Studie

Risikoindikatoren der ECC bei Kindern mit hohem Behandlungsbedarf

Iris Kraljevic, Cornelia Filippi, Andreas Filippi
Zahnmedizin
Um die Risikoindikatoren von ECC und deren Zusammenhänge zu untersuchen, wurden im Rahmen einer Studie die Eltern von 82 Kindern vor der Behandlung im Universitäts-Kinderspital in Basel befragt. Die Autoren stellen hier ihre Ergebnisse vor.

Die vorliegende Untersuchung befasst sich ausschließlich mit Kindern, die unter ECC leiden und bei denen aufgrund ihres hohen Behandlungsbedarfs eine Zahnsanierung unter Narkose durchgeführt werden musste. Das Hauptziel der Studie war es, mehr über die Zusammenhänge der unterschiedlichen Risikoindikatoren innerhalb dieser exponierten Gruppe zu erfahren, um künftig durch das Weglassen eines oder mehrerer Faktoren die Entstehung bzw. das Wiederauftreten kariöser Läsionen bei diesen Kindern und bei anderen Klein- und Vorschulkindern positiv zu beeinflussen.

Material und Methoden

Zwischen 2010 und 2014 wurden an der Schulzahnklinik Basel sowie dem Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) Daten über die Kinder erhoben und ausgewertet. In die vorliegende Studie wurden nur Kinder eingeschlossen, die nach der Definition von Drury et al. (1999) eine ECC aufwiesen und innerhalb dieser Zeit unter Narkose zahnärztlich behandelt wurden. Eine Narkose wurde durchgeführt, wenn mehrere Behandlungsversuche gescheitert waren oder das Kind aufgrund der psychomentalen Entwicklung nicht in der Lage war, behandelt zu werden. Aus der Datenerhebung wurden Kinder mit Allgemeinerkrankungen, Behinderungen oder onkologischer Vorgeschichte ausgeschlossen.

Die Befundaufnahme erfolgte durch eine Kinderzahnärztin mit Weiterbildung in Kinderzahnmedizin in der Schulzahnklinik Basel. Zur Erfassung des Kariesbefalls wurden die dmft/dmfs-Indizes für die Milchzähne anhand kavitierter Läsionen ermittelt. Der dmft-Wert (decayed/missing/filled teeth) kann pro Kind im Milchgebiss maximal 20, der dmfs-Wert (decayed/missing/filled surfaces) maximal 80 erreichen. Am Tag der Behandlung des Kindes unter Narkose im UKBB wurden zusätzlich zur klinischen Untersuchung die Eltern von der behandelnden Kinderzahnärztin standardisiert befragt. Der dafür eingesetzte Erhebungsbogen enthielt Fragen zum Alter des Kindes, zum Herkunftsland der Mutter sowie zum Putz- und Trinkverhalten des Kindes.

Der Kariesindex dmft/dmfs wurde mit den Parametern "geografische Herkunft der Mutter", "Putzbeginn und -häufigkeit" sowie "Trinkgewohnheiten (Art des Getränkekonsums, Stilldauer und Schoppenflaschendauer)" des Kindes verglichen.

Resultate

Die Auswertung umfasste 82 standardisierte Interviews. Mit 38 (46%) Jungen und 44 (54%) Mädchen waren die Geschlechter annähernd gleich verteilt. Das Durchschnittsalter lag bei 52,6 Monaten (min.11, max.71 Monate, Standardabweichung SD:13,79). Von den 82 Müttern der Gruppe waren 30 in der Schweiz (Gruppe CH), 10 in der Europäischen Union (Gruppe EU, Stand der EU-Mitgliedsstaaten 2014) und 42 außerhalb der EU (Gruppe N-EU) geboren worden.

Der durchschnittliche dmft-Wert lag bei 9,49 (SD: 3,51), der durchschnittliche dmfs-Wert bei 26,35 (SD: 15,18). Zwischen den Geschlechtern zeigte sich in Bezug auf den Kariesindex kein statistisch signifikanter Unterschied (p>0,05; t-Test).

