt es bereits spürbare Effekte?

Der Gesetzgeber hat mit dem Versorgungsstrukturgesetz und mit dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz erste Schritte zur Verbesserung der Situation unternommen. Er hat für die Betroffenen einen gesetzlichen Anspruch auf aufsuchende zahnmedizinische Betreuung geschaffen, der in § 87 Abs. 2i für die aufsuchende Versorgung vor allem zu Hause und § 87 Abs. 2j in Verbindung mit § 119b SGB V in Form von Kooperationsverträgen mit Pflegeeinrichtungen verankert wurde. Damit wird es einfacher, dass der Zahnarzt zum Patienten kommt, wenn der Patient nicht mehr zum Zahnarzt kommen kann. Ein Jahr nach dem Inkrafttreten am 1. April 2014 sind Ende März 2015 nun bundesweit bereits 2.033 Kooperationsverträge abgeschlossen - damit ist eine Abdeckung von 16,5 Prozent aller stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland erreicht

Durch die neuen Leistungspositionen und die Kooperationsverträge hat die aufsuchende Versorgung erheblich zugenommen. Im Jahr 2012 – bevor die Leistungen in Kraft traten – hatten wir ca. 650.000 Besuche, ein Jahr später bereits ca. 725.000 und im Jahr 2014 ca. 790.000 Fälle der aufsuchenden Versorgung. Mit Abschluss weiterer Kooperationsverträge wird diese Zahl in Zukunft weiter steigen. Bereits im letzten Quartal 2014 wurden 27 Prozent der Besuche bei Pflegebedürftigen im Rahmen von Kooperationsverträgen durchgeführt.

Welche weiteren Konsequenzen ergeben sich aus dem Versorgungsstärkungsgesetz für das zahnärztliche Versorgungskonzept?

Das Versorgungsstärkungsgesetz bietet die Möglichkeit, weitere Bausteine des zahnärztlichen Versorgungskonzepts in einem § 22a SGB V umzusetzen und Versorgungslücken zu schließen, indem Versicherte, die Instruktionen zur Mundhygiene nicht verstehen oder umsetzen können, besondere Leistungen zur Verhütung von Zahnerkrankungen erhalten.

Darüber hinaus ist im Versorgungsstärkungsgesetz eine verbesserte Honorierung von Narkosen in Verbindung mit zahnärztlicher Behandlung bestimmter Patientengruppen vorgesehen. Diesen ersten Schritt zur Verbesserung begrüße ich sehr, allerdings sollten auch Pflegebedürftige unter diese Regelung fallen.

Wir können mit den Gesetzesänderungen große Fortschritte in der aufsuchenden Versorgung machen. Aber für manche weitergehende Behandlung muss der Patient weiterhin in die Praxis kommen. Wir brauchen "Komm-und-bring-Strukturen“ und nicht nur "Komm-Strukturen“ des Zahnarztes. Dafür sind Krankentransporte notwendig. Die Krankentransport-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss regelt derzeit nur für Vertragsärzte, in welchen Fällen eine Krankenbeförderung zur ambulanten Behandlung verordnet werden kann. Wir haben eine eigene Richtlinie für die Zahnärzteschaft gefordert, um die Besonderheiten der zahnmedizinischen Versorgung auch hier abbilden zu können. Dies wurde jedoch im G-BA abgelehnt.

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