„Wir sprechen hier Deutsch!“
Seit etwa zwei Monaten weist eine große Kinderarztpraxis in Kirchheim unter Teck nahe Stuttgart mit dem Schild am Empfang auf eine neue Regelung hin: „Wir sprechen hier in der Praxis ausschließlich Deutsch! Sollte eine Kommunikation aufgrund fehlender deutscher Sprachkenntnisse nicht möglich sein und auch kein Dolmetscher persönlich anwesend sein, müssen wir eine Behandlung – außer in Notfällen – zukünftig ablehnen.“ Dieser Hinweis löste verschiedene Reaktionen aus – bis hin zum Vorwurf des Rassismus. Kritiker sehen in der Regelung vor allem eine Benachteiligung nicht-deutschsprachiger Patienten. Die Kinder- und Jugendärzte in der Praxis bestreiten die Vorwürfe nachdrücklich und halten am Argument der Sicherstellung einer Behandlung inklusive Aufklärung fest.
Ein zentraler Aspekt ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Jede Person, die sich aufgrund einer solchen Regelung benachteiligt fühlt, könnte theoretisch Ansprüche auf Beseitigung, Unterlassung, Schadensersatz oder Entschädigung geltend machen. Diese Ansprüche müssen jedoch innerhalb von zwei Monaten ab Kenntnis der Diskriminierung geltend gemacht werden. Das AGG schützt vor Diskriminierung, wenn sie auf einem Merkmal aus dem Gesetz beruht. Dabei geht es nicht nur um Beschäftigungsverhältnisse, sondern auch um den Zugang zu Dienstleistungen wie ärztlichen Behandlungen. Diskriminierung kann auf verschiedenen gesetzlichen Merkmalen beruhen, darunter zum Beispiel die ethnische Herkunft, Geschlecht oder Behinderung.
Unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung?
Die Anforderung, dass nur deutschsprachige Personen behandelt werden, ist keine unmittelbare Diskriminierung, da die Kenntnis der deutschen Sprache unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit sein kann. Jedoch könnte eine mittelbare Diskriminierung vorliegen, wenn eine scheinbar neutrale Vorschrift Personen mit bestimmten ethnischen Hintergründen benachteiligt. Wird eine mittelbare Diskriminierung angenommen, sind solche mittelbaren Benachteiligungen unter Umständen jedoch zulässig, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
Die Praxis argumentiert, dass klare Kommunikation notwendig ist, um die Sicherheit der Behandlung zu gewährleisten. Das ist durchaus valide, denn es ist eine Pflicht der behandelnden Person eine verständliche Aufklärung zu leisten.
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hatte den Fall zu entscheiden, ob dringend notwendige Dolmetscherkosten von der Krankenkasse zu erstatten waren (Urteil vom 23. Januar 2018 - L 4 KR 147/14). Eine Übernahme der Kosten durch die Gemeinschaft ist gesetzlich nicht vorgesehen und es wurde auch keine durch Rechtsprechung auszufüllende Gesetzeslücke erkannt und daher die Erstattung abgelehnt.
Im Dilemma zwischen Pflicht und Kosten
Der Gesetzgeber hat in der Begründung zum weiterhin geltenden Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patienten vom 20. Februar 2013 – BGBl. I S. 277 tatsächlich bestätigt, dass im System der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung der deutschen Sprache nicht mächtige Patientinnen und Patienten Dolmetscherkosten selbst zu finanzieren haben (BT-Drs. 17/10488, 25).
Das führt zu dem Dilemma, dass die behandelnde Seite zwar verpflichtet ist, eine verständliche Aufklärung zu gewährleisten (§§ 630 c II 1, 630 e II 1 Nr. 3 BGB), sofern dies zeitlich machbar und notwendig ist. Wenn der Patient jedoch die anfallenden Dolmetscherkosten nicht selbst tragen kann, bleibt außerhalb von dringenden Fällen oft nur der Verzicht auf die Behandlung oder die Aufklärung. Das ist problematisch, da die Pflicht zur Information und Selbstbestimmungsaufklärung nach ständiger Rechtsprechung eine vertragliche Hauptpflicht der Behandlung darstellt.
Auffangen kann dann nur folgende gerichtliche Ansicht zum Thema Aufklärung: Sofern ein ausländischer Patient, der offenbar der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist, während des Aufklärungsgesprächs nicht zu erkennen gibt, dass er die Aufklärung nicht verstanden hat, und verlangt er auch nicht die Zuziehung eines Dolmetschers oder wenigstens eines deutsch sprechenden Familienangehörigen, so können die Ärzte davon ausgehen, dass er der Aufklärung inhaltlich folgen konnte (OLG München Urt. v. 24.1.2013 – 1 U 2819/12).
Fazit
Der aktuelle Fall ist vermutlich schon als mittelbar benachteiligende Behandlung aufgrund der ethnischen Herkunft einzuordnen. Aber diese ist inhaltlich sehr wahrscheinlich gerechtfertigt. Denkbar wäre es, die Form der öffentlichen Mitteilung als Schild am Eingang als nicht sachlich gerechtfertigt zu sehen, da man die interne Regelung auch im jeweiligen Behandlungsgespräch erklären kann. Es gäbe also eine angemessenere oder verhältnismäßigere Möglichkeit, die interne Regelung behutsamer durchzusetzen.
Kritische Perspektive aus Sicht der Betroffenen
Ob ein Schild, das viele als diskriminierend empfinden und sich dadurch ausgeschlossen fühlen könnten, notwendig oder gesellschaftlich geduldet ist, ist auch eine moralische Frage. Es ist unrealistisch anzunehmen, dass jede Person die Kosten für einen Dolmetscher tragen kann, um eine angemessene medizinische Behandlung zu erhalten. Betroffene Personengruppen könnten Geflüchtete, einfache Urlauber oder Expats sein. Vermutlich trifft die Benachteiligung jedoch eher marginalisierte Menschen mit aktuellem oder früherem Geflüchtetenstatus, die sich einen Dolmetscher nicht leisten können.
Nicht-deutschsprachige Patienten könnten zwar eine andere Praxis aufsuchen, doch als medizinischer Dienstleister sollte man Lösungen finden, um diesen Personen gerecht zu werden. Eine mögliche Lösung könnte sein, selbst Dolmetscherdienste anzubieten oder andere unterstützende Maßnahmen zu ergreifen, um die Kommunikation zu erleichtern.