Umgang mit Lückengebisssituationen

Konzept verkürzte Zahnreihe: Wo stehen wir 2016?

Heftarchiv Zahnmedizin
Verkürzte Zahnreihen erlauben so vielfältige Lösungen wie kaum eine andere Lückengebisssituation. Ein Blick auf den aktuellen Wissensstand zeigt, dass der Erhalt und der Aufbau von Prämolarenokklusionen sinnvolle Ziele sein können. Und dass eine verkürzte Zahnreihe nicht unbedingt mit einer Unterversorgung gleichzusetzen ist.

Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien veröffentlichte 2011 im Bundesgesundheitsblatt eine Übersicht zu modernen Behandlungsmitteln und Strategien und thematisierte dabei den Verzicht auf medizinisch nicht erforderlichen Zahnersatz [Kern et al., 2011]: Auch bei gut etablierten Interventionen kann ein strukturierter Abwägungsprozess dazu führen, diese nicht umzusetzen und fehlende Zähne nicht zu ersetzen. Im Deutschen Ärzteblatt wurde im letzten Jahr die Initiative „Gemeinsam Klug Entscheiden“ vorgestellt, die übliche Versorgungspraktiken in der Medizin hinterfragen soll. Die Autorin wählte dabei den Titel „Mut haben, etwas nicht zu tun“, der auch gut auf das Konzept der verkürzten Zahnreihe anwendbar wäre [Richter-Kuhlmann, 2015].

Grundlage jeder medizinischen Entscheidung ist eine sorgfältige Nutzen-Risiko- Abwägung. Weitere Faktoren sind die zugrunde liegenden Rahmenbedingungen sowie Haltungen, Ziele und Präferenzen von Zahnarzt und Patient. Ganz klar, verkürzte Zahnreihen stellen einen suboptimalen Zustand dar. Sie führen zu einem reduzierten Funktionsniveau. Allerdings zeigen die jahrzehntelangen Erfahrungen vieler Kollegen und die einschlägige Literatur, dass Patienten oft subjektiv weitgehend unbeeinträchtigt mit so genannten Prämolarenokklusionen leben [Wolfart et al., 2013].

Bei der Entscheidung für oder gegen eine prothetische Intervention spielen auch die Risiken eine wichtige Rolle, die den jeweils möglichen Restaurationsformen zuzuordnen sind. Die Validität des auf Käyser zurückgehenden Konzeptes der verkürzten Zahnreihe kann heute als relativ gut wissenschaftlich abgesichert gelten [Käyser, 1981; Khan et al., 2014]. Obwohl weithin bekannt und mehrheitlich akzeptiert, spielt das Konzept allerdings im Praxisalltag eine unterschiedliche und eher untergeordnete Rolle [Abuzar, Humplik, und Shahim, 2015; Kanno und Carlsson, 2006]. Die Gründe sind vielfältig und liegen in Deutschland auch im Bezuschussungssystem der Gesetzlichen Krankenversicherung. Das Konzept der verkürzten Zahnreihe stellt einen pragmatischen klinischen Ansatz mit dem Ziel eines unter den gegebenen Bedingungen individuellen Optimums dar. Trotzdem finden sich in Diskussionen und zum Teil auch in zahnärztlichen Gutachten immer noch pauschal negative, undifferenzierte Wertungen. Dabei werden unter anderem Risiken bezogen auf Zahnstellungsänderungen, Okklusions- und Funktionsstörungen angeführt. Die folgende Darstellung befasst sich mit der beidseitig verkürzten Zahnreihe, beziehungsweise der beidseitigen Prämolarenokklusion. Eine einseitig verkürzte Zahnreihe stellt einen gesondert abzuhandelnden Befund dar, bei dem es Überschneidungen, aber auch Unterschiede gibt. Käyser hat das Konzept der verkürzten Zahnreihe systematisch beschrieben [Käyser, 1989; Käyser, 1990]. Es ist ein Konzept, das

• Erhaltungs- und Therapieziele nach multiplem Zahnverlust definiert (schwerpunktmäßig Prämolarenokklusionen),

• zusätzliche Therapiealternativen ermöglichen und die Komplexität der Behandlung reduzieren kann,

• nicht bei allen Patienten anwendbar ist.

