Editorial

Was das Chlorhühnchen uns lehren sollte

TTIP? Erinnern Sie sich noch? Vor gut einem Jahr löste das geplante Freihandelsabkommen mit den USA namens „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“, kurz TTIP, noch viele Befürchtungen aus. Doch dank intensiver Debatte und Berichterstattung über das Chlorhuhn und dem damit verbundenen Untergang der abendländischen Imbisskultur gingen die undemokratischen Absurditäten wie die Weigerung der Verhandlungsführer, gewählten Abgeordneten des Bundestages einen Einblick in die Verhandlungsunterlagen zu gewähren, in der Öffentlichkeit (und dazu dürfen wir getrost auch unsere Parlamentarier zählen) fast unter und sind bereits so gut wie vergessen.

Aber eben nicht aufgehoben. Zu TTIP wird nach wie vor zwischen den USA und der EU sowie auf jeweilig nationaler Ebene verhandelt. Nur berichtet wird halt kaum noch darüber. Stattdessen geht es seit Monaten um Ceta. Wenn man so will die kleine Schwester von TTIP, die ja ach gar nicht so böse ist wie das große Schwesterlein.

Es muss einem zu denken geben, wenn SPD-Chef Gabriel mit seinem ganzen massiven Gewicht dafür kämpft, dass seine Partei nun endlich den Weg frei macht für das – Achtung – geplante Frei-Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Ceta ist die Abkürzung für „Comprehensive Economic and Trade Agreement“, was nichts anderes heißt als umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen. Ziel des Abkommens ist, durch den Wegfall von Zöllen und „nichttarifären“ Handelsbeschränkungen wie unterschiedlichen Standards und Normen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, schrieb das Handelsblatt.

Haargenauso lautet auch die Begründung für TTIP, über das wir auch in der zm mehrfach berichteten. Aber weil sich die kanadischen Verhandlungspartner konzilianter geben, ist es natürlich etwas gaaaanz anderes. Auch wenn die eine oder andere nationale Forderung, die Eingang in das Ceta-Vertragswerk gefunden hat und die Verhandlungen nach außen erfolgreich erscheinen lässt, so hat sich im Kern nichts, aber auch gar nichts verändert. Das Chlorhuhn lässt grüßen …

Deshalb seien die Veränderungen, die vor allem TTIP (und in etwas geringerer Ausprägung Ceta) mit sich bringen kurz wiederholt. Auf das Gesundheitswesen haben die nach wie vor unveränderten Forderungen nach Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse enormes Veränderungspotenzial. Lassen Sie sich von dem Wort Handel nicht täuschen. Betroffen sind v.a. die Körperschaften: Zulassungsvoraussetzungen für Vertrags(zahn)ärzte, Bedarfsplanung und Sicherstellungsauftrag, Qualitätssicherung, Fremdkapital- oder auch Werbeverbote. Des Weiteren geht es um die Angleichung von Normen und Standards und deren umfassende gegenseitige Anerkennung. Und auch um so typisch amerikanische Regelungen wie „Medical Procedure Patents“. Ganz simpel bedeutet das nichts anderes, als dass Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung oder Diagnostik patentiert werden können. Was in der Konsequenz dazu führt, dass der medizinische Fortschritt eben nicht breit angewendet wird und allen Patienten zugutekommen kann.

Man kann all dies für Petitessen halten. Aber jede dieser differenten Regelungen wird – sofern dieses Abkommen ratifiziert wird – eine enorme Veränderung im deutschen Gesundheitswesen und damit auch für jeden Praxisinhaber, der immer ja auch Unternehmer ist, nach sich ziehen. Aber heben wir doch kurz den Blick und schauen auf den Kern dieser „Frei“handelsabkommen: Es ist die regulatorische Kooperation. Darunter versteht man vereinfacht ausgedrückt, „lebende Abkommen“, in deren Zentrum ein System von Ausschüssen steht. Der Hauptausschuss ist gemäß dem so gut wie ausverhandelten Ceta-Abkommen ein allein mit Exekutiv-Vertretern der EU-Kommission und der kanadischen Regierung besetztes Gremium, welches die Verfahrensvorschriften erlässt, sogar Änderungen im Vertrag vornehmen kann. Das Ganze nennt sich „Gemischter Ausschuss“ und ist bar jeglicher demokratischer Legitimierung.

So ein Editorial hat leider kurz zu sein. Deshalb nur noch eines: Der geforderte Investitionsschutz („Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus“) sieht ein Klagerecht für Unternehmen vor, wenn durch staatliche Maßnahmen (durch geänderte Vorschriften zum Beispiel) eben jene bedroht sind. Wo soll diese bearbeitet werden? In Exekutiv-Gremien. Hinter verschlossenen Türen also. Das ist nichts anderes als die Aushebelung nationalen Rechts. Ein Paradies für Lobbyisten tut sich auf, für den Bürger wohl weniger.

Die Politik wird sich bald rühmen, wenigstens das Chlorhühnchen verhindert zu haben. Im Übrigen wendet das BMG die gleiche Taktik beim Selbstverwaltungsstärkungsgesetz an. Nur dass das Chlorhühnchen dort Köhler heißt …

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