Bisher unbekannte Bevölkerungsgruppe entdeckt

31.000 Jahre alte Milchzähne geben Rückschlüsse auf "Alt-Nordsibirier"

nb/pm
Gesellschaft
Zwei 31.000 Jahre alte Milchzähne aus einer Ausgrabungsstätte im Nordosten Sibiriens haben zur Entdeckung einer bisher unbekannten Bevölkerungsgruppe geführt, die während der letzten Eiszeit in diesem Gebiet gelebt hat.

Als Teil einer breit angelegten Studie untersuchte ein internationales Forschungsteam zwei 31.000 Jahre alte Milchzähne, die in einer großen archäologischen Fundstätte am russischen Fluss Jana gefunden wurden. Die Ausgrabungsstätte, bekannt als "Yana Rhinoceros Horn Site" (Yana RHS) wurde 2001 entdeckt und umfasst mehr als 2.500 Artefakte, darunter Tierknochen, Elfenbein sowie Steinwerkzeuge und Zeugnisse menschlicher Behausungen.

Die untersuchten Zähne sind rund 31.000 Jahre alt und die bisher einzigen dort entdeckten menschlichen Überreste aus dieser Zeit. Die Forschenden unter der Leitung von Eske Willerslev, Professor am St John's College der Universität Cambridge und Direktor des Lundbeck Foundation Centre for GeoGenetics an der Universität Kopenhagen, untersuchten die DNA der Zähne und konnten zeigen, dass die Zähne zu Individuen einer bisher unbekannten Bevölkerungsgruppe gehören.

Das Forschungsteam, dem auch Laurent Excoffier, Professor am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern und Gruppenleiter am SIB Schweizerisches Institut für Bioinformatik, angehört, benannte die Bevölkerungsgruppe "Alt-Nordsibirier".

Auf dem Speiseplan standen Wollhaarmammuts, Wollnashörner und Bisons

Die Resultate zeigen, dass die Alt-Nordsibirier vor 31.000 Jahren während der letzten Eiszeit im Nordosten Sibiriens unter extremen Bedingungen gelebt haben. Ernährt haben sie sich mit der Jagd auf Wollhaarmammuts, Wollnashörner und Bisons. Die Alt-Nordsibirier passten sich offenbar schnell an extreme Umgebungen an und waren sehr mobil. "Diese Menschen waren ein bedeutender Teil der Menschheitsgeschichte. Sie diversifizierten fast zur gleichen Zeit wie die Vorfahren der heutigen Asiaten und Europäer, und es ist wahrscheinlich, dass sie irgendwann große Teile der nördlichen Hemisphäre bevölkerten", erläutert Willerslev.

"Bedeutender Teil der Menschheitsgeschichte"

Die Forscher konnten in der Studie darüber hinaus zeigen, dass 10.000 Jahre alte menschliche Überreste aus einer anderen Fundstelle in Sibirien genetisch mit den indigenen Völkern Amerikas verwandt sind – zum ersten Mal wurden solche engen genetischen Verbindungen außerhalb der USA entdeckt.

Insgesamt analysierte das Forscherteam dafür 34 Proben von menschlichen Genomen, die in den archäologischen Stätten in Nordsibirien und Zentralrussland gefunden wurden. So konnte die komplexe Populationsdynamik während der letzten Eiszeit und genetische Vergleiche mit anderen Bevölkerungsgruppen dokumentiert werden.

"Bemerkenswert ist, dass das alte nordsibirische Volk enger mit den Europäern als den Asiaten verwandt ist. Sie sind wohl aus Westeurasien eingewandert, kurz nachdem sich die europäischen und asiatischen Bevölkerungsgruppen voneinander getrennt haben", erklärt Excoffier. Die mosaikartige genetische Zusammensetzung der heutigen Sibirier entspringe den Alt-Nordsibirern, die ein riesiges Gebiet im Norden Eurasiens und Amerikas bewohnten.

Der "missing link" zur indigenen Bevölkerung Amerikas

Es gilt als generell akzeptiert, dass der Mensch erstmals nach Amerika kam, indem er von Sibirien aus die Beringstraße nach Alaska überquerte. Vor dem Ende der letzten Eiszeit bestand dort eine Landbrücke. Den Forschenden gelang es, einige dieser Menschen als Mitglieder von asiatischen Volksgruppen zu identifizieren, die sich mit den Alt-Nordsibiriern vermischten.

Diese Erkenntnis basiert auf der DNA-Analyse der 10.000 Jahre alten Überreste eines Mannes, die in der Nähe des Kolyma-Flusses in Sibirien gefunden wurden. Das Individuum hat eine Abstammung, die aus einer Mischung aus alt-nordsibirischer DNA und ostasiatischer DNA besteht. Diese ist derjenigen der indigenen Völker Amerikas sehr ähnlich. Es ist das erste Mal, dass menschliche Überreste, die so eng mit dem Ursprung der indigenen Bevölkerung Amerikas verbunden sind, außerhalb der USA entdeckt wurden. "Dieses Individuum ist der missing link, um die genetische Abstammung der indigenen Völkern Amerikas zu verstehen", fügt Willerslev an.

Originalpublikation: Martin Sikora et. al.: The population history of northeastern Siberia since the Pleistocene. Nature, June 5, 2019. DOI: 10.1038/s41586-019-1279-z

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.