Blick über den berühmten Tellerrand

Zähne von Fadenwürmern bestehen aus Chitin

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Gesellschaft
Tübinger Forscher haben erstmals den Nachweis erbracht, dass die Zähne des Fadenwurms Pristionchus pacificus aus Chitin bestehen. Und ja: Unnützes Wissen kann interessant sein.

"Damit beantworten sie nicht nur die seit Jahrzehnten offene Frage nach der Zusammensetzung der Zähne, sondern eröffnen auch neue Perspektiven auf die Evolution der bis zu 10 Millionen verschiedenen Fadenwurmarten", meldet das Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen.

Warum das wichtig ist? Nun, Fadenwürmer bevölkern nahezu die gesamte Erde, von Tiefseegräben bis hin zu Wüsten und Hochgebirgen. Oft finden sich mehr als eine Million der oft nur millimetergroßen Lebewesen auf einem Quadratmeter Boden. Laut Schätzungen sind etwa 80 Prozent aller vielzelligen Tiere weltweit Fadenwürmer.

Doch trotz ihrer Omnipräsenz sind den Wissenschaftlern zufolge leider noch viele Fragen über die kleinen Würmer unbeantwortet. Unklar war bislang eben auch, woraus ihre Zähne bestehen.

Chitinmangel führt zu Mundfehlbildungen

Dieses Rätsel hat das Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Biologie Tübingen nun gelöst: aus Chitin. Dieser Vielfachzucker ist sehr widerstandsfähig und dient in der Natur oft der Strukturbildung: in den Außenskeletten von Gliederfüßlern, wie in den Panzern von Käfern und den Schalen von Krebsen, aber auch in der Zellwand von Pilzen.

Schon seit den 1940er Jahren hatte man vermutet, dass Chitin auch in der Mundstruktur von Fadenwürmern ein wichtiger Bestandteil sein könnte. Der direkte Nachweis von Chitin ist jedoch schwierig und konnte für die Fadenwürmer nie eindeutig erbracht werden.

Mit der Gen-Schere CRISPR-CAS9 konnte das Team das Rätsel lösen: Damit schaltete das Team um Studienleiter Ralf Sommer nämlich eines der beiden Gene des Fadenwurms aus, die für die Produktion von Chitin verantwortlich sind. Je nachdem, an welcher Stelle das Gen verändert wurde, waren die Mutanten dann entweder gar nicht lebensfähig – oder ihr Mund war zahnlos und fehlgebildet. Außerdem wurde genetisch unveränderten Würmern eine Substanz injiziert, die die Bildung von Chitin verhindert. Auch diese Individuen hatten fehlgebildete Münder ohne Zähne. 

Erfolglose Räuber ohne Zähne

Diese neue Erkenntnis ist laut Max-Planck-Institut auch deshalb nicht zu unterschätzen, weil für Fadenwürmer die Mundstruktur von größter Bedeutung ist: Sie legt die Lebensweise des Wurms fest. Dabei seien die vielgestaltigen, komplexen Münder der verschiedenen Fadenwurm-Spezies genauestens auf ihre Lebensweise und ihre jeweiligen ökologischen Nischen angepasst.

Tiere der Art Pristionchus pacificus entwickeln demnach früh im Leben eine von zwei arttypischen Mundformen, die sie entweder zu larvenfressenden Räubern macht oder auf eine bakterienbasierte Ernährung einschränkt. Die genetisch modifizierten Würmer könnten sich problemlos von Bakterien ernähren, doch für eine räuberische Lebensweise sei ihr fehlgebildeter Mund nicht geeignet.

Die Studie könnte aus Sicht der Forscher zum Ausgangspunkt für einen neuen Blick auf die Evolution der Fadenwürmer werden. Noch vor den Insekten sind sie ihnen zufolge die artenreichste Gruppe im Tierreich – von den geschätzt bis zu 10 Millionen verschiedenen Arten sind bislang nur etwa 30.000 beschrieben.

Shuai Sun, Hanh Witte & Ralf J. Sommer: Chitin contributes to the formation of a feeding structure in a predatory nematode. Current Biology 33, 1-13, January 9, 2023.

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