Am Samstag, den 15. November, veranstalteten BZÄK, Dentista e.V. und BdZA im Rahmen des Deutschen Zahnärztetages den Zukunftskongress - online. In diesem Jahr drehte sich natürlich auch um Corona. Außerdem ging es um Assistenzzeit, Umweltschutz und Mitarbeiterführung.
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"Prävention ist kein Nice to have, kein Add-on, kein Nebenkriegsschauplatz", sagte Prof. Christoph Benz mit Blick auf die damalige Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), während der Pandemie ausschließlich Akut-Zahnmedizin zur Behebung von Schmerzen durchzuführen: "Im Shutdown kann man nicht einfach Pause machen!" Der heutige Stand der Mundgesundheit in Deutschland sei schließlich das Verdienst des Umdenkens hin zur Prävention, die nicht weniger als die Zukunft der Zahnmedizin darstelle.
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Benz lobte die Weitsicht von Dayton Willougby Miller, Alfred Fones, Ernst Jessen und Per Axelsson als Wegbereiter, die den mühsamen Prozess hin zu einem modernen Verständnis von Zahnmedizin erst möglich gemacht hätten. Den entscheidenden Impuls habe dann 1989 aber die IDZ-Studie "Mundgesundheitszustand und -verhalten in der Bundesrepublik Deutschland" geliefert. Benz: "Plötzlich war klar, dass wir grottenschlecht waren im Vergleich zum Ausland", erinnert sich Benz. Aus der "Kreisklasse" habe der Berufsstand in Deutschland es am Ende zum "Weltmeister" in Sachen Prävention gebracht.
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Benz brachte sein Fazit auf drei Begriffe im Jugend-Slang: Die Zahnärzteschaft sei "cringy" (peinlich), wenn sie nicht wisse, was die Patienten schätzen. So führten als Kosmetik gebrandmarkte Behandlungen mit einem ästhetischen Schwerpunkt nach seinen Erfahrungen nicht selten zu einer höheren Bereitschaft zur Mundhygiene und Compliance in Folgebehandlungen.
Wenn Prävention oberste Priorität in der Zahnärzteschaft erhalten würde, "denken wir wyld" (krass), so Benz. "Das sollten wir doch vielleicht mal versuchen. Und nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern als Praxis-Credo." Es gebe zwar schon ganz viele Praxen, die so denken und handeln – Corona habe jedoch gezeigt, dass es ganz viele gebe, die dies nicht tun.
Letztlich sei die ganze Branche "lost" (ahnungslos), wenn sie zulasse, dass Prävention der erste Streichkandidat sei. Benz: "Das darf auf keinen Fall mehr so deutlich werden, wie das jetzt bei Corona geworden ist." Wenn das beherzigt werde, könnten Zahnärzte zu jenen Superspreadern werden, die ein schönes Lächeln verbreiten.
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Lotta Westphal, 1. Vorsitzende des Bundesverbands der Zahnmedizinstudierenden in Deutschland e.V. (BdZM), gab Einblick in die Welt der Vorbereitungsassistenten. Der Stellenmarkt sei klein, die Erfahrungen mit Ausbildern, die sich respektlos verhalten, dagegen zahlreich. Immer wieder komme es vor, dass Bewerbungsunterlagen vor dem persönlichen Aufeinandertreffen nicht einmal überflogen oder der Bewerber im Gespräch mit der Information konfrontiert werde, dass er "eigentlich gar nicht zum Profil passt" oder aber das Angebot erhält, auf 450-Euro-Basis in der Prophylaxe zu arbeiten – "allerdings nur bei sofortiger Vertragsunterzeichnung".
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Westphals Botschaft: Beide Parteien können gewinnen, wenn angemessen bezahlt und respektvoll miteinander umgegangen wird. Vorbereitungsassistenten brächten in der Regel viele Ideen und neuestes Wissen zu Materialien und Therapieansätzen mit und seien wahnsinnig motiviert. Diese Begeisterung und auch empathisches Auftreten würden jedoch oft mit Naivität verwechselt. "Nach der tausendsten Krone kann man sich sicher nicht mehr so darüber freuen wie beim ersten Mal", räumte Westphal ein, aber ihre erste erfolgreiche Inzision habe ihr "den Tag gerettet".
Assistenten wünschen sich nach Rückmeldungen gegenüber dem bdzm, dass Behandler offen für neue Impulse sind und ein faires Miteinander sicherstellen. "An ganz vielen Stellen funktioniert das schon gut", bilanzierte Westphal. In anderen Fällen mangele es Assistenten aber wahlweise an Arbeit, Feedback oder sogar Arbeitsmaterialien. Und: Derartige Probleme treten überproportional in kleineren Praxistrukturen auf. Westphal: Solange es immer wieder Einzelpraxen gebe, die keine Assistenzstellen ausschreiben, dürfe man sich auch nicht beklagen, dass MVZ den Praxen die Assistenten wegnehmen.
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Dr. Gregor Freude vom Bundeswehrkrankenhaus Ulm gab einen Einblick in das Medizin-Controlling einer 500-Betten-Einrichtung. Immer wieder gebe es Vorfälle, in denen selbst große Häuser auf riesigen Behandlungskosten sitzen blieben, weil vor Behandlungsbeginn aufgrund von Abstimmungsproblemen der Kostenträger nicht geklärt worden sei. Eine riesige finanzielle Herausforderung sei auch die Pandemie, so der Experte.
Kurzfristig sei für Zahnärzte das – zu Unrecht oft negativ konnotierte – Controlling in der Pandemie vor allem zur Erhaltung der Liquidität wichtig, so Freude. Langfristiger Nutzen der Disziplin könne etwa die Projektsteuerung sein. Dabei sei jedoch Vorsicht geboten, denn Projekte und ihre Umsetzung seien oft komplexer als zunächst gedacht.
Entscheidend sei, dass man das Team in alle Projekte einbindet, Zwischenziele zur Steigerung der Überprüfbarkeit des Projektfortschritts formuliert, den Stand regelmäßig evaluiert – und das Scheitern des Projekts als Möglichkeit fest einkalkuliert. Freude: "Man muss auch bereit sein, ein Projekt abzubrechen, wenn es nicht funktioniert."
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Dr. Wolfgang Carl machte bei seinem Vortrag "Rettet die Erde – Sie ist der einzige Planet mit Zahnärzten" Vorschläge zur Konzeption einer möglichst nachhaltigen Praxis. Sein Credo: "Gegen die Natur zu arbeiten bringt nie etwas." Im konkreten Fall wählten Carl und seine Frau für die Gemeinschaftspraxis im saarländischen St. Ingbert eine Dach- und Fassadenbegrünung. Letztere sichert auf der Südseite des Gebäudes ein kühles Treppenhaus und sei zudem "wirksam gegen Graffiti".
Ansonsten setzt Carl auf einen zentralen Amalgam-Abscheider, digitales Röntgen, die Sterilisation von Mehrweginstrumenten, eine solarthermische Anlage sowie eine Brennwertheizung. Doch ein wirklich nachhaltiges Praxiskonzept reiche weit darüber hinaus und tief bis in den Behandlungsalltag hinein. Durch eine "würdewahrende, taktvolle Kommunikation" lasse sich beim Patienten das Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit und so die Compliance stärken. Denn letztlich sei die Umweltbilanz von Zahnerhalt besser als die von Zahnersatz. "Viele Patienten sind zudem stolz auf schlanke, kreative Lösungen", so Carl. Er lobte das Konzept der frugalen Zahnmedizin (zm 10/2019) und riet dazu, für einen wirklich nachhaltigen Praxisbetrieb alle Handgriffe und Praxisabläufe zu hinterfragen. So lasse sich das Müllaufkommen und der Einsatz von Chemie wirksam reduzieren.
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Praxisberaterin und Coach Dr. Anke Handrock gab Tipps zur Teamführung in Corona-Zeiten. In der aktuellen Situation wollten Mitarbeiter vor allem wissen, dass sie und ihre Angehörigen sicher sind. "Und das ist ihnen wichtiger als die Arbeit", so Handrock. Ein häufiges Missverständnis sei auch der Glaube, man könne Mitarbeiter mit Geld motivieren. Der angemessener Verdienst sei jedoch nur ein Hygiene- und kein Motivationsfaktor. Dieser könne also nicht zusätzlich motivieren, sondern nur demotivieren, wenn er fehlt. Entscheidender ist für Beschäftigte nach Handrocks Erfahrung hingegen, sinnvolle Arbeit leisten zu dürfen, zu verstehen, "was in der Praxis läuft" und Wertschätzung durch den Chef zu erfahren.
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Auch ein hohes Maß an Eigenverantwortung stärke die Mitarbeitermotivation, betonte Handrock. Diese lasse sich durch gelungene Delegation steigern. Doch sei Delegieren nicht damit gleichzusetzen, Aufgaben zu verteilen, sondern bestehe vielmehr darin, die Mitarbeiter auch mit den nötigen Kompetenzen für die erfolgreiche Erledigung auszustatten.
"Es ist sehr unterschiedlich, wie gut das in Praxen klappt", berichtete Handrock aus ihrer Beratungspraxis. Ihre Erfahrung: Jeder Praxischef, der sich fragt, warum seine Mitarbeiter nicht mitdenken, erteilt zu viele Aufträge und delegiert zu wenig. Hier umzudenken lohne sich, versprach Handrock. Denn bei richtiger Delegation könne der Behandler viel freie Kapazitäten für seine ureigenen Aufgaben gewinnen.
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Zum Abschluss erzählten drei Praxisgründer von ihren Erfahrungen. Den Anfang machte Dr. Franz Bleier. Der 28-Jährige aus der Oberpfalz stieg nach dem Examen 2016 in die väterliche Praxis ein, die er 2019 als Gemeinschaftspraxis mit seiner Tante übernahm. Eine Promotion findet Bleier wichtig, da die Patienten seiner Erfahrung nach immer noch medizinische Expertise mit dem Titel verbinden. Als größte Herausforderung habe sich nachträglich die Personalführung herausgestellt. Es fand es schwierig, gut ausgebildetes und bezahlbares Personal zu finden.
Gründern würde Bleier immer raten, in eine bestehende Praxis einzusteigen und später zu übernehmen. Eine Neugründung würde er schon wegen der hohen Investitionskosten scheuen, führte er aus. Die vorhandene technische Ausstattung, ein eingespieltes Team und ein bestehender Patientenstamm hält er für die größten Vorteile einer Praxisübernahme.
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Dr. Valentina Patzer hat in Bielefeld eine neue Praxis gegründet und sich damit ihren Traum erfüllt. Ihre Assistenzzeit hatte sie in einer Bocholter Praxis mit dem Schwerpunkt ästhetische Zahnmedizin absolviert. Zur Gründung zog es sie dann zurück in ihre Heimat. "Hier kennen mich schon vielen Menschen, und sollte es einmal schwierig werden, habe ich Familie und Freunde als Rückhalt."
Ihr Rat: Gründer brauchen zunächst ein gutes Konzept. Um dieses Konzept müsse dann eine Struktur entwickelt werden, die klärt, mit welchen Materialien gearbeitet werden soll, welches Personal benötigt wird oder wie die Raumplanung der Praxis aussehen soll. Bei der Standortanalyse vertraute sie auf ihre Bank.
Besonders wichtig findet Patzer das Thema Marketing. Weil sie eine Randlage als Standort wählte, war zum Aufbau eines Patientenstamms viel Werbung nötig. "Ich bin ein großer Fan von Social Media", sagte sie. "Hier bekomme ich große Reichweite in kurzer Zeit für wenig Geld." Alle Existenzgründerseminare, die sie besucht hat, haben ihr hingegen nur "eine Idee der Realität" gegeben. Beruhigt habe sie jedoch, dass es ihrer Erfahrung nach alle Gründern zunächst verunsichert seien. Am Ende gehöre zum eigenen Praxisstart darum auch eine Portion Mut.
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Oralchirurg Dr. Philipp Broecker studierte bis 2014 in Münster, arbeitete anschließend in Bochum und übernahm vor sechs Monaten in Mönchengladbach eine Praxis. "Ich würde es immer wieder machen", sagt er. Das selbstbestimmte Arbeiten liege ihm sehr, er freue sich jeden Tag von Neuem darüber. Die größte Herausforderungen waren in seinem Fall technische Probleme. Ausgerechnet in der Anfangszeit hatte er mit Defekten an den übernommenen Behandlungseinheiten und dem Praxisserver zu kämpfen.
Als besonders wertvoll im Vorfeld der Übernahme empfand Broecker Gespräche mit erfahreneren Kollegen. Besonders wichtig ist ihm zudem die Patientenwerbung über das Internet. Darum räumte er der Erstellung einer eigenen Website und Profilen bei Google & Co. hohe Priorität ein. Das habe sich gelohnt. Heute fühlt er sich trotz der Schulden unabhängig, sagte er.
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