Zu viele Frauen in der Medizin?
Bei der Vergabe von Studienplätzen im Fach Medizin spielt der Numerus clausus eine beherrschende Rolle. Damit hängt die ärztliche Berufswahl in Deutschland stark von intellektuellen Fähigkeiten ab. „Die Medizin braucht aber nicht nur brillante Denker und Forscher, sondern auch handwerkliche Talente und Menschen mit ausgeprägten sozialen und kommunikativen Kompetenzen“, erklärt Prof. Dr. Joachim Jähne, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH). Die Chirurgen plädieren deshalb für eine teilweise Revision des Zulassungsverfahrens.
"Die Medizin braucht nicht nur brillante Denker und Forscher"
Die Regeln der Studienplatzvergabe sehen vor, dass knapp 20 Prozent der Plätze an die Abiturbesten vergeben werden, weitere knapp 20 Prozent nach Wartezeit und fast 60 Prozent in Auswahlverfahren der Hochschulen. Bei den Auswahlverfahren der Hochschulen wird wiederum anhand des Abiturdurchschnitts eine Vorauswahl getroffen, bei den Wartezeiten nach Notenschnitt sortiert.
„Insgesamt erfolgt der Zugang zum Medizinstudium fast exklusiv über den Numerus clausus“, erklärt Prof. Dr. Matthias Anthuber, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV).
"Viele Talente gehen verloren"
Dadurch gingen der Medizin aber viele Talente verloren. „Das Auswahlverfahren berücksichtigt beispielsweise handwerklich-manuelle Begabungen nicht, auf die es in der Chirurgie auch ankommt.“ Intellektuelle Fähigkeiten seien zudem keine Garantie, dass Ärzte mit Patienten gut umgehen könnten. „Das hängt stark von den kommunikativen und sozialen Fähigkeiten ab“, so Anthuber.
Insgesamt müsse die Medizin auf einen breiten Mix an sozialen und kognitiven Kompetenzen zurückgreifen können. Ebenso würden regional verbundene Hausärzte benötigt, die ihre Aufgabe in der Flächenversorgung sehen. Das derzeitige System führe darüber hinaus zu einer ungleichen Geschlechterverteilung in der Medizin, kritisiert Anthuber, da Mädchen generell weitaus bessere Abiturnoten erzielen als Jungen. Aktuell sind 70 Prozent der Studienabgänger in der Medizin Frauen.
Frauendominanz droht
„In meiner Abteilung kommt nur eine von 20 Bewerbungen von einem männlichen Kollegen“, berichtet Anthuber. Nachdem jahrzehntelang Männer in der Medizin dominierten, drohe jetzt eine Umkehr der Verhältnisse. „Das kann nicht zielführend sein“, meint Anthuber. „Die Zukunft gehört gemischten Teams.“ Die Forschung zeige, dass gemischte Teams neben einem besseren Betriebsklima mehr innovative Entwicklungen hervorbringen als homogene Teams, weil jedes Geschlecht spezifische Stärken im Bereich Kreativität hat.
Ein guter NC macht noch keinen guten Arzt
Darum müsse das System der Zulassung zum Medizinstudium kritisch hinterfragt und einer Revision unterzogen werden, fordert der DGAV-Präsident. Er plädiert dafür, einen Teil der Zulassungen unabhängig vom NC erfolgen zu lassen. So könnten beispielsweise Interessierte, die ein halbjähriges Pflegepraktikum absolviert haben, zu einem Eignungsgespräch eingeladen werden. „Wenn sich jemand in der Praxis bewährt, verdient er eine Chance - unabhängig vom Notendurchschnitt“, so Anthuber.