Interview mit Dr. Roland Weber zu Alterungsrückstellungen

„Die PKV ist kein individueller Sparvertrag!“

Wechseln Sie innerhalb der PKV die Versicherung, können Sie Ihre Rückstellungen erfahrungsgemäß vergessen. Warum die Portabilität – wenn überhaupt – nur in der Theorie funktioniert, erklärt Dr. Roland Weber, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung und Mitglied im Vorstand der Debeka.

Die Diskussion bei der Portabilität von Alterungsrückstellungen kreist um die Entmischung des individuellen Risikos und den Ausgleich im Versichertenkollektiv. Warum tun sich die PKV-Versicherungen damit so schwer?

Dr. Roland Weber:

Aus Verbrauchersicht wird die „Lebensentscheidung“ für ein Unternehmen der PKV als nicht mehr zeitgemäß betrachtet. Der Verbraucher soll in jeder Lebenslage Wechselrechte und Wechselmöglichkeiten eingeräumt bekommen. Um einen solchen Wechsel von einem PKV-Unternehmen zu einem anderen zu ermöglichen, ist es unter anderem erforderlich, die Alterungsrückstellung in angemessener Höhe mitzugeben. Die Forderung nach der Mitgabe der Alterungsrückstellung stößt allerdings auf sozialpolitische, rechtliche und technische Hindernisse.

Die Private Krankenversicherung ist eine Risikoversicherung und kein individueller Sparvertrag. Die Alterungsrückstellung wird für das Morbiditätsrisiko des gesamten Kollektivs kalkuliert, nicht für das individuelle Morbiditätsrisiko jedes Einzelnen.

Erfahrungsgemäß sind es vor allem gesunde Versicherte, die in ihrem Unternehmen in einen anderen Tarif oder gar zu einem anderen Versicherer wechseln. Kranke scheuen das Risiko der Veränderung. Gibt ein Tarif mehr gesunde Versicherte ab als neu hinzukommen, verschlechtert sich seine Morbiditätsstruktur und die langfristige Beitragsentwicklung verläuft schlechter als wenn es diese Abgänge nicht gegeben hätte. Es droht also ein Auseinanderdriften der Kollektive. Dem kann man innerhalb eines Versicherers noch durch verschiedene Maßnahmen entgegenwirken, bei Wechseln zwischen Ver- sicherern ist dies nicht möglich.

Muss der Wechsler Abstriche beim Versicherungsschutz, zum Beispiel bei hochwertiger Zahnversorgung machen?

Nein. Jeder Privatversicherte kann jederzeit und in jedem Alter in einen anderen Tarif seines Versicherers wechseln. Ganz nach den individuellen Bedürfnissen lassen sich somit der Leistungsumfang wie auch der Preis anpassen. Dieses Wechselrecht gilt für Wechsel in leistungsschwächere Tarife wie auch in leistungsstärkere. Ist das Leistungsniveau des neuen Tarifs höher als das des alten, zum Beispiel 100 Prozent Zahnersatz statt 50, und es bestehen einschlägige Vorerkrankungen, kann der Versicherer für die Mehrleistungen einen Beitragszuschlag oder einen Leistungsausschluss verlangen.

Welche Auswirkungen hat der Aderlass für das Restkollektiv?

Bleiben im Restkollektiv nur noch die schlechten Risiken übrig, führt dies zwangsläufig in eine Spirale von Beitragserhöhungen.

Ist ein Pool-Ausgleich zwischen den Versicherungen denkbar?

Ein fairer Poolausgleich ist nur auf der Ebene einheitlicher Tarife über die gesamte Branche machbar. Dann hätten wir neben der GKV auch ein einheitliches Leistungs- niveau in der PKV und damit schon fast die Bürgerversicherung.

Halten Sie Portabilität für kalkulierbar?

Wir haben bei der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) alle vorliegenden Modelle für eine Portabilität der Alterungsrückstellungen untersucht. Einige davon funktionieren in der Theorie, keines aber in der Praxis. Die Modelle, die mit morbiditätsorientierten Alterungsrückstellungen arbeiten, verkennen, dass es kein anerkanntes Verfahren gibt, aus dem aktuellen Gesundheits- zustand die Behandlungskosten für den Rest des Lebens abzuschätzen. Dann gibt es Modelle, bei denen diese Prognosen immer nur für eine befristete Zeit gefordert sind, ähnlich wie beim Morbi-RSA der GKV. Diese Modelle führen aber auf Dauer zu einer unentwirrbar komplexen Verteilung der Beiträge und Leistungen zwischen allen Versicherern, bei denen der Versicherte im Laufe seines Lebens Kunde war, oder zu einem Einheitstarif wie in der GKV. Die ganze Diskussion verkennt, dass wir durch das GKV-WSG für alle seit 2009 abgeschlossenen Verträge bereits Portabilität haben – allerdings schlecht gemacht und mit der Gefahr der Risikoentmischung. Die Mängel dieses Modells müssen korrigiert werden; eine Arbeitsgruppe der DAV arbeitet hier an Vorschlägen. Eine Ausweitung der bestehenden Regelungen auch auf ältere Versicherungen wäre für die meisten Versicherten mit – teilweise erheblichen – Beitragserhöhungen verbunden und damit verfassungsrechtlich sicherlich ein unzulässiger rückwirkender Eingriff in privatrechtliche Verträge.

Befürchten Sie, dass die Politik den gordischen Knoten mit Einführung der Bürgerversicherung zerschlagen könnte? Droht das Ende der PKV als Vollversicherung?

Damit würde die Politik keinen gordischen Knoten zerschlagen, sondern eines der leistungsstärksten Gesundheitssysteme weltweit. Die Dualität von GKV und PKV hat sich über Jahrzehnte bewährt.

Nur durch sie ist das Leistungsniveau der GKV höher als in allen anderen Ländern, und die Private Krankenversicherung hat viel mehr soziale Komponenten als jedes andere Privatversicherungssystem. Mit der Bürgerversicherung wäre nichts gewonnen, aber viel verloren.

Das Interview führte Hans-Edmund Glatzl, gesundheitspolitischer Fachjournalist.

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