Das Prinzip ist, den Fokus auf die strategisch besonders wichtigen Frontzähne und Prämolaren zu richten, bei deren Erhalt unter bestimmten Bedingungen auf einen Molarenersatz verzichtet werden kann. In einem höheren Alter muss mehrheitlich von einer nachlassenden Hygienefähigkeit der Patienten ausgegangen werden. Abnehmendes Sehvermögen und motorische Einschränkungen sind dafür mitursächlich. Für den älteren Patienten ist es einfacher, die gut zugänglichen, einsehbaren Frontzähne und Prämolaren zu reinigen als die Molaren (Abbildung 1).

Grundlage des Konzeptes ist eine Einteilung in funktionelle Niveaus, die auf unterschiedliche Weise beschrieben werden können. Eine einfache Methode ist es, in Kontakt stehende Zahnpaare zu zählen [Käyser, 1990; Käyser, 1994; McKenna et al., 2015b]. Eine Prämolarenokklusion mit allen Prämolaren entspricht bei ebenfalls in Kontakt stehenden Frontzähnen demzufolge zehn okkludierenden Zahnpaaren. In der klinischen Umsetzung werden dabei suffizient ersetzte Zähne in der Regel mitgezählt. Die einfache Zählweise von Zahnpaaren hat gegenüber der ebenfalls üblichen reinen Betrachtung von okkludierenden Seitenzahnpaaren (das wären bei einer Prämolarenokklusion vier) den Vorteil, dass die bei der verkürzten Zahnreihe wichtigen Frontzahnkontakte mit berücksichtigt werden. In der Beschreibung des Konzeptes wurde eine Altersabhängigkeit der funktionellen Niveaus angegeben [Käyser, 1990]. Das Funktionsniveau mit zehn okkludierenden Zahnpaaren wurde als suboptimales Funktionsniveau definiert und bezüglich seiner Indikation einem Alter von 40 bis 80 Jahren zugeordnet. Epidemiologisch sind Zahnbestände mit 20 Restzähnen in Form der klassischen „Golden Twenty“ eher selten. Häufig sind noch einzelne Molaren vorhanden, die im Kontakt oder nicht im Kontakt stehen. Das funktionelle Niveau mit acht okkludierenden Zahnpaaren wird als stark verkürzte Zahnreihe benannt. Dieses Funktionsniveau wird als minimal bezeichnet und in den Originalpublikationen einem Alter von 70 bis 100 Jahren zugeordnet. Ein Beispiel dafür kann eine Okklusion aller Frontzähne und ersten Prämolaren sein. In der Gerodontologie werden teilweise noch weiter reduzierte Zahnbestände als akzeptabel angesehen, zum Beispiel reine Frontzahnokklusionen [Sellmann, 2011]. Das Konzept kann aus gesundheitsökonomischer Sicht Vorteile bezüglich der Kosteneffektivität bieten [McKenna et al., 2014].

In einer retrospektiven Kohortenstudie in Nijmegen konnte festgestellt werden, dass verkürzte Zahnreihen über Jahrzehnte langzeitstabil bleiben können [Gerritsen et al., 2013b]. Nach 27 Jahren wiesen 20 von 23 betroffenen Patienten noch eine verkürzte Zahnreihe auf. In der Vergleichsgruppe „verkürzte Zahnreihe und Teilprothese“ wiesen nur sechs von 13 Patienten nach 33 Jahren noch diesen Status auf. Die Autoren schlussfolgern daraus, keine Empfehlung für Teilprothesen abgeben zu können. Es muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass es sich um eine retrospektive Studie mit geringen Fallzahlen und ohne zufällige Zuordnung der Therapie handelt. Vergleichende Aussagen sind daher höchst problematisch. In einer Teilauswertung dieser Studie wurde das Risiko des Prämolarenverlustes bei Patienten mit verkürzten Zahnreihen und vollständigen Zahnreihen verglichen [Gerritsen et al., 2013a]. Es wurde festgestellt, dass dieses Risiko bei vollständigen Zahnreihen deutlich geringer ausfiel. Die Autoren sehen daher Patienten mit verkürzten Zahnreihen bezüglich des Prämolarenverlustes als Risikopatienten an, die einer intensiven Nachsorge bedürfen.

