Gerinnungshemmer

Richtiger Umgang mit antikoagulierten Patienten

Christian Walter
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Christoph Renné
Insbesondere ältere Patienten mit kardialen Risikofaktoren sind oftmals auf eine lebenslange Einnahme von oralen Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern angewiesen. Dieser Beitrag diskutiert verschiedene Aspekte, die vor allem bei dentalchirurgischen Interventionen durch den Zahnarzt von Relevanz sein können.

Pathologische Blutungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie entweder zu lang, zu stark oder ohne adäquaten Anlass stattfinden [Herold G., 2016]. Gründe finden sich in Störungen der Thrombozyten (70 Prozent), im Bereich der plasmatischen Gerinnung (20 Prozent) oder in den Gefäßen selbst (zehn Prozent) und können hereditär oder erworben sein (Tabelle 1). In etwa 90 Prozent der Fälle liegt eine erworbene, meist medikamentös verursachte Störung vor, indem Medikamente entweder mit den Thrombozyten (Thrombozytenaggregationshemmer) oder mit dem plasmatischen Gerinnungssystem (Antikoagulantien) interagieren. In der Häufigkeit folgen danach erworbene Thrombozytopenien. Die häufigste angeborene Gerinnungsstörung ist das von-Willebrand-Syndrom mit einer Prävalenz von etwa einem Prozent, gefolgt von der Hämophilie mit einer Prävalenz von 1:10 000 Männern für die Hämophilie A und 1:30 000 Männern für die Hämophilie B (x-chromosomale Vererbung) [Herold G., 2016].

In Abhängigkeit von der Blutungsstörung gibt es unterschiedliche Blutungstypen. Großflächige Blutungen (Abbildung 1), wie sie beispielsweise häufiger an den Armen betroffener Patienten zu erkennen sind, finden sich bei Koagulopathien. Bei Affektion der Thrombozyten und/ oder der Gefäße kommt es meist zu petechialen, das heißt punktförmigen, nicht wegdrückbaren Einblutungen [Herold G., 2016]. In der Behandlung dieser Patienten bedarf es zunächst der genauen Anamnese, was die Aufnahme der Grunderkrankungen und der Medikation inkludiert. In der Folge kann bei entsprechender Anamnese zur Abschätzung des Einflusses auf Blutungen mit Gerinnungstests gearbeitet werden. Hierzu zählen die Thrombozytenzahl (Norm für Erwachsene: 150 000 bis 350 000/µl), die Blutungszeit zur Abschätzung einer vaskulären beziehungsweise thrombozytären Störung oder des von-Willebrand-Syndroms und die Bestimmung von TPZ (extrinsisches System), PTT (intrinsisches System) und Fibrinogen zur Abklärung einer Koagulopathie. Bei Patienten unter Marcumartherapie wird die Einstellung mittels des INR-Wertes überwacht, der den früheren Quickwert ablöst hat. Beim INR handelt es sich um die international normalized ratio, die im Gegensatz zum Quickwert standardisiert ist und somit auch zwischen unterschiedlichen Laboratorien vergleichbare Werte angibt [Herold G., 2016]. Sie liegt physiologisch zwischen 0,85 und 1,15 und in Abhängigkeit von der zu therapierenden Grunderkrankung nach medikamentöser Einstellung mittels Marcumar zwischen 2 und 3,5.

Die Blutstillung unterteilt sich in die primäre, zelluläre und sekundäre, plasmatische Blutstillung.

Plasmatisch

Thrombozyten

Gefäße

Hereditär

• Hämophilie A & B

• Willebrand-Syndrom

• Thrombasthenie Glanzmann

• Bernard Soulier Syndrom

• May-Hegglin-Syndrom

• Storage pool disease

• Aspirin like defect

• Morbus Osler-Weber-Rendu

• Ehlers-Danlos-Syndrom

• Purpura simplex hereditaria

Erworben

• Lebererkrankungen

• Vit. K-Mangel

• Vit. K-Antagonisten (Cumarine wie z.B. Marcumar)

• Verbrauchskoagulopathie

• Thrombozytenaggregationshemmer (ASS, Ticlopidin. Clopidogrel. GP-IIb/IIIa-Antagonisten)

• Überzug der Plättchenoberfläche mit monoklonalen Antikörpern

• Dextran

• Urämiegifte

• funktioneller Defekt

• Chronische Idiopathische thrombozytopenische Purpura (M. Werlhof)

• Vaskuläre Purpura

• Vit. C-Mangel

• Paroxysmales Hand- und Fingerhämatom

• Purpura senilis

• Purpura Schoenlein-Henoch

Quelle: Walter et al.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie diese Kaskade aktiviert wird: Das erfolgt entweder über das intrinisische oder das extrinsische System. Liegen nur Endothelläsionen in den Gefäßen vor, so wird das intrinsische System aktiviert, das im Ablauf etwas langsamer ist als das extrinsische System. Letzteres wird aktiviert, wenn es sich um größere Verletzungen handelt, und es geht deutlich rascher von statten [Herold G., 2016].

Den Gegenspieler zur Gerinnungskaskade stellt die Fibrinolyse dar, die zur Auflösung des Fibrins führt. Physiologisch stehen diese beiden Systeme im Gleichgewicht [Herold G., 2016].

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Arzneistoffe mit Einfluss auf die Blutgerinnung

Der Zahnarzt kommt primär mit Patienten in Kontakt, die Thrombozytenaggregationshemmer einnehmen oder antikoaguliert sind, da dies die häufigsten Störungen darstellen. Typische Indikationen sind Thromboseprophylaxe, tiefe Beinvenenthrombosen, Lungenembolien, Vorhofflimmern, temporärer Einsatz nach Stent- implantation und das akute Koronar- syndrom.

