DMS V im Fokus: Parodontitis

Die Morbiditätsdynamik greift auch hier

Für den klinisch interessierten Parodontologen ergeben sich aus der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) zwei zentrale Erkenntnisse:Erstens, die parodontale Gesundheit in Deutschland nimmt deutlich zu und zweitens, schwere Parodontalerkrankungen haben sich halbiert. Der wissenschaftlich interessierte Parodontologe gewinnt eine weitere wichtige Einsicht: In der Vergangenheit wurde die Prävalenz durch das Partial-Mouth-Recording unterschätzt.

Unsere Mundgesundheitsziele bis 2020 für Parodontalerkrankungen sind ehrgeizig gesteckt: Die Prävalenz schwerer parodontaler Erkrankungen soll unter Berücksichtigung der Risiken Rauchen, schlechte Mundhygiene, Stress und systemische Erkrankungen reduziert werden – bei jüngeren Erwachsenen (35- bis 44-Jährige) auf 10 Prozent und bei jüngeren Senioren (65- bis 74-Jährige) auf 20 Prozent.

Gesamt

Deutschland

Geschlecht

West

Ost

männlich

weiblich

n = 966

n = 814

n = 152

n = 485

n = 481

zahnlos

n = 7 (0.8 %)

n = 7 (0.9 %)

n = 0 (0.0 %)

n = 4 (0.8 %)

n = 4 (0.7 %)

CPI:

n = 959

n = 806

n = 152

n = 482

n = 477

%

%

%

%

%

Grad 0, 1, 2

Grad 3

Grad 4

41.3

48.3

10.4

38.6

50.8

10.5

55.6

34.8

9.6

37.2

51.4

11.3

45.5

45.1

9.4

CDC/AAP-Fallklassifikation:

n = 959

n = 806

n = 152

n = 482

n = 477

%

%

%

%

%

keine/milde Parodontitis

moderate Parodontitis

schwere Parodontitis

48.4

43.4

8.2

45.3

45.9

8.8

65.0

30.1

4.8

43.2

47.1

9.6

53.7

39.7

6.7

Quelle: IDZ

Erreichen wollen wir das zum einen mit einer verstärkten Aufklärung über Ursachen und Symptome einschließlich häuslicher Mundhygiene und Zahnzwischenraumpflege, zum anderen mit einer entsprechenden Qualifizierung des zahnärztlichen Teams und dem Wissen über die Zusammenhänge zwischen Parodontal- und Allgemeinerkrankungen (1). Schon im Jugend- und Erwachsenenalter sollen die Präventionsstrategien beginnen und bis ins Seniorenalter reichen.

Gesamt

Deutschland

Geschlecht

West

Ost

männlich

weiblich

n = 1.042

n = 848

n = 194

n = 489

n = 553

zahnlos

n = 129 (12.4 %)

n = 106 (12.5 %)

n = 23 (11.8 %)

n = 58

(11.9 %)

n = 71

(12.8 %)

CPI:

n = 905

n = 737

n = 168

n = 424

n = 481

%

%

%

%

%

Grad 0, 1, 2

Grad 3

Grad 4

24.6

50.8

24.6

22.7

51.7

25.6

33.3

46.7

20.1

19.7

49.1

31.2

29.0

52.2

18.8

CDC/AAP-Fallklassifikation:

n = 829

n = 669

n = 160

n = 394

n = 435

%

%

%

%

%

keine/milde Parodontitis

moderate Parodontitis

schwere Parodontitis

35.3

44.8

19.8

35.0

46.1

18.9

36.6

39.6

23.8

29.4

45.2

25.3

40.7

44.5

14.8

Quelle: IDZ

Die DMS V dürfte der letzte große Datenabgleich sein, um Hinweise auf das Erreichen dieser Ziele bis 2020 in Deutschland zu erhalten. Es gibt Mundgesundheitsziele, da fällt die Antwort leichter. Zum Beispiel bei der vollständigen Zahnlosigkeit: Der Anteil betroffener jüngerer Senioren soll 2020 maximal 15 Prozent betragen – mit 12,4 Prozent liegen wir schon heute darunter. Seit dem Ende der 1990er (DMS III) verzeichnen wir einen kontinuierlichen Rückgang der vollständigen Zahnlosigkeit, der in den vergangenen Jahren noch erheblich an Dynamik gewonnen hat. Dass sich dieser Prozess in den kommenden Jahren umkehren und somit dieses Mundgesundheitsziel verfehlt wird, ist nicht zu erwarten. Nicht ganz so eindeutig stellen sich die Zahnverluste bei den jüngeren Erwachsenen dar. Denn vollständige Zahnlosigkeit kommt in dieser Altersgruppe kaum noch vor (DMS V: 0,8 Prozent), weshalb das entsprechende Mundgesundheitsziel hier auf die Anzahl der – kariesbedingten – Zahnverluste fokussiert: maximal 2,0 fehlende Zähne, gemessen an der MT-Komponente des DMFT- Index. In der DMS V wurden durchschnittlich 2,1 fehlende Zähne ermittelt. Das heißt, der angestrebte Wert ist also durchaus noch in Reichweite, zumal bis zum Jahr 2020 die älteren Jahrgänge laut DMS V mit einer höheren Anzahl fehlender Zähne (1970 bis 1975: 2,3 MT-Zähne versus 1976 bis 1979: 1,5 MT-Zähne) diese Altersgruppe bereits verlassen haben und jüngere (1980 bis 1985) nachrücken. Zugleich macht es eine grundsätzliche Jahrgangsverjüngung wahrscheinlicher, dass dieses Mundgesundheitsziel erreicht wird.