###more### ###title### Multicenterstudie RaSDA ###title### ###more###

Multicenterstudie RaSDA

Die wohl umfangreichste Studie zur verkürzten Zahnreihe findet in Deutschland als randomisierte, kontrollierte Multicenterstudie RaSDA (Randomized Shortened Dental Arch Study) mit 152 versorgten Patienten statt [Diebner et al., 2016; Marré et al., 2015; Reissmann et al., 2014; Walter et al., 2013; Walter et al., 2014; Walter et al., 2010; Wolfart et al., 2012; Wolfart et al., 2013]. Die Studie wurde Anfang des letzten Jahrzehnts aufgelegt und wird bis zu 15 Jahren Beobachtungsdauer fortgeführt werden. Bisher liegen Zehn-Jahresergebnisse vor. Die Therapieformen wurden nach dem Zufallsprinzip zugewiesen. Verglichen werden ein Belassen oder der Aufbau einer verkürzten Zahnreihe mit festsitzendem Zahnersatz als Prämolarenokklusion bis zum zweiten Prämolaren und die Versorgung mit Geschiebeprothesen zum Molarenersatz. Der Wunsch nach einer Implantatversorgung war ein Ausschlusskriterium. Leider sind zufällige Therapiezuordnungen mit konventionellem Zahnersatz und implantatgetragenem Zahnersatz kaum möglich: Ethische Gründe und hohe zu erwartende Zahlen von Studienabbrechern bei Zuweisung einer konventionellen Versorgung sprechen dagegen. Eingeschlossen wurden Patienten, die beidseitig mindestens den Eckzahn und einen Prämolaren in dem zu versorgenden Kiefer aufwiesen. Als Hauptzielgröße diente Zahnverlust. Nebenzielgrößen waren unter anderem Lebensqualität, Parodontalzustand, Funktionsstörungen und Reparaturbedürftigkeit. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bisher kaum signifikante Unterschiede zwischen den beiden Therapieformen festzustellen waren. Eine Ausnahme bildete der Parodontalzustand, der nach fünf Jahren bei verkürzten Zahnreihen ein signifikant besseres Ergebnis zeigte.

Allerdings muss erwähnt werden, dass die Unterschiede im klinischen Attachmentverlust im versorgten Kiefer zwar signifikant, aber letztlich in einer Größenordnung von 0,3 mm klinisch unbedeutend waren. Die bisher vorliegenden Ergebnisse bestätigen somit erneut die Funktionalität von Prämolarenokklusionen.

Die Risiken einer Prämolarenokklusion sind durchaus vielfältig. Diese Risiken werden auf der Basis des aktuellen Wissensstandes als niedrige oder mittlere Risiken eingeschätzt. Im Folgenden soll auf ausgewählte Risiken eingegangen werden und relevante Literatur dazu zitiert werden:

• Okklusion/Funktionsstörungen

In einer prospektiven Kohortenstudie über neun Jahre wurden vollständige Zahnreihen mit verkürzten Zahnreihen verglichen [Witter et al., 2001]. Bei verkürzten Zahnreihen zeigten sich keine Unterschiede bezüglich des vertikalen Überbisses und bezüglich der Abnutzung der Zahnhartsubstanzen, mehr Lücken im Prämolarengebiet und mehr Frontzähne im Okklusionskontakt. Die Autoren gehen von okklusalen Veränderungen aus, die selbstbegrenzend waren und ein neues okklusales Gleichgewicht im Sinne einer okklusalen Langzeitstabilität anzeigten. Beachtung verdient der Befund von mehr Okklusionskontakten in der Front. Es ist davon auszugehen, dass sich die Funktion der Frontzähne an die reduzierte Abstützung im Seitenzahngebiet anpasst und teilweise auch Funktionen der Seitenzähne übernommen werden. Stärkere Frontzahnkontakte können daher als Ausdruck eines adaptiven Prozesses interpretiert werden. Gleiches gilt für geringfügige Stellungsänderungen. Ein Beispiel dafür zeigt die Abbildung 2.

In einer Querschnittsstudie zu Myoarthropathien wurde keine Evidenz für ein erhöhtes Risiko bei verkürzten Zahnreihen gefunden [Sarita et al., 2003]. Bei uni- oder bilateralem Fehlen der gesamten okklusalen Abstützung im Prämolarenbereich wurde jedoch ein steigendes Risiko für Schmerzen und Gelenkgeräusche festgestellt.

