Zu wenig Prävention vor Suizid
"Wir haben fast drei Mal so viele Suizide wie Verkehrstote, aber die Präventionsmaßnahmen stehen in keinem Verhältnis", kritisierte Professor Armin Schmidtke vom Nationalen Suizid Präventionsprogramm (Naspro) unlängst in der "Ärzte-Zeitung" (ÄZ).
Daher fordere Naspro mehr Präventionsmaßnahmen. Gemeinsam mit der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus Berlin wende sich die Vereinigung anlässlich des Welttags der Suizidprävention am heutigen 10. September in diesem Jahr gegen Vorurteile gegenüber suizidgefährdeten Menschen und ihren Angehörigen.
Steigende Zahlen
Nach Angaben von Naspro steige die Zahl der Suizidopfer in Deutschland. Dabei seien mehr Männer als Frauen betroffen. Einen überdurchschnittlichen Anstieg der Suizide beobachte Schmidtke bei älteren Menschen. Laut "ÄZ" weist er zudem auf eine Zunahme der Suizide bei Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft hin. "Das hängt damit zusammen, dass wir uns um ältere Migranten keine Gedanken gemacht haben", so der Suizidforscher.
Schmidtke spricht zudem von regelrechten "Suizidepidemien". Solche Häufungen würden besonders bei Entlassungswellen in Betrieben auftreten. Aber auch nach der Selbsttötung des Fußballers Robert Enke wurden Schmidtke zufolge rund ein Jahr lang deutlich mehr Eisenbahn-Suizide gezählt als sonst. Das prominente Beispiel habe zwar leider Nachahmer gefunden, so die "ÄZ". Es habe aber auch positiv bewirkt, dass das Thema mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt sei.
Suizid als Tabubruch
Dennoch gelte nach wie vor: "Suizid gehört zu den am stärksten tabuisierten Todesarten", sagt die Sozialpädagogin Elisabeth Brockmann von der Hinterbliebenen-Hilfsorganisation AGUS in Bayreuth. "Suizid macht Angst, hilflos und unsicher". Das Stigma eines Suizids wirke sich auf die ganze Familie aus. Hinterbliebene seien mit vielen Vorurteilen konfrontiert. Zudem habe Suizidtrauer eine äußerst lange Laufzeit, so Brockmann.
Zur Suizidprävention in Deutschland sei daher die Früherkennung des Suizidrisikos zentral, schreibt die "ÄZ". Hier seien auch Ärzte aufgerufen, Anzeichen zu beachten und ernstzunehmen. "Viele Suizidenten suchen vor dem Suizid den Hausarzt auf. Dort wird es nicht richtig erkannt, dann erfolgt die Tat", so Schmidtke.
"Die große Mehrheit der Suizide findet in Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung statt", zitiert die "ÄZ" Beate Lisofsky vom Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker. Das Stigma, das einer psychischen Erkrankung anhafte, komme nach ihren Angaben einer zweiten Krankheit gleich. Besonders gefährdet seien auch Suchtkranke, sobald sie das Hilfesystem verlassen.
Nervenärzte: Wartezeiten sind zu lang
Wie die "ÄZ" berichtet, beklage der Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BDVN) zu lange Wartezeiten für Menschen mit Depressionen. Die schnelle und gute Betreuung dieser Patienten sei die beste Möglichkeit, Suizide zu verhindern, so der BDVN-Vorsitzende Dr. Frank Bergmann.
Bergmann wies auf Engpässe in der zeitnahen Betreuung der rund 3,1 Millionen Patienten mit einer unipolaren Depression hin. "Viele von ihnen erhalten keine angemessene Versorgung oder deutlich zu spät." Grundsätzlich halte er Wartezeiten von Wochen oder sogar Monaten für Patienten mit akuten psychischen Erkrankungen für nicht hinnehmbar.