Healthwatch-Bericht in England

Zahnarzttermin: Bis zu drei Jahre warten – oder selber zahlen

ck/LL
GesellschaftZahnmedizin
Der Zugang zur Zahnmedizin im National Health Service (NHS) bleibt für die meisten Briten ein Riesenproblem: Viele Zahnärzte nehmen keine Patienten an - es sei denn, sie zahlen privat - und die Wartezeit auf einen Termin beträgt oft Jahre.

Dass die zahnärztliche Versorgungssituation im staatlichen Gesundheitssystem (NHS) in England bereits vor der Coronavirus-Pandemie nicht zufriedenstellend war, haben Patientenbefragungen der unabhängigen Organisation Healthwatch bereits belegt. Nun kommen die Auswirkungen der Krise hinzu.

drei Jahre warten auf einen Zahnarzttermin

So ergab eine Healthwatch-Umfrage zur Patientenzufriedenheit zwischen Januar und März 2021 mit 2.000 Teilnehmern, dass 80 Prozent der NHS-Versicherten Probleme haben, überhaupt einen Zahnarzttermin zu bekommen. Die Wartezeit auf einen Zahnarzttermin betrug zwischen einigen Monaten und einigen Jahren. Einige erhielten die Rückmeldung, dass sie darauf bis zu drei Jahre warten müssten. Privatversicherten wurde hingegen ein Terminangebot binnen einer Woche unterbreitet.

Bereits im Dezember hatte Heathwatch einen Bericht zur Patientenversorgung veröffentlicht, um die Lage im Pandemie-Jahr und die Defizite aufzuzeigen. Das aktuelle Update verzeichnet einen Anstieg der Anrufe und Beschwerden über Zahnbehandlungen um 22 Prozent.  

Patienten wurden einfach aus der kartei gestrichen

Die Unterbrechung der Versorgung war während der gesamten Pandemie ein Problem. Viele Briten erzählten, dass Termine seitens der Praxis abgesagt wurden, so dass sie ihre Behandlung, wie etwa eine Wurzelbehandlung, nicht abschließen konnten. Andere mussten feststellen, dass sie einfach aus der Patientenkartei gestrichen wurden.

Eine Extraktion für 400 Pfund

Etliche Patienten fühlten sich zudem unter Druck gesetzt, da ihr Zahnarzt ihnen mitteilte, er könne keine NHS-Behandlung anbieten, wohl aber Privatleistungen. Zahnersatz sollte bis zu 7.000 Pfund kosten, eine Extraktion rund 400 Pfund. Dies war besonders schwierig für Geringverdiener und Arbeitslose. Auch Schwangere und frischgebackene Mütter schilderten, dass sie die kostenlose zahnärztliche Versorgung nicht in Anspruch nehmen konnten, weil sie keine Termine bekamen - und es sich im Mutterschutz nicht leisten konnten, die Behandlung privat zu bezahlen.

DieseErfahrungen machten diePatienten

  • „Nachdem ich eine Füllung verloren hatte, brach der Zahn schließlich komplett ab. Obwohl ich keine Schmerzen habe, fällt mir das Essen schwer. Meine Zahnarztpraxis sagte mir, dass sie nur Termine für schwere Fälle vergibt. Dieselbe Praxis schickt mir E-Mails, in denen sie mich auffordert, die Behandlung privat zu bezahlen."

  • Eine Frau war in der 24. Woche schwanger und hatte einen abgebrochenen und infizierten Zahn. Sie bat in vielen Praxen um einen Termin - und wurde von allen abgelehnt.

  • Einige Patienten erzählten, dass ihnen Antibiotika zur Schmerzbehandlung gegeben wurden, was zwar eine vorübergehende Linderung brachte, aber später zu Reinfektionen führte. Andere berichteten, dass sie sich selbst behandeln mussten.

  • "Ich habe drei Jahre lang versucht, einen Zahnarzt zu finden. Letzte Woche landete ich für drei Tage im Krankenhaus, weil ich starke Schmerzen hatte und keinen Zahnarzt für Notfälle oder anderweitig finden konnte. Am Ende habe ich zuviel Paracetamol genommen und musste auf Anraten von NHS 111 in die Notaufnahme gehen. Am Ende hing ich 36 Stunden lang am Tropf. Ich habe immer noch keinen Zahnarzt und immer noch Schmerzen."

