Geheimnis um... die älteste Zahnprothese

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Zahnmedizin
Zwischen den Überresten eines 2.300 Jahre alten keltischen Grabes entdeckten Wissenschaftler einen Eisenstift. Handelt es sich hierbei um die älteste "Zahnprothese" der Welt? Wir haben einen Experten gefragt.

In der Zeitschrift  Antiquity (88: 2014, 488-500) publizierten der Archäologe Guillaume Seguin, der Anthropologe Emmanuel d‘Incau und die Zahnmediziner Pascal Murail und Bruno Maureille kürzlich den Artikel "The earliest dental prosthesis in Celtic Gaul? The case of an Iron Age bural at Le Chêne, France".

Der Artikel wirft für die Zahnmedizin(geschichte) interessante Fragen auf, die Prof. Kurt W. Alt vom Zentrum für Natur- und Kulturgeschichte der Zähne an der Danube Private University in Krems, Österreich, für zm-online aufgreift und beantwortet.

zm-online: Handelt es sich im vorliegenden Fall überhaupt um eine Prothese?

Prof. Kurt W. Alt:Der gewählte Begriff findet hier wohl eher in der allgemeinen Bedeutung „Ersatz“ Anwendung, indem er als Äquivalent für einen verlorengegangenen Zahn verstanden wird und damit seine Berechtigung findet.

Lässt sich der Eisenstift optisch eindeutig in den publizierten in situ-Befund der Kiefer und Zähne im Boden eingliedern?

Die Fotografie des in situ-Befundes lässt für den Fachmann durchaus den Schluss zu, dass sich der Eisenstift anstelle des ersten Schneidezahnes im Kiefer befunden haben könnte. Einige Zähne scheinen sich unzweifelhaft in situ zu befinden, wie beispielsweise die Molaren von Ober- und Unterkiefer. Dies ist erkennbar, obwohl der Kieferknochen - durch diagenetische Vorgänge im Boden bedingt - weitgehend vergangen ist.

Allerdings scheint dies nicht für alle Zähne zu gelten. Der mit Steinen durchsetzte Boden sowie die Tätigkeit der Ausgräber lassen hier gar keine klare Situation erwarten. In auffallender Weise fügt sich daher der Eisenstift in die angedeutete Zahnreihe ein. Doch ist nicht wirklich auszuschließen, dass der Eisenstift auch rein zufällig an diese Stelle gelangt sein könnte.

Könnte der Eisenstift, wenn wir davon ausgehen, dass er sich tatsächlich anstelle des entsprechenden Zahnes in der Alveole oder sogar in der Zahnwurzel befunden hat, eine funktionale Bedeutung im Sinne einer Zahnprothese gehabt haben?

Die Antwort darauf lässt sich eindeutig verneinen. Jeglichen Formen von historischem Zahnersatz kann zwar eine funktionelle Absicht nicht abgesprochen werden, hingegen trat jedoch meist der gegenteilige Effekt ein. Die Restzähne wurden durch den Ersatz oft noch stärker in Mitleidenschaft gezogen, weil dieser ja befestigt werden musste und dies meist dadurch geschah, dass die Nachbarzähne als Pfeilerzähne für Ligaturen benutzt wurden.

Ebensolche sind aus der gleichen Zeit, als diese Frau lebte, aus dem etruskischen Raum bekannt. Viel eher ist anzunehmen, dass der Ersatz kosmetischen Zwecken diente. Menschen waren wohl immer eitel, zumindest wenn man den Berichten einiger Schriftsteller der Antike glauben darf.

Wie könnte der Ersatz im Mund befestigt gewesen sein?

Es ist eher unwahrscheinlich, dass den Heilkundigen der damaligen Zeit der Zusammenhang zwischen Zahnextraktion und Wundheilung bekannt war. Dass der Stift also als Eisenimplantat in die Alveole des verlorengegangenen Schneidezahnes gelangt sein könnte, ist daher auszuschließen. Dagegen war die Gegenwart des Pulpencavums sicher nicht unbekannt, da gerade Frontzähne häufiger einmal brachen und nach dem Absterben des Zahns dann diese Höhlung sichtbar war. Der Stift könnte also quasi als Wurzelstift in den ehemaligen Zahn gelangt sein.

Es gibt dazu ein fast zeitgleiches Vergleichsbeispiel in der Literatur (Zias/Numeroff, 1987). Dort wird die Existenz dieses Stifts damit begründet, dass mit dem Verstopfen des Wurzelkanals verhindert werden sollte, dass der Zahnwurm nach außen treten kann. Dieser Zahnwurm wurde für das Faulen der Zähne sehr lange verantwortlich gemacht.

Im vorliegenden Fall könnte der Wurzelrest bis zum Ableben der Frau - sie starb in jungen Jahren - fest geblieben sein, aber sich danach zersetzt haben, wie das auch an anderen Zähnen des Gebisses deutlich sichtbar ist. Bei einigen Zähnen ist die Zahnwurzel durch Zersetzungsvorgänge im Boden stark angegriffen, in einem Fall scheint sogar nur noch die Zahnkrone vorhanden zu sein. Daher erscheint es am logischsten, dass sich der Eisenstift tatsächlich im Mund befunden hat.