• Elongation antagonistenloser Zähne

Ein wesentliches Argument gegen verkürzte Zahnreihen ist die Elongation nicht mehr abgestützter Molaren. Häufig wird daraus auch die medizinische Notwendigkeit eines herausnehmbaren Zahnersatzes abgeleitet. In einer nicht auf verkürzte Zahnreihen fokussierenden Zehn-Jahres-Kohortenstudie zu antagonistenlosen Molaren wurde festgestellt, dass obere Molaren Positionsänderungen in allen drei Dimensionen des Raumes zeigten. Gleiches galt für kontralaterale Kontrollzähne mit antagonistischen Kontakten.

Bei parodontal gesunden Zähnen waren die Veränderungen jedoch nur gering und klinisch unbedeutend [Christou und Kiliaridis, 2007]. Die okklusale Abstützung antagonistenloser Molaren ist also vor dem Hintergrund dieser Studie kein starkes Argument gegen eine Prämolarenokklusion. Selbst wenn relevante Elongationen erwartet werden, stellt sich immer noch die Frage

nach der Gesamtbilanz von Risiken und Nutzen der geplanten prothetischen Versorgung. Es ist also durchaus zulässig, antagonistenlose Molaren in diesem Zustand zu belassen [Witter et al., 1999]. Ein klinisches Beispiel zeigt die Abbildung 3.

• Abnutzung der Zahnhartsubstanzen

Immer wieder wird eine stärkere Abnutzung der Zahnhartsubstanzen bei Prämolarenokklusionen vermutet. In einer bereits zitierten Studie zeigten sich für Zahnhartsubstanzverluste keine Unterschiede zwischen verkürzten und vollständigen Zahnreihen [Witter et al., 2001]. Eine neuere Fallkontrollstudie befasste sich ebenfalls mit Zahnhartsubstanzverlusten und dem Vergleich von verkürzten mit kompletten Zahnreihen [Zhang et al., 2014]. Bei den verkürzten Zahnreihen wurden allerdings nicht ausschließlich Patienten mit reinen Prämolarenokklusionen eingeschlossen. Es zeigten sich keine Unterschiede bezüglich der Abnutzung bei Frontzähnen, während Prämolaren bei verkürzten Zahnreihen stärkere Zahnhartsubstanzverluste aufwiesen. Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass bei verkürzten Zahnreihen mehr posteriore okkludierende Einheiten mit weniger Abnutzung bei Frontzähnen assoziiert waren.

Es ist davon auszugehen, dass sich das biologische System an Prämolarenokklusionen mit geringeren Gesamtkräften anpasst, wobei die endständigen Zähne am stärksten belastet werden [Hattori et al., 2003]. Trotzdem unterliegen die Zähne und besonders die endständigen Prämolaren vermutlich höheren Belastungen als in der geschlossenen Zahnreihe. Daher sollten im Falle einer Restaurationsbedürftigkeit hoch belastbare Werkstoffe und Behandlungsmittel, zum Beispiel metallische oder metallkeramische Kronen verwendet werden.

• Kauen und Ernährung

Eine japanische Multicenterstudie ergab, dass die Versorgung verkürzter Zahnreihen mit herausnehmbarem und implantatgetragenem Zahnersatz zu einer Verbesserung der objektiven Kaueffektivität bei jedoch unverändertem subjektivem Kauvermögen führte [Fueki et al., 2016].

In einer randomisierten kontrollierten Studie zum Ernährungszustand wurden Patienten von 65 Jahren und älter nach Versorgung mit Modellgussprothesen und verkürzten Zahnreihen untersucht [McKenna et al., 2015b].

Dabei konnten keine Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt werden. In dieser Studie zeigte sich bezüglich der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität ein signifikanter Vorteil für die Gruppe mit verkürzten Zahnreihen [McKenna et al., 2015a].

Im Rahmen einer breit angelegten amerikanischen Studie (National Health and Nutrition Examination Survey NHANES) konnte die Studienhypothese, dass verkürzte Zahnreihen mit einem höheren Body Mass Index assoziiert sind, nicht bestätigt werden [Wiener und Wiener, 2015].

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Mehrheit der relevanten Studien die klinische Eignung des Konzeptes der verkürzten Zahnreihe stützt. Aus dem vorhandenen Wissen und der klinischen Erfahrung können relative Kontraindikationen für verkürzte Zahnreihen als Therapie- beziehungsweise Erhaltungsziel formuliert werden:

• (starke) parodontale Vorschädigungen

• hohe ästhetische Anforderungen

• Abweichung vom Neutralbiss/Dysgnathien (reduzierter Frontzahnkontakt, reduzierte Okklusion)

• Funktionsstörungen in der Anamnese

• Bruxismus

Um Misserfolge zu vermeiden, sollten bei der Patientenauswahl neben dem Altersaspekt diese relativen Kontraindikationen berücksichtigt werden.