1. Zusammenhang: Herkunft der Mutter

Das Herkunftsland der Mutter hatte einen deutlichen Einfluss auf den Kariesindex (dmft/dmfs): Die durchschnittlichen dmft- und dmfs-Werte der Schweizer Gruppe (x-=8,2, SD: 3,59, und x-=22,5, SD: 12,89) waren deutlich niedriger als die der nicht-europäischen Gruppe (x-=10,38, SD: 3,49, bzw. x-=30,45, SD: 17,07) (p<0,05; einfaktorielle ANOVA; Post-Hoc-Test nach Bonferroni). Zwischen den Gruppen CH und EU wurde kein statistisch signifikanter Unterschied festgestellt (p>0,05; einfaktorielle ANOVA; Post-Hoc-Test nach Bonferroni) (Abbildung2).

Diskussion

Ergebnisse der vorliegenden Studie stützen sich auf eine spezielle Gruppe, nämlich Kinder mit hohem Behandlungsbedarf aus der Region Basel. Im Durchschnitt waren die Hälfte der Milchzähne und ein Drittel der Milchzahnoberflächen von Karies betroffen. Das Hauptziel der Studie war es, Risikoindikatoren und deren mögliche Zusammenhänge zu ermitteln, die das Auftreten kariöser Läsionen begünstigen. Die Auswertung der standardisierten Elterninterviews ergab, dass neben den bereits aus vorherigen Studien aus der Schweiz bekannten Faktoren (Herkunftsland der Mutter, hoher Konsum zuckerhaltiger Getränke) vor allem der Putzbeginn und das fehlende Nachputzen Risikoindikatoren darstellen.

Der späte Putzbeginn könnte den deutlich höheren Kariesindex der Kinder erklären, deren Mütter außerhalb der EU geboren wurden. Nur 16,7% der N-EU-Gruppe putzten sich die Zähne im Gegensatz zu den anderen Gruppen (CH: 66,7%, EU: 60%) nach dem Durchbruch des ersten Milchzahnes.

Aus Australien berichteten Riggs et al. (2015), dass die Eltern libanesischer und irakischer Kinder der Meinung waren, dass das Zähneputzen erst mit der Einschulung ihres Kindes sinnvoll sei, da es erst dann in der Lage sei, sich selbstständig die Zähne zu putzen. Kulturelle Unterschiede und elterliche Einstellungen spielen in der Entwicklung einer guten Mundhygiene und zwecks Erzielung eines geringen dmft-/dmfs-Werts eine entscheidende Rolle (Sarnat et al. 1984; Pine et al. 2004; Menghini et al. 2007; Begzati et al. 2014; Baggio et al. 2015).

Obwohl bisher nicht bekannt ist, ab welchem Entwicklungsstadium Plaque kariogen wird (Löe 2000), empfiehlt die Schweiz das einmal tägliche Zähneputzen ab dem 1.Milchzahn, wohin-gegen die American Academy of Pediatric Dentistry (2016) das zweimal tägliche Zähneputzen nahelegt.

Man geht heute davon aus, dass eine gründliche Reinigung der Zähne zweimal pro Tag diese so weit von Plaque freihält, dass keine Karies entstehen kann (Jepsen et al. 1998). Möglicherweise putzten die in der vorliegenden Studie eingeschlossenen Kinder tatsächlich zwei- bis dreimal die Zähne, allerdings nicht sehr gründlich. 11 Kinder aus der Gruppe putzten sich alleine die Zähne, was dazu führte, dass sie einen deutlich höheren Kariesbefall aufwiesen als die Kinder, die Hilfe von einem Familienmitglied erhielten. Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen (Mazhari et al. 2007; Declerck et al. 2008).

Der Konsum zuckerhaltiger Getränke wird als einer der Hauptrisikoindikatoren für die hohe Kariesprävalenz bei Kindern angesehen, was sich mit den Ergebnissen dieser Auswertung deckt (Grindefjord et al. 1995; Vanobbergen et al. 2001; Levy et al. 2003; Menghini et al. 2007, 2008; Leong et al. 2013; Sheiham &James 2015).