###more### ###title### Die Prognose für 2020? ###title### ###more###

Die Prognose für 2020?

Wie sieht nun die Prognose für 2020 für Parodontalerkrankungen aus? Jene Ziele wurden in einer Zeit formuliert, in der es unüblich war, zur epidemiologischen Erfassung parodontaler Erkrankungen ein sogenanntes Full-Mouth-Recording durchzuführen, das eine Sondierung an allen vorhandenen Zähnen und idealerweise an sechs Messstellen pro Zahn vorsieht. Stattdessen wurde empfohlen, bestimmte Indexzähne zu betrachten, um große Bevölkerungsgruppen parodontologisch zu charakterisieren (2). Demzufolge wurden in der DMS IV als epidemiologischer Bezugspunkt für die Mundgesundheitsziele schwere Parodontalerkrankungen anhand des Community Periodontal Index (CPI) klassifiziert. Der Anteil schwerer Parodontitis (CPI-Grad 4) lag danach bei den jüngeren Erwachsenen bei 20,5 Prozent. Gefordert war hier eine Halbierung der schweren Parodontalerkrankungen. Betrachtet man auf dieser Basis (CPI nach Partial-Mouth-Recording) die Prävalenz der schweren Parodontitis bei jüngeren Erwachsenen in der DMS V, kann man sagen: Ziel erreicht (CPI-Grad 4 bei jüngeren Erwachsenen 10,4 Prozent)!

8%-Subsample

100%-Sample

n = 79

n = 959

FMP

PMP

Umrechnungsfaktor

FMP (geschätzt)

Gesamt

West

Ost

BOP (%)

30.3

41.5

0.73

20.0

19.7

21.5

mittlere ST (mm)

2.3

 2.5

0.92

2.2

2.2

2.0

Prävalenz der ST ≥4 mm (%)

 

69.7

 64.6

1.08

63.8

66.7

48.3

Prävalenz der ST ≥6 mm (%)

16.9

9.7

1.74

18.8

19.2

17.2

mittlere Anzahl Zähne mit ST ≥4 mm

7,1

  3.4

2.09

5.6

6.1

4.2

mittlere Anzahl Zähne mit ST ≥6 mm

0.4

 0.2

2.00

0.6

0.6

0.4

Flächen mit ST ≥4 mm (%)

11.4

16.1

0.71

9.2

9.8

6.1

Flächen mit ST ≥6 mm (%)

0.3

  0.5

0.60

0.7

0.7

0.4

Zähne mit ST ≥4 mm (%)

26.9

30.3

0.89

22.9

24.1

16.5

Zähne mit ST ≥6 mm (%)

1.5

1.4

1.07

2.7

2.9

1.9

mittleres AL (mm)

2.3

2,4

0.88

2.3

2.4

2.1

Prävalenz des AL ≥3 mm (%)

99.3

98,7

1.01

98.2

99.0

93.9

Prävalenz des AL ≥5 mm (%)

57.8

43.0

1.34

53.1

55.2

41.1

mittlere Anzahl Zähne mit AL ≥3 mm

16.4

7.1

2.31

14.6

14.9

12.9

mittlere Anzahl Zähne mit AL ≥5 mm

2.7

 

1.2

2.25

2.7

2.9

2.0

Flächen mit AL ≥3 mm (%)

34.6

44.8

0.77

33.6

34.8

27.3

Flächen mit AL ≥5 mm (%)

3.3

5.6

0.59

4.1

4.4

2.4

Zähne mit AL ≥3 mm (%)

65.8

69.0

0.95

62.3

63.7

55.0

Zähne mit AL ≥5 mm (%)

11.1

12.2

0.91

12.4

13.1

8.1

CPI-Grad 4 (%)

14.5

9.7

1.49

15.5

15.6

14.3

schwere Parodontitis (CDC/AAP-Fallklassifikation) (%)

14.6

8.4

1.74

14.3

15.3

8.3

bezogen auf parodontal erkrankte Studienteilnehmer¹:

n = 55

n = 959

mittlere Anzahl Zähne mit ST ≥4 mm

10.1  0.6

5.2 0.3

1.94

8.9

8.9

8.9

mittlere Anzahl Zähne mit ST ≥6 mm

0.6

0.3

2.00

0.8

1.0

0.8

¹ mind. ein Zahn mit ST ≥4 mm Quelle: IDZ

Bei den jüngeren Senioren lag der Anteil schwerer Parodontitis in der DMS IV bei 39,8 Prozent. Auch in dieser Altersgruppe ist das Ziel eine Halbierung der Prävalenz, doch der Anteil schwerer Parodontitis liegt in der DMS V aktuell noch bei 24,6 Prozent (CPI- Grad 4).