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Festsitzender ZE

Ein häufiges Therapiemittel zum Aufbau verkürzter Zahnreihen ist die Freiendbrücke zum Ersatz des zweiten Prämolaren. In Metaanalysen [Pjetursson et al., 2007] konnte festgestellt werden, dass zahngetragene Freiendbrücken unterschiedlicher Konstruktion in ihren Zehn-Jahres-Überlebensraten hinter zahngetragenen und implantatgetragenen Brücken zurückblieben (80,3 Prozent versus 89,2 Prozent und 86,7 Prozent). Diese niedrigere Überlebensrate ist allerdings immer noch so hoch, dass ein klinischer Einsatz durchaus gerechtfertigt ist (Abbildung 4).

Im Rahmen der oben zitierten RaSDA-Studie zeigte sich kein negativer Einfluss von Freiendbrücken auf die Pfeilerzahnprognose [Sasse et al., 2014]. Für Freiendbrücken werden zwei Pfeiler als erforderlich angesehen sowie eine Begrenzung des Extensionsgliedes auf Prämolarenbreite [Strub, 2011]. Hauptrisiken der Freiendbrücke sind Dezementierung und Pfeilerfraktur. Abhängig von der Vitalität der Pfeilerzähne wurden in einer retrospektiven Studie signifikante Unterschiede in den Überlebensraten von Freiendbrücken gefunden. Bei der 16-/18-Jahres-Überlebensrate zeigten sich die Werte von 74 Prozent für vitale Pfeilerzähne und 52 Prozent für Brücken mit mindestens einem wurzelkanalbehandelten Pfeiler [De Backer et al., 2007]. Bei Freiendbrücken wirkten wurzelkanalbehandelte Pfeiler also risikoerhöhend. Aus diesem Grund werden in der Regel Freiendbrücken auf avitalen Pfeilern in der Klinik des Autors nicht angewendet. Besonders gefährdet sind die auf Torsion belasteten endständigen Pfeiler.

Folgende Empfehlungen für Freiendbrücken zur Verlängerung der Zahnreihe können als Literatursynopse angegeben werden:

• mindestens zwei stabile, vitale, parodontal gesunde Pfeilern

• Anhänger in Prämolarenbreite

• Verwendung geeigneter Materialien

• ausreichende Dimensionierung

Als geeignetes Material kann etwa eine edelmetallfreie Legierung mit und ohne Verblendung aufgrund ihrer günstigen mechanischen Eigenschaften gelten. Bei Freiendbrücken geht Stabilität vor Ästhetik. Daher sollten die Pfeilerzähne substanzschonend präpariert und daraus resultierende Überkonturen akzeptiert werden. An dieser Stelle ist anzumerken, dass aus Gründen der Risiko-Nutzen-Abwägung der Ersatz eines ersten Molaren in Prämolarenbreite durch eine Freiendbrücke bei vorhandenem zweitem Prämolaren kritisch hinterfragt werden sollte. Es wird ein zusätzliches Risiko eingetragen, das aufgrund des ausreichenden funktionellen Niveaus bei Prämolarenokklusion nicht zwingend erforderlich ist.

