Schiffe der Hoffnung

ck/dpa
Gesellschaft
Gemächlich schiebt sich das Boot über den Brahmaputra, ein Fluss so breit und ruhig wie ein See. An Bord ist eine ungewöhnliche Crew: Ärzte und Krankenschwestern, Hebammen und Apotheker, Laboranten und Sozialarbeiter. Das Team ist auf dem Weg zu einer der 2.500 Inseln, die im Nordosten Indiens im Bundesstaat Assam liegen.

Die rund drei Millionen Bewohner dieser Eilande - die in der Region Chars oder Soporis genannt werden - haben weder Elektrizität noch Toiletten. Und niemand baute für sie Straßen oder Krankenhäuser. Doch seit einigen Jahren kommen die Bootskliniken, die hier "Schiffe der Hoffnung" heißen. 

Ein medizinisches Camp für einen Tag

Die Bauern auf den Feldern winken dem Team zu und rufen: bitte anhalten! Die Krankenschwestern antworten über das Wasser zurück: Ihr seid an einem anderen Tag des Monats dran! Nach einer Stunde Fahrt legt das Boot auf der Insel Panchuchar an. Medikamente und Geräte werden entladen, dann marschiert die Gruppe etwa zwei Kilometer, bis sie zu einer Schule inmitten einer Bananenplantage gelangt. Ein medizinisches Camp für einen Tag. 

Über die Lautsprecher der Moschee wird ihre Ankunft bekanntgegeben. Schnell versammeln sich Frauen in leuchtenden Saris und mit schreienden Babys auf den Armen um die Plastiktische, um sich registrieren zu lassen. Sie bekommen Mittel gegen Lungenentzündungen, Diabetes oder Durchfall, alles kostenlos. 

Inzwischen kommt jeder

"Zuerst waren die Menschen sehr skeptisch", sagt die 28-jährige Taslima Khatun, eine unterernährte Frau, die schon vier Kinder zur Welt gebracht hat. Schließlich seien manche Ärzte Männer - da seien Untersuchungen in ihrer konservativen Gesellschaft ein Problem. "Aber die Dorfältesten haben gemerkt, dass das Team viele Schwierigkeiten auf sich nimmt, um für uns zu sorgen. Nun kommt jeder zum Camp." 

Farida Begum erzählt, dass ihre Eisenwerte seit dem ersten Besuch der mobilen Klinik viel besser seien und sie zehn Kilogramm zugenommen habe. "Ich hatte eine Fehlgeburt und fühlte mich damals verletzlich, weil es überhaupt keine medizinische Versorgung gab", erzählt sie. "Nun haben wir ein ganzes Krankenhaus vor der Türschwelle." 

Eine Million Menschen behandelt

Entwickelt hat die Bootskliniken das Zentrum für Nord-Ost-Studien und Grundsatzforschung (C-NES), eine Nichtregierungsorganisation, zusammen mit der indischen Mission für Ländliche Gesundheit und der Regierung des Bundesstaates Assam. Bislang wurden so mehr als eine Million Menschen behandelt, vor allem Frauen und Kinder. 

Die Ärzte leisten medizinische Hilfe bei Schwangerschaften und Geburten, dazu impfen sie, messen den Blutzucker, und führen HIV-Tests durch. Nebenbei sprechen die Sozialarbeiter mit den Frauen auch über Familienplanung und warnen vor frühen Heiraten. Nirgendwo sonst in Indien sterben nach offiziellen Angaben so viele Frauen bei der Geburt, auf 100.000 Entbindungen kommen 309 Todesfälle. 

Arzt versus Hexen-Mediziner

"Die Menschen hier sind zumeist ungebildet, deswegen müssen wir gegen Aberglauben ankämpfen und sie davon abbringen, Hexen-Mediziner zu besuchen", sagt Arzt Noor Yeasin. "Zum Beispiel haben sie fälschlicherweise die Vorstellung, Eisentabletten machten die Babys groß und dann gebe es Komplikationen bei der Geburt." 

Das Projekt begann im Jahr 2005 mit drei Mitarbeitern, mittlerweile fahren 250 Helfer auf 15 Bootskliniken von Insel zu Insel. Manchmal kämpfen sie sich auch tagelang durch die Wildnis oder steuern mit ihren Booten durch die gefährlichen Monsunfluten. 

Eine anstrengende Mission

"Man braucht etwas Abenteuerlust und Hingabe, um Teil dieser Mission sein zu können. Es ist anstrengend", meint Shyamajit Pashi, Programmdirektor in Morigaon. "Aber wenn wir eine gesunde Mutter und ihr Kind sehen, dann gibt das ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit." 

Das Programm läuft so gut, dass es bald in anderen indischen Regionen ausgeweitet werden soll. Und: Derzeit wird ein ganzes Schiff gebaut, ausgestattet mit Operationssaal und Laborräumen, wie C-NES-Gründer Sanjoy Hazarika erklärt. Es soll dann in der Region als "Mutterschiff" herumfahren, zu dem die anderen Bootskliniken ihre Patienten bringen können.

von Siddhartha Kumar, dpa

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