Gesundheit im England der Industriellen Revolution

Zähne zeigen: Kinder litten damals oft unter Rachitis

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Zahnmedizin
Kinder, die im England der Industriellen Revolution lebten, hatten wahrscheinlich häufig Vitamin-D-Mangel. Das belegen aktuelle Analysen von Zähnen aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

Die Forschenden untersuchten die erhaltenen Zähne von 25 Skeletten, die 2010 auf einer ehemaligen Quäker-Grabstätte (1711–1857) in Coach Lane, North Shields, im Nordosten Englands ausgegraben wurden. Rund drei Viertel der Personen zeigten Hinweise auf einen schlechten Mineralstoffwechsel im Kindesalter. Die Forscher fanden auch Hinweise darauf, dass die Störung mit den Jahreszeiten zusammenhängt, wobei sich der Zustand in den Wintermonaten mit wenig Sonnenstunden verschlechterte.

Dabei wurde das Vorhandensein von nicht regulär mineralisiertem Dentinarealen (Interglobulardentin) als Beweis für einen Vitamin-D-Mangel in der Kindheit herangezogen, die Analyse von Schmelzpeptiden ermöglichte die Identifizierung des chromosomalen Geschlechts einiger dieser Personen.

Interglobulardentin entstand durch den Vitamin-D-Mangel

„Die Mineralisierung aller Hartgewebe, einschließlich Zahnschmelz und Dentin, hängt von einer ausreichenden Versorgung des Körpers mit Vitamin D, Kalzium und Phosphor ab [Bilezikian, 2019]“ stellen die Autoren fest [Snoddy et al., 2024]. Interglobulardentin ist feh­ler­haft beziehungsweise nicht regulär minerali­sier­tes Dentin mit kugelförmigen, teilweise stark hypo­minerali­sier­ten Anteilen zwi­schen nicht oder nur teil­weise ver­einig­ten Mineralisati­ons­zentren [Hellwig et al., 2009; Pschyrembel, 2022]. Ursächlich dafür kann unter anderem ein Vi­t­a­min-D-Mangel sein [Pschyrembel, 2022].

Interglobulardentin erscheint unter einem Lichtmikroskop als muschelförmige Strukturen (siehe Abbildung 1). Den Autoren zufolge ist aber kein Schwellenwert bekannt, der pathologisches Interglobulardentin definiert, das durch Vitamin-D-Mangel hervorgerufen wurde. Es „ist noch nicht geklärt, ob eine „schwerere“ IGD mit einem objektiv schlechteren Vitamin-D-Status des Individuums einhergeht, und es scheint keine konsistente Beziehung zwischen dem Schweregrad der makroskopischen Läsionen des Vitamin-D-Mangels und höheren histologischen IGD-Scores zu geben. Tatsächlich scheint das Vorhandensein von IGD bis zu einem gewissen Grad mit dem Wachstum des Zahns selbst zusammenzuhängen.“ Das bedeutet, dass auch ausreichend mit Vitamin D versorgte Personen Interglobulardentin aufweisen können, obgleich diese Bereiche dann eher nicht zyklisch sind.

Im Ergebnis wiesen 76 Prozent aller untersuchten Personen mindestens eine Episode von Interglobulardentin auf und insgesamt lag eine höhere Prävalenz von Vitamin-D-Mangel im Vergleich zu früheren Studien vor, die sich auf Skelettbefunde stützen. Die analysierten Zähne stammen aus einer Zeit der Industrialisierung und Verstädterung in England. Dies war auch eine Zeit, in der Gesundheitsprobleme wie Vitamin-D-Mangel und damit zusammenhängende Krankheiten wie Rachitis immer häufiger auftraten. Die Inzidenz von Vitamin-D-Mangel war bei Männern im Vergleich zu Frauen deutlich höher und könnte mit sozialen Dynamiken wie geschlechtsspezifischen Arbeitspraktiken im industriellen England zusammenhängen.

Die Autoren resümieren: „Wir haben in den Zähnen von Menschen, die im Norden Englands lebten, klare Hinweise auf einen saisonalen Vitamin-D-Mangel gefunden. Das ist spannend, denn es zeigt, dass der Breitengrad und der jahreszeitlich bedingte Mangel an Sonnenlicht ein wichtiger Faktor für die Menge an Vitamin D war, die diese Menschen in ihrer Haut bilden konnten - das ist komplizierter als die Faktoren, die mit der industriellen Revolution in Verbindung gebracht werden, wie zum Beispiel mehr Arbeit in geschlossenen Räumen.“

Snoddy AME, Shaw H, Newman S, Miszkiewicz JJ, Stewart NA, Jakob T, Buckley H, Caffell A, Gowland R. Vitamin D status in post-medieval Northern England: Insights from dental histology and enamel peptide analysis at Coach Lane, North Shields (AD 1711-1857). PLoS One. 2024 Jan 31;19(1):e0296203. doi: 10.1371/journal.pone.0296203. PMID: 38295005; PMCID: PMC10830048.

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