  • Die 72-jährige Rentnerin Gwen Leeming aus Brighton musste trotz zwei entzündeter Backzähne sechs Monate auf einen oralchirurgischen Termin warten. Ihr Zahnarzt erklärte ihr, dass er bis dahin nur Privatpatienten behandeln würde. Die Frau spülte bis dahin mit Salzwasser.

  • Aan das Haus gebundene Menschen mit Behinderung hatten keinen Zugang mehr zur Versorgung, nachdem ihre Zahnärzte aufgrund von COVID-19 die Hausbesuche eingestellt hatten.

Die Tatsache, dass Behandlungen nicht oder nur verzögert in Anspruch genommen werden können, hat dazu geführt, dass immer mehr Briten Schmerzen, Schwellungen sowie defekte Zähne, Füllungen und Prothesen haben. Auch, dass sie keine vorbeugende Behandlung erhalten konnten, was zu einer Verschlimmerung der Zahnprobleme und manchmal zu Zahnverlust führte.

Die Informationen auf den Praxis-Websites waren veraltet

Veraltete Informationen auf Praxis-Websites ließen die Menschen vielfach im Unklaren darüber, ob die Zahnärzte neue Patienten annehmen oder Routinebehandlungen anbieten. Ungenaue Angaben zu den Behandlungskosten verleiteten Menschen dazu, mehr zu zahlen, als sie sich leisten konnten, oder dass sie bestraft wurden, weil sie irrtümlich eine vermeintlich kostenlose Behandlung in Anspruch genommen hatten.

Die Direktorin von Healthwatch England, Imelda Redmond, forderte mit Verweis auf die Umfrage neue Regelungen. „Der Zugang zu zahnärztlichen Leistungen des NHS sollte für alle gleich und erschwinglich sein, unabhängig davon, wo die Menschen leben, unabhängig von ihrem Einkommen und ihrer ethnischen Zugehörigkeit.“

Die Ergebnisse der Befragung

Die Ergebnisse der Befragung

  • Sechs von zehn befragten Briten sind seit März 2020 nicht mehr zum Zahnarzt gegangen. Mehr als die Hälfte (51 Prozent) fand es schwierig, an einen Termin zu kommen.

  • Mehr als ein Viertel der Befragten berichteten, dass sie entweder Schwierigkeiten hatten, die Zahnbehandlungen zu bezahlen oder gleich ganz darauf verzichteten, weil sie sie sich nicht leisten konnten.

  • 39 Prozent sagten, dass ihnen für ihre NHS-Behandlungen zusätzliche Kosten in Rechnung gestellt wurden.

  • Fast ein Viertel geht nur noch zum Zahnarzt, wenn sie eine Behandlung benötigt, obwohl klinische Richtlinien regelmäßige zahnärztliche Untersuchungen im Sinne der Mundgesundheit empfehlen.

  • Fast ein Drittel musste Privatleistungen in Anspruch nehmen, um die benötigte Behandlung zu  erhalten, genauso viele fanden es schwer, Informationen über die Gebühren der NHS-Zahnbehandlung zu finden.

  • Zu den demografischen Gruppen, die am stärksten von der Situation betroffen sind, gehören Menschen mit geringem Einkommen und Angehörige ethnischer Minderheiten. Es sind die gleichen Bevölkerungsgruppen, die am stärksten von der Pandemie betroffen sind.

Yonder Data Solutions hat für Healthwatch vom 19. bis 25. Februar 2021 insgesamt 2.019 Erwachsene ab 18 Jahren in England befragt. Von Januar bis März 2021 konnten die Briten Healthwatch ein Feedback zur NHS-Zahnversorgung geben.https://www.healthwatch.co.uk/news/2021-05-24/twin-crisis-access-and-affordability-calls-radical-rethink-nhs-dentistry _blank

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Hintergrund

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