Volker Looman

Mut zur Angst

77 Prozent aller Deutschen glauben, Geld mache frei. Die Zahl ist allen Unkenrufen zum Trotz keine Schnapszahl, und ich will den Wert auch nicht in Zweifel ziehen, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Leute zu 99 Prozent arme Schlucker sind. Wenn ich mit Anlegern, die wirklich Geld haben, ins Gespräch komme, merke ich schnell, dass diese Leute stolz sind, nicht am Hungertuch nagen zu müssen, doch von „Freiheit“ spüre ich in der Regel nicht viel. Ich habe eher das Gefühl, dass Geld unfrei macht, weil vermögende Privatleute große Angst haben, ihren Reichtum wieder zu verlieren. Ein Beispiel: Ein rüstiger Zahnarzt ist 65 Jahre alt. Der Mann hat in der Provinz keine Reichtümer verdient.

Trotzdem steht der Mediziner blendend da. Er bekommt aus dem Versorgungswerk eine monatliche Rente von 3.000 Euro. Außerdem lebt er zusammen mit seiner Frau, die zwei Jahre jünger ist, in einem schuldenfreien Haus, das etwa 400.000 Euro wert ist. Der wunde Punkt ist das „Depot“ bei der Hausbank, in dem rund 500.000 Euro schlummern. Die Anführungszeichen sind der dezente Hinweis, dass in dem Schließfach weder Anleihen noch Aktien, sondern nur „Münzen und Scheine“ liegen.

Der vitale Zahnarzt ist, falls die Renten bis zum 85. Geburtstag mit jeweils zwei Prozent kapitalisiert werden, mit einem Gesamtvermögen von 1.493.000 Euro „anderthalbfacher“ Millionär. Die charmante Ehefrau bliebe, wenn den Mann heute Abend der Schlag trifft, mit einem Vermögen von 1.256.000 Euro eine attraktive Partie, weil die Witwenrente von 1.800 Euro mit hoher Wahrscheinlichkeit noch 20 Jahre bezahlt werden wird. Trotzdem kann bei dem Ehepaar von Entspannung keine Rede sein. Die beiden Senioren haben Angst. Und Angst kommt nirgendwo so deutlich zum Ausdruck wie beim Geld.

Angst ist in meinen Augen das „deutscheste“ aller Gefühle in Deutschland. Wir haben Angst vor Fremden. Wir haben Angst vor dem Klimawandel. Wir haben Angst vor Reaktor-Unfällen. Wir haben Angst vor dem Aussterben des Salamanders. Ich will mich mit diesen Hinweisen über Sie, bitte glauben Sie mir das, bestimmt nicht lustig machen, sondern ich will Ihnen die Augen öffnen, dass Angst üble Auswirkungen auf den Umgang mit Geld hat. Sie können sich abstrampeln, wie Sie wollen, Sie können Ihren tollen Verstand bemühen, wie Sie wollen, Sie können einmal in der Woche in den Wald brüllen, keine Angst zu haben, doch gegen Ihr liebes Unterbewusstsein haben Sie keine Chance: Sie haben Angst, und ich will Sie ermutigen, diese Angst zu akzeptieren. Dann wird es auch mit Geldanlagen klappen.

Die mit Abstand größte Angst scheint mir die „Sorge“ vor Verlusten zu sein. Der Zahnarzt hat keine Angst vor dem Wegfall der Rente. Die Frau hat keine Angst vor dem Diebstahl des Hauses. Das Ehepaar hat Angst vor dem Verlust des Bargelds. In Wirklichkeit geht es aber gar nicht um Geld, sondern um die Angst vor Abstieg und Krankheit. Über den zweiten Punkt wird, wenn das Vertrauen vorhanden ist, hier und da noch gesprochen, doch Gespräche über die Angst, eines Tages unter der Brücke schlafen zu müssen, sind ein totales Tabu.

Die starke Anspannung, auf der einen Seite viel Geld zu haben, doch auf der anderen Seite „nichts“ von diesem Vermögen zu haben, weil es für sichere Anlagen keine Zinsen mehr gibt, treibt manche Anleger zur Verzweiflung. Ich kann dazu nur lapidar feststellen: Anleihen werfen keine Erträge mehr ab, Immobilien sind mit der Gefahr der Überteuerung verbunden und Aktien enthalten bei geringer Streuung das Risiko des Totalverlusts. Folglich ist und bleibt Bargeld in solchen Lebenslagen die beste Anlage.

Ich könnte Ihnen jetzt den Rat geben, einen Teil des Geldes oder gar das ganze Vermögen auf den Kopf zu hauen. 500.000 Euro führen bei einer Restlaufzeit von 20 Jahren und ohne Zinsen zu 240 monatlichen Zusatzrenten von jeweils 2.083 Euro und 33 Cent, doch ich werde mir den Hinweis verkneifen, dass der maßvolle Verzehr von Bargeld nicht die schlechteste Anlage ist. Das gibt nur Ärger. Die ersten von Ihnen würden fragen, was geschehen soll, wenn Sie länger leben. Die zweiten würden nachbohren, was passieren wird, wenn Sie pflegebedürftig werden. Die dritten würden die Sorge äußern, der liebe Familienfrieden gerate in Gefahr, weil sich die armen Erben mit einem Haus abfinden müssen. Wie viele von Ihnen werden frank und frei bekennen, einfach nur Angst zu haben?

Ich möchte Sie ermutigen, nicht nur beim Aufstieg aufs Matterhorn oder beim Fallschirmsprung aus dem Flugzeug, sondern auch beim Umgang mit Geld mal Mut zur Angst zu haben. So wie Vermögen keine Schande ist, ist auch Angst nicht vom Übel. Darüber würde ich aber, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht gerade mit Bankern reden. Erstens sind die meisten Banker selbst Hasenfüße. Zweitens müssen die armen Kerle irgendwelchen „Mist “ ihrer Arbeitgeber an den Mann oder die Frau bringen. Mir ist schon klar, dass das harte Worte sind, doch Banker werden nicht für kuschelige Stunden, sondern für harte Abschlüsse bezahlt.

Anleihen, Immobilien und Aktien helfen aber nicht im Kampf gegen Angst. Da brauchen Sie die Hilfe eines Psychologen oder Therapeuten. Wäre das nicht – ganz im Ernst – die beste Anlage für gute Anlagen?

Kolumnen entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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