###more### ###title### Herausnehmbarer ZE ###title### ###more###

Herausnehmbarer ZE

Herausnehmbarer Zahnersatz bei verkürzten Zahnreihen kann in vielfältiger Form angewendet werden, mit Klammern, Teleskopen, Geschieben, Ankern oder aber auch in Kombination mit sogenannten Stützimplantaten. Herausnehmbare Teilprothesen können die reduzierte Kaueffektivität bei Patienten mit verkürzten Zahnreihen teilweise ausgleichen [Liang et al., 2015]. Der Gesundheitsnutzen verschiedener Formen herausnehmbarer Teilprothesen zum Ersatz der Seitenzähne ist auf der Basis der Studienlage nach wie vor schwer zu bestimmen [Nassani et al., 2013]. In einem systematischen Review der Cochrane Library, allgemein als Goldstandard dieses Publikationsformats angesehen, befassten sich die Autoren mit verschiedenen Zahnersatzformen [Abt, Carr, und Worthington, 2012] Sie kamen zu dem Schluss, dass nur unzureichende Evidenz zur Beantwortung der Frage nach der Über- oder Unterlegenheit einzelner Formen von herausnehmbarem Zahnersatz vorhanden war. Auch über Unterschiede in der Alltagswirksamkeit von festen und herausnehmbaren Versorgungen bei verkürzten Zahnreihen konnten keine evidenzbasierten Aussagen gemacht werden. Überhaupt muss festgestellt werden, dass bei der Bewertung verschiedener Zahnersatzformen oft unzulässige, methodisch fragwürdige Vergleiche durchgeführt werden. Liegen nicht-randomisierte Studien zu Grunde, sprich Studien ohne zufällige Zuordnung der Therapiemittel, ist beispielsweise davon auszugehen, dass bei Patienten, die mit einer Modellgussprothese versorgt werden, sich der Restzahnbestand häufig in einem schlechteren, stärker vorgeschädigten Zustand befindet als bei teleskopierendem oder festsitzendem Zahnersatz. Insofern sind Vergleiche von Überlebensraten bei von der Zahnprognose abhängenden Indikationen kaum aussagekräftig.

Zentrale Risiken der Teilprothesen sind, abhängig von der Konstruktion, Nichttragen, parodontale Schäden, Karies und Pfeilerfrakturen. Modellgussprothesen zeigten in einzelnen Studien durchaus befriedigende Überlebensraten. Dabei wurden 10-Jahres-Überlebensraten im Unterkiefer von etwa 80 Prozent angegeben, im Oberkiefer etwas höher [Vanzeveren et al., 2003a; Vanzeveren et al., 2003b].

In dieser Studie zeigten bilaterale Freiendprothesen im Unterkiefer das höchste Risiko. Die Autoren schlussfolgern, dass eine sehr gute Langzeitbewährung trotz fehlenden Recall-Regimes vorlag. In einer japanischen Studie wurden 7-Jahres-Überlebensraten von 83,7 Prozent bei engmaschiger Nachsorge und 71,9 Prozent ohne Nachsorge festgestellt [Tada et al., 2015].

Teleskopprothesen spielen aus einer globalen Sicht kaum eine Rolle und sind aufgrund ihrer mitteleuropäisch regionalen Bedeutung schlechter dokumentiert als Modellgussprothesen. Die in der Literatur berichteten Überlebensraten schwanken stark [Verma et al., 2013]. In einer retrospektiven Kohortenstudie aus Deutschland konnten bei einer hohen Patientenzahl von 463 und 554 Prothesen überwiegend bei Kennedy-Klassen I und II Fünfjahres-Überlebensraten von 95,1 Prozent für die Prothesen und 95,3 Prozent für die Pfeilerzähne gefunden werden [Wöstmann et al., 2007]. Bemerkenswert ist, dass keine Prothese mit mehr als vier Teleskopen ersetzt werden musste. Es wurde geschlussfolgert, dass die Zahl der Teleskope und die Nachsorge einen wesentlichen Einfluss auf die Langzeitbewährung haben.

Aus diesen Ergebnissen, aber auch aus der klinischen Erfahrung lässt sich ableiten, dass besonders Versorgungen mit nur zwei Teleskopen, sprich nur einem Teleskop auf jeder Kieferseite, einem erhöhten Risiko unterliegen. Jeder Kliniker kennt Pfeilerfrakturen nach einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren. Wurzelbehandelte Zähne sind besonders gefährdet, aber auch bei vitalen Zähnen können derartige Frakturen auftreten. Aus dem erhöhten Risiko resultieren folgende Empfehlungen für eine Teilprothese mit zwei Teleskopen:

• Vitalität der Pfeilerzähne

• Knochenabbau der Pfeilerzähne unter 50 Prozent

• Zahnhartsubstanzschonende Präparation, gegebenenfalls unter Inkaufnahme von Überkonturen

• Regelmäßige Überprüfung des Belastungsausgleichs und rechtzeitige Unterfütterung