In der vorliegenden Studie tranken nur vier Kinder tagsüber ausschließlich Wasser. Dies, aber vor allem der nächtliche Konsum von Süßgetränken und der Kombination von Wasser und Süßgetränken (n=45) könnte die hohen dmf-Werte erklären. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Kollaboration mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) empfiehlt das Stillen von Säuglingen bis zum 6. Lebensmonat. Wenn Beikost zugegeben wird, wird Stillen sogar bis zum 2. Lebensjahr empfohlen (WHO 2003).

In einer aktuellen systematischen Übersicht wird betont, dass ohne eine ausgewogene Ernährung und gute Mundhygiene nicht ausgeschlossen ist, dass nächtliches oder häufiges Stillen zu einer ECC führt (Tham et al. 2015). Sofern man sich auf die Ergebnisse unserer Studie stützen kann, wird der von Tham et al. (2015) geäußerte Verdacht bestätigt, dass das Stillen nur einen Kofaktor darstellt und als alleiniger Einfluss wahrscheinlich nicht zu einer ECC führen kann.

Ähnlich verhält es sich mit dem Gebrauch der Schoppenflasche. Die empfohlene Verwendung liegt bei zwölf Monaten (Menghini et al. 2008). Obwohl der Großteil der untersuchten Kinder diese Dauer deutlich überschritt, lag zwischen den Gruppen kein statistisch signifikanter Unterschied bezüglich der dmf-Werte vor.

Dies könnte daran liegen, dass der Inhalt, die Häufigkeit und der Zeitpunkt (nachts/tagsüber) der zugeführten Flüssigkeit in den ersten zwei Jahren nicht bekannt waren. Ferner kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Form der Nahrungsaufnahme entsprechend dem Stillen nur dann zu einer ECC führt, wenn gleichzeitig andere Risikofaktoren (später Putzbeginn, fehlendes Nachputzen) vorliegen. Zu diesem Zusammenhang sind aber bisher keine Studienergebnisse bekannt.

Die Aussagekraft unserer Ergebnisse ist aufgrund der überschaubaren Zahl der Teilnehmer mit Einschränkungen verbunden. Die geringe Fallzahl resultiert aus der Freiwilligkeit der Teilnahme und der Forderung nach ausreichenden Deutschkenntnissen (mindestens ein Elternteil musste die Fragen verstehen und beantworten können). Von den Eltern, die sich bereit erklärt hatten, an den Interviews teilzunehmen, musste ein Teil aufgrund sprachlicher Barrieren ausgeschlossen werden.

Des Weiteren kann wie bei vielen Fragebogenstudien eine Wiedergabeverzerrung nicht ausgeschlossen werden. Sie wurde minimiert, indem Antworten vorformuliert wurden und die behandelnde Zahnärztin den Bogen gemeinsam mit den Eltern ausfüllte. Aufgrund einer fehlenden kariesfreien Kontrollgruppe ist eine Verallgemeinerung der Ergebnisse schwierig. Dennoch bekräftigen unsere Ergebnisse durch ihr unterschiedliches Studiendesign weitestgehend die Ergebnisse von Menghini et al. (2007, 2008), was für einen kausalen Zusammenhang zwischen ECC und seinen gefundenen Risikoindikatoren sprechen könnte.

Schlussfolgerung

Die Herkunft der Mutter, später Beginn und Art der Durchführung der Mundhygiene sowie nächtlicher Konsum zuckerhaltiger Süßgetränke beeinflussen die Entstehung einer ECC maßgeblich. Vor dem Hintergrund, dass im Jahre 2013 40% der Neugeborenen in der Schweiz von einer im Ausland geborenen Mutter zur Welt gebracht wurden (Bundesamt für Statistik 2014), sollten Aufklärungsprogramme folgen, die noch spezieller auf die Defizite und Bedürfnisse dieser Risikogruppe eingehen, als dies bislang der Fall ist. Die vorgelegte Arbeit bietet die Grundlage für weitere Untersuchungen, um genauere Aussagen zum Einfluss von Risikoindikatoren auf die Karies treffen zu können.

Iris Kraljevic, Cornelia Filippi, Andreas Filippi: Risikoindikatoren der ECC bei Kindern mit hohem Behandlungsbedarf; SWISS DENTAL JOURNAL SSO 127: 405–410 (2017).

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