Notfallversorgung

Ärzte und Kliniken wollen Sektoren überwinden

pr/pm
Eine Notfallversorgung aus einer Hand – dafür haben sich der Marburger Bund (MB) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ausgesprochen. Auf einer Fachtagung in Berlin plädierten sie für ein gemeinsames Vorgehen von Vertrags- und Klinikärzten.

Auf dem Fach- und Praxisforum zur Notfallversorgung am 14. März in Berlin warben der MB und die KBV für mehr Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten. Beide Organisationen zeigen sich überzeugt: Die Probleme in der Notfallversorgung lassen sich nur gemeinsam lösen, und zwar in ärztlicher Kooperation über die Sektorengrenzen ambulant/stationär hinweg.

„Die medizinische Entscheidungshoheit über die jeweils angemessene Notfallversorgung ist Sache der Ärzteschaft und sollte von allen Beteiligten auch so verstanden werden“, sagte Dr. Susanne Johna, Bundesvorstandsmitglied des Marburger Bundes und Vorsitzende des Marburger Bundes Hessen, auf der Veranstaltung. „Krankenhäuser und Kassenärztliche Vereinigungen sollten sich nicht als Konkurrenten begreifen, sondern als Mitgestalter der zukünftigen Versorgung aus einer Hand."

Zum Hintergrund: Notfallstufenkonzept des G-BA

Mit dem Krankenhausstrukturgesetz von 2015 wurde der G-BA beauftragt, ein Notfallkonzept zu erarbeiten. In § 136 c Absatz 4 SGB V heißt es dazu: „Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt bis zum 31. Dezember 2017 ein gestuftes System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern, einschließlich einer Stufe für die Nichtteilnahme an der Notfallversorgung. Hierbei sind für jede Stufe der Notfallversorgung insbesondere Mindestvorgaben zur Art und Anzahl von Fachabteilungen, zur Anzahl und Qualifikation des vorzuhaltenden Fachpersonals sowie zum zeitlichen Umfang der Bereitstellung von Notfallleistungen differenziert festzulegen. Der Gemeinsame Bundesausschuss berücksichtigt bei diesen Festlegungen planungsrelevante Qualitätsindikatoren nach Absatz 1 Satz 1, soweit diese für die Notfallversorgung von Bedeutung sind. Den betroffenen medizinischen Fachgesellschaften ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Stellungnahmen sind bei der Beschlussfassung zu berücksichtigen. Der Gemeinsame Bundesausschuss führt vor Beschlussfassung eine Folgenabschätzung durch und berücksichtigt deren Ergebnisse.“

„Wir brauchen keine dritte Säule für die Notfallversorgung“, betonte der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Gassen auf der Tagung. Ziel ist für Gassen, möglichst frühzeitig klar zu unterscheiden, welche Patienten echte Notfälle sind, die einer stationären Aufnahme bedürfen, und welche ambulant versorgt werden können. „Diese Entscheidung lässt sich von entsprechend geschultem Personal schnell und zweifelsfrei treffen. Deshalb ist es auch nicht erforderlich, die Notfallversorgung organisatorisch in einen dritten Sektor auszugliedern“, betonte Gassen. Allerdings müsse die Finanzierung extrabudgetär erfolgen.

Den jüngsten Vorstoß aus Schleswig-Holstein zur Verbesserung der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit im ärztlichen Notdienst bezeichnete Johna als Schritt in die richtige Richtung. Sie sprach auch die Pläne im Koalitionsvertrag an, integrative Leitstellen und gemeinsamen Notfallzenten zu schaffen.

Laut Koalitionsvertrag plant die Politik, eine Sicherstellung der Notfallversorgung von Landeskrankenhausgesellschaften und KVen in gemeinsamer Finanzverwaltung zu schaffen. Die konkrete Ausgestaltung ist demzufolge zwar noch offen, aber ein Umlenken von Finanzströmen denkbar. Die Frage ist auch offen, ob und wie die Pläne von MB und KBV dort Eingang finden. Und wie sich die Rolle der Selbstverwaltung hier weiter gestaltet.

Fest steht: Beim Thema Notfallversorgung ist derzeit gesundheitspolitisch Druck aufgebaut. Mit Blick auf die Vereidigung der neuen Bundesregierung hat sich auch der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Frank Montgomery, in die Debatte eingeklinkt. Er bezeichnete das Thema als dringlich und forderte eine konzertierte Aktion von Bund, Ländern und der Selbstverwaltung. Die aktuelle Grippewelle habe gezeigt, dass ausreichende Notfallkapazitäten in Krisenzeiten unerlässlich seien.