Maßnahmen zur Blutungsminderung

Nach Anamneseerhebung mit Erfassung der Grunderkrankung und Rücksprache mit dem Internisten beziehungsweise Hämatologen kann geklärt werden, wie mit der antikoagulatorischen Therapie bei einem geplanten Eingriff weiter verfahren werden soll. Das heißt, ist ein Eingriff unter laufender Therapie möglich, kann der INR gesenkt werden, sollte gegebenenfalls pausiert werden. Des Weiteren kann das aktuelle Gerinnungslabor erfragt werden.

Thrombozytenaggregationshemmer

Wirkstoffgruppe/ Wirkstoff

Präparat

Bemerkung

Cyclooxigenasehemmer

Acetylsalicylsäure

ASS

Wirkdauer 7d

ADP-Rezeptor Antagonisten

Clopidogrel

Plavix Iscover ...

Blutungsrisiko P > C Ind: ASS-Unverträglichkeit und duale Plättchenhemmung bei akutem Koronarsyndrom in Kombination mit ASS

Prasugrel

Efient

Ticagrelor

Brilique

ATP-Analogen

GPIIb/IIIa-Antagonist

Abciximab

ReoPro

Häufig temporärer Einsatz

Eptifibatid

Integrilin

Tirofiban

Aggrastat

Antikoagulantien

Heparin

Unfraktioniertes

HWZ: 1–2 h

Niedermolekulares

Mono-Embolex Fragmin Clexane Fraxiparin Clivarin Innohep

HWZ: 4 h

Faktor Xa-Hemmer s.c.

Fondaparinux

Arixtra

HWZ: 17 h d.h. Gabe 1 x tgl.

Faktor Xa-Hemmer oral

Rivaroxaban

Xarelto

Neue orale Antikoagulation (NOAK) oder auch Direkte orale Antikoagulantien (DOAK)

Apixaban

Eliquis

Edoxaban

Lixiana

Direkte Thrombin-inhibitoren

Dabigatran

Pradaxa

Vitamin K-Antagonisten

Phenprocoumon

Marcumar

HWZ: 4–6 Tage

Warfarin

Coumadin

HWZ: 1.5–2 Tage

Quelle: Walter et al.

Von oralchirurgischer Seite aus kann im Vorfeld des Eingriffes ein Abdruck zur Herstellung einer Verbandsplatte angefertigt werden, die unmittelbar nach dem Eingriff eingegliedert und für einen besseren Sitz sekundär noch unterfüttert werden kann (Abbildung 4). Durch den Verzicht auf eine Leitungsanästhesie im Unterkiefer zugunsten intraligamentärer oder Infiltrationsanästhesien kann auch hier das Blutungsrisiko gesenkt werden. Im Weiteren gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, das Risiko einer Blutung zu minimieren. Bei leichten oder fraglichen Gerinnungsstörungen kann eine dichte Wundnaht zur Prävention einer Blutung ausreichen. Bei mittelschweren Gerinnungsstörungen, zum Beispiel bei Patienten mit Marcumartherapie kann durch das Einlegen von Kollagen in die Wunde oder auch die Applikation von Tranexamsäure oder Thrombinpuder das Blutungsrisiko weiter minimiert werden. Bei Patienten mit schweren Gerinnungsstörungen wie zum Beispiel dem von-Willebrand-Syndrom kann es notwendig werden, bestimmte Gerinnungsfaktoren zu substituieren.

Zusammenfassung

In der Risikoabwägung eines thrombembolischen Ereignisses gegenüber einer Blutung ist die Gefahr eines Schlaganfalles oder Herzinfarktes als gravierender zu beurteilen. Daher sollten die meisten dentalchirurgischen Eingriffe unter laufender Thrombozytenaggregationshemmung oder antikoagulatorischer Therapie stattfinden, wobei hier geeignete Maßnahmen zur Blutungs- prävention ergriffen werden sollten. Bei Unsicherheit empfiehlt es sich, die Patienten in entsprechende Zentren zu überweisen.

Prof. Dr. Dr. Christian Walter, Dr. Tasso von HaussenMund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – plastische Operationen, Mediplus PraxisklinikHaifa-Allee 20, 55128 Mainz, E-mail:PD Dr. Christoph Renné, Fachärzte für PathologieGemeinschaftspraxis Wiesbaden,Ludwig-Erhard-Strasse 100, 65199 Wiesbaden

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Literatur

  • Herold G. Innere Medizin: Dr. med. Gerd Herold; 2016.

  • Bajkin BV, Popovic SL, Selakovic SD. Randomized, prospective trial comparing bridging therapyusing low-molecular weight heparin with maintenance of oral anticoagulation during extraction of teeth. J Oral Maxillofac Surg. 2009;67(5):990–5.

  • Kammerer PW, Frerich B, Liese J, Schiegnitz E, Al-Nawas B. Oral surgery during therapy with anticoagulants - a systematic review. Clin Oral Investig. 2015;19(2):171–80.

  • Feng L, Li Y, Li J, Yu B. Oral anticoagulation continuation compared with heparin bridging therapy among high risk patients undergoing implantation of cardiac rhythm devices: a meta-analysis. Thromb Haemost. 2012;108(6):1124–31.

  • Eijgenraam P, ten Cate H, Ten Cate - Hoek A. Safety and efficacy of bridging with low molecular weight heparins: a systematic review and partial meta-analysis. Curr Pharm Des. 2013;19(22):4014–23.

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