Full-Mouth ist Standard

Die Methodik in der DMS V zur Erfassung parodontaler Erkrankungen geht über den bisherigen Standard weit hinaus (3). Aus epidemiologischen Vergleichen ist mittlerweile bekannt, dass Partial-Mouth-Recordings, wie etwa die Sondierungstiefenmessung an Indexzähnen, grundsätzlich zu einer Unterschätzung der Prävalenz führen (4-6). Wenngleich die meisten Probanden weiterhin in Form eines Partial-Mouth-Recordings befundet werden können, sehen aktuelle Empfehlungen daher vor, eine Teilgruppe einem Full-Mouth-Recording zu unterziehen (7). Mit diesem Verfahren kann anschließend für die gesamte Stichprobe ein Full-Mouth-Recording hochgerechnet werden. Diesen jüngsten Standards, die auch von der Europäischen Föderation für Parodontologie (EFP) empfohlen werden, wurde in der DMS V gefolgt. Bei 92 Prozent der Studienteilnehmer der jüngeren Erwachsenen und bei 88 Prozent der jüngeren Senioren erfolgte die Befundung an den zwölf Indexzähnen, die auch in der DMS IV Grundlage der parodontalepidemiologischen Befundung waren: Zähne 17, 16, 11, 24, 26, 27, 37, 36, 31, 44, 46 und 47. Die Messungen fanden an drei Stellen je Zahn statt: mediovestibulär, mesiovestibulär und distooral. Für die Indexzahnmessung gab es eine spezifische Ersatzzahnregelung für den Fall, dass vorgesehene Indexzähne nicht vorhanden waren. Bei einem zufallsgezogenen Sub- sample von 8 Prozent der jüngeren Erwachsenen und von 12 Prozent der jüngeren Senioren erfolgte ein Sechs-Punkt-Full-Mouth-Recording an folgenden Messstellen: distovestibulär, mediovestibulär, mesiovestibulär, mesiooral, mediooral und distooral.

Rechnet man nun die Prävalenzen für alle Studienprobanden auf ein Full-Mouth- Recording hoch, sind bei den jüngeren Erwachsenen eher 15,5 Prozent (statt 10,4 Prozent) und bei den jüngeren Senioren 29,5 Prozent (statt 24,6 Prozent) schwer parodontal (CPI-Grad 4) erkrankt. So betrachtet, wären die parodontologischen Mundgesundheitsziele 2020 verfehlt. Diese Argumentation erscheint jedoch nicht ganz fair, denn als diese Ziele 2003 global von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Federation Dentaire International (FDI) entwickelt und für Deutschland angepasst wurden (1), war dieses Umrechnungsverfahren noch nicht entwickelt und die Parodontalepidemiologie fußte auf Partial-Mouth-Recordings. Obendrein ist die von der WHO favorisierte Klassifikation parodontaler Erkrankungen nach dem Community Periodontal Index nicht mehr unumstritten. Bereits 2007 wurde von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und der American Academy of Periodontology (AAP) eine neue Parodontitis-Fallklassifikation vorgestellt (8), mit dem Vorteil, dass sie neben Sondierungstiefen auch Attachmentverluste zur Falldefinition Parodontitis berücksichtigt. Sondierungstiefen zeigen zwar die aktuelle Erkrankungslast an, eine Erfassung der Parodontitiserfahrung unter Berücksichtigung auch zurückliegender Erkrankungsschübe ist damit allerdings weniger gut möglich.

12%-Subsample

100%-Sample

n = 99

n = 905

FMP

PMP

Umrechnungsfaktor

FMP (geschätzt)

Gesamt

West

Ost

BOP (%)

39.7

43.8

0.91

34.1

34.2

33.6

mittlere ST (mm)

2.7

2.8

0.96

2.7

2.8

2.6

Prävalenz der ST ≥4 mm (%)

86.4

78.7

1.10

82.9

84.9

73.9

Prävalenz der ST ≥6 mm (%)

28.2

19.6

1.44

35.5

37.0

29.5

mittlere Anzahl Zähne mit ST ≥4 mm

7.4

2.9

2.55

7.9

8.2

6.6

mittlere Anzahl Zähne mit ST ≥6 mm

1.2

0.4

3.00

1.5

1.5

1.2

Flächen mit ST ≥4 mm (%)

23.2

25.9

0.90

23.6

24.6

19.1

Flächen mit ST ≥