Modellprojekte

Hessen: Der Triage-Tresen – eine Anlaufstelle für die Ärztliche Bereitschaftsdienst-Praxis und die Zentrale Notaufnahme am Klinikum Frankfurt Höchst

Das Modell ist am 1. Oktober 2017 gestartet. Durch eine Triage, ein standardisiertes Verfahren zur Ersteinschätzung in der Notaufnahme, werden neu eintreffende Patienten bedarfsgerecht gesteuert. Es erfolgt eine erste Eingruppierung (mittels Checkliste) für alle gehfähigen, nicht schwerkranke Patienten. Auf Basis der Einschätzung wird der Patient in die zentrale Notaufnahme (des Klinikums) oder zum ärztlichen Bereitschaftsdienst der KV Hessen gelenkt. Durchgeführt wird die Triage durch geschultes Personal, regelmäßige Qualitätszirkel sollen den hohen medizinischen Standard sicherstellen.

Vorläufige Bilanz: Im vierten Quartal 2017 wurden rund 4.000 Patienten durch die Triage gesteuert. Der Anteil der „falsch“ gesteuerten Patienten lag bei nur drei Prozent. Die Zahl der ambulanten Patienten konnte im Vergleich zum Vorjahr um rund 30 Prozent reduziert werden.

Schleswig-Holstein: Geplanter Regelbetrieb von Portalpraxen in Krankenhäusern

Portalpraxen sind KV-geführte allgemeinärztliche Praxen am Krankenhaus mit Öffnungszeiten außerhalb der Praxisöffnungszeiten. Alle nicht über den Rettungsdienst in die Klinik kommenden Patienten werden zuerst in der Portalpraxis gesehen. Die zentrale Notaufnahme befasst sich nicht mehr primär mit ambulanten Patienten.

Geplant ist die organisatorische Zusammenlegung von Portalpraxis und zentraler Notaufnahme an 24 Stunden sieben Tage in der Woche an definierten Standorten als Integriertes Notfall-Zentrum. Dazu soll eine KV-Leitstelle für Schleswig-Holstein gehören, erreichbar unter 116117, plus sieben Rettungsdienst-Leitstellen. Die KV fordert dazu unter anderem eine bundesweite Informationskampagne zur 11617, einen ärztlichen Telefondienst mit der Option einer Videosprechstunde und die Anpassung der Berufsordnung bezüglich des Fernbehandlungsverbots.

Montgomery übte scharfe Kritik am Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA): „Was wir nicht brauchen, sind unausgegorene Reformkonzepte, wie sie derzeit im Gemeinsamen Bundesausschuss beraten und womöglich demnächst beschlossen werden“, erklärte er. Montgomery bezog sich auf ein derzeit in Arbeit befindliches Stufenkonzept des G-BA mit Vorgaben für Kliniken, die diese erfüllen müssen, um an der Notfallversorgung teilnehmen zu können. Bislang fehlt es an einer Folgeabschätzung zu dieser weitrechenden Reform, monierte der Ärztepräsident.

Der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken reagierte prompt: „Nach über zwei Jahren Beratungszeit eines Konzeptes der gestuften Notfallversorgung mit intensiven Diskussionen unter Einbeziehung der Länder und zwei Stellungnahmeverfahren ist es mehr als kühn, von „unausgegorenen Reformkonzepten" des G-BA zu sprechen“ ärgerte er sich. „Mehr Erkenntnisse werden wir nicht generieren können.“

Montgomery sprach sich in einem Schreiben an Hecken dafür aus, vor einer Beschlussfassung im G-BA die Ergebnisse der Folgeabschätzung abzuwarten und auch stärker regionale Versorgungsstrukturen in dem Konzept zu berücksichtigen.

KBV und MB hatten bereits im Herbst 2017 ein Konzept zur Notfallversorgung erarbeitet -   mit folgenden Eckpunkten:

  • Über eine einheitliche Telefonnummer, die per App oder über die bundesweite Rufnummer 116117 beginnt, gelangt der Patient an einen gemeinsamen Tresen in einer Portalpraxis. Die Notrufnummer 112 wird vernetzt.

  • Dort wird er durch ein einheitliches Ersteinschätzungsverfahren in die für ihn geeignete Versorgungsebene geleitet. Die gemeinsame medizinische Anlaufstelle von Vertrags- und Krankenhausärzten wird am Krankenhaus angesiedelt.

  • Die Durchführung erfolgt durch medizinisches Fachpersonal.

·         Die Koordination über die unmittelbare Notfallversorgung hinaus könnte über Terminservicestellen, über Partnerpraxen oder über einen Service zur weiteren stationären Versorgung erfolgen.

Er schlug außerdem vor, dass Bund, Länder und Selbstverwaltung gemeinsam ein Procedere erarbeiten, das auf der nächsten Gesundheitsministerkonferenz am 20. und 21. Juni 2018 beraten werden könnte. Für Hecken ist das nicht akzeptabel: „Eine Vertagung bis zur Gesundheitsministerkonferenz im Sommer hätte keinerlei Vorteile, sondern schindet nur Zeit“. Und: „Durch Liegenlassen wird die Erkenntnislage nicht besser. Deshalb muss und wird jetzt bald entschieden werden. Ein irgendwie gearteter runder Tisch verspricht keine weitergehenden Erkenntnisse.“

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