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Implantatgetragener ZE

Auch für die Implantatversorgung gestaltet sich eine Nutzenbewertung schwierig. Es stehen vielfältige Optionen zur Verfügung. Grundsätzlich kann zwischen Vollversorgung mit Molarenersatz und verkürzten Zahnreihen als Therapieziel unterschieden werden, wobei bei den Vollversorgungen noch zwischen Versorgungen mit Ersatz lediglich des ersten Molaren und Versorgungen mit Ersatz von erstem und zweitem Molaren unterschieden werden sollte. In dem heftig kritisierten Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zu implantatgetragenen Suprakonstruktionen bei prothetischem Zahnersatz für verkürzte Zahnreihen wurde keine ausreichende Evidenz zur Überlegenheit der prothetischen Versorgung mit implantatgetragenem gegenüber dem konventionellen festsitzend/abnehmbaren Zahnersatz ermittelt [IQWIG, 2009]. Das bedeutet natürlich nicht, dass diese Überlegenheit nicht besteht, sondern lediglich, dass diese Überlegenheit zurzeit nicht mit validen Studien auf höherem Evidenzniveau belegt werden kann. Diesen Zustand finden wir in der Zahnmedizin häufig. Leider werden solche Aussagen zuweilen als Beleg für die Unsinnigkeit evidenzbasierter Ansätze fehlinterpretiert. Eine Therapieentscheidung ausschließlich nach dem Kriterium Studienlage, also der externen Evidenz, ist nicht sinnvoll und wird auch der evidenzbasierten Zahnmedizin nicht gerecht. In der Praxis der evidenzbasierten Medizin wird vielmehr von einer Synthese von externer Evidenz und individueller klinischer Expertise in Verbindung mit den Patientenbedürfnissen ausgegangen. Unabhängig davon sollte sehr kritisch hinterfragt werden, ob ein zweiter Molar mit einem Implantat ersetzt werden sollte. Häufig reicht der Ersatz des ersten Molaren aus, um ein gutes funktionelles Niveau zu erreichen. Behält man die Hygienefähigkeit im Auge und berücksichtigt man darüber hinaus die oft ungünstigen lokalen Voraussetzungen, ergibt sich aus der Nutzen-Risiko-Abwägung häufig ein Verzicht auf den Ersatz des zweiten Molaren.

Der Aufbau verkürzter Zahnreihen mit Hilfe von Implantaten wird in einer Wissenschaftlichen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde aus dem Jahr 2008 beschrieben. Diese ist zwar mehr als fünf Jahre alt, kann aber noch im Online-Archiv unter www.dgzmk.de heruntergeladen werden. Darin heißt es unter anderem, dass die Wiederherstellung einer Prämolarenokklusion mittels Implantaten bei entsprechend reduzierter Gegenbezahnung ein Therapieziel sein kann, besonders wenn

• der Patient umfangreiche Maßnahmen zur Verbesserung des Implantatlagers ablehnt,

• das OP-Risiko gesenkt werden kann,

• Augmentationen, beziehungsweise Implantationen fehlgeschlagen sind,

• augmentative Maßnahmen kontraindiziert sind.

Aus der Sicht des Autors sollte eine entsprechend reduzierte Gegenbezahnung im Hinblick auf das Konzept der verkürzten Zahnreihe keine Bedingung sein. Wie oben beschrieben, können durchaus antagonistenlose Zähne im Sinne einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung so belassen werden und rechtfertigen nicht unbedingt zusätzliche Implantationen. Das Beispiel in Abbildung 5 zeigt die Umsetzung dieses Prinzips bei einer 55jährigen Patientin mit limitiertem Finanzrahmen.

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Schlussfolgerungen

Alle bewährten Behandlungsoptionen haben ihre Indikation. Auch wenn bezüglich der Differenzialindikation noch viele Fragen unbeantwortet bleiben, konnte das Konzept der verkürzten Zahnreihe in den letzten Jahren zunehmend mit Evidenz belegt und als in sich konsistenter Ansatz bestätigt werden. Es ist praxistauglich und nicht mit Unterversorgung gleichzusetzen. Der Erhalt und der Aufbau einer Prämolarenokklusion können medizinisch sinnvolle Ziele sein. Bei der Patientenauswahl sollten das Alter und die relativen Kontraindikationen berücksichtigt werden. Da die Evidenzbasis der differentialtherapeutischen Entscheidung allerdings noch immer schmal ist, kommt auch den Patientenpräferenzen ein starkes Gewicht zu.

Univ.-Prof. Dr. Michael H. Walter,Poliklinik für zahnärztliche ProthetikUniversitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden,Fetscherstr. 74, 01307 Dresden E-mail:

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