Ist dieser etwa 2.300 Jahre alte Eisenstift die älteste derzeit bekannte Form von Zahnersatz?

Nach den vorliegenden Quellen (Alt in: Strub et al., 2011) stammen die ersten zahntechnischen Arbeiten aus der Mitte des ersten Jahrtausends vor der Zeitenwende von den Etruskern und Phönikern und sind damit nur unwesentlich älter als der jetzt entdeckte Eisenstift im Mund einer keltischen Bestattung aus Frankreich.

Zur Blütezeit der Griechen und Römer ist dann Zahnersatz deutlich häufiger. Nicht selten wurden dabei die eigenen, herausgefallenen Zähne durch Drahtligaturen am Restgebiss befestigt oder fremde Zähne von Menschen wie Tieren dafür verwendet.

Es wird jedoch immer wieder von älteren Einzelfällen, wie einem künstlichen Zahn in einem circa 5.500 Jahre alten ägyptischen Gebiss (Irish 2004), berichtet. Intentionelle Maßnahmen im Gebiss, die dem Charakter zahnärztlicher Tätigkeiten entsprechen, sind dagegen deutlich älter, wie Beispiele aus der Jungsteinzeit zeigen: der Nachweis einer Trepanation an einem Molaren aus Dänemark (Bennike, 1985) oder die konservierende Behandlung von Zähnen bei frühen Bauern in Pakistan (7.500 bis 9.000 vor unserer Zeit) mit der Intention die Zähne zu „reparieren“, gegebenenfalls sogar die entstandenen Kavitäten zu füllen (Coppa et al., 2006).

Es sollte dann noch lange Zeit dauern, bis sich die wissenschaftliche Zahnmedizin, wie wir sie heute kennen, im 18. Jahrhundert durchsetzen konnte. So reichen die Bemühungen unserer Vorfahren, ausgefallene Zähne zu ersetzen oder kariöse Zähne zu versorgen, sicher weit in die Menschheitsgeschichte zurück und stellen in der Regel Einzelleistungen dar.

Aber selbst im Mittelalter hatte man nach den Wirren der Völkerwanderungszeit noch nicht wieder das Niveau der Heilkundigen in der Antike erreicht, wie etwa eine kleine Prothese zum Ersatz der eigenen, zuvor herausgefallen mittleren Schneidezähne im Mund einer slawischen Bestattung zeigt (Ullrich, 1973).

Warum wurde gerade Eisen als Werkstoff verwendet?

Im Fall der jungen Frau aus Frankreich waren sonst alle Zähne im Mund vorhanden, also spricht sehr viel dafür, dass der fehlende Frontzahn möglicherweise durch ein Trauma abhanden gekommen sein könnte. Wieso es sich um einen Eisenstift handelt ist dagegen leichter zu erklären. Die Kelten jener Zeit hatten gerade das Eisen erfunden und der neue Werkstoff schien wohl nicht nur für Waffen und Geräte geeignet, sondern auch für einen zahnmedizinischen Zweck.

Das ist natürlich Spekulation, aber wir müssen den Menschen der damaligen Zeit durchaus zutrauen, in Einzelfällen solche Einfälle gehabt zu haben. Dass die Familie, zu der die Frau gehörte, etwas mit Metall zu tun hatte, davon geben die reichen Beigaben im Grab, darunter auch ein Eisenbarren, Auskunft.

Ob der Eisenstift, der wahrscheinlich nur den Kern der Prothese bildete, schon zu Lebzeiten oder erst nach dem Tode der Frau eingesetzt wurde, ließ sich nicht ermitteln. Ein etwas jüngerer Vergleichsfall aus Frankreich, wo ein Eisenstift in den Kiefer eingeheilt war, macht deutlich, dass man zur damaligen Zeit durchaus bereit war zu experimentieren.

Alt Kurt W. (2011) Die historische Entwicklung der zahnärztlichen Prothetik. In: Strub JR, Kern M, Türp JC, Witkowski S, Heydecke G, Wolfart S (Hrsg) Prothetik. Bd. 1. 4. Aufl., Quintessenz, Berlin, S. 1-25.

Bennike P. (1985) Paleopathology of Danish skeletons. Akademisk Forlag, Kopenhagen.

Coppa A., Bondioli L, Cucina A, Frayer DW, Jarrige C, Jarrige JF, Quivron G, Rossi M, Vidale M, Machiarelli R (2006) Early Neolithic tradition of dentistry. Nature 440: 755-756.

Irish JD (2004) A 5,500-year-old artificial human tooth from Egypt: a historical note. Int J Oral Maxillofac Implants 19: 645-647.

Ullrich H. (1973) Behandlung von Krankheiten in frühgeschichtlicher Zeit. In: Berichte über den II. Int. Kongress für Slawische Archäologie 3: 475-481, Tafel 16. Berlin.

Zias J., Numeroff K. (1987) Operative dentistry in the second century BCE. J Am DentAssoc 114: 665-666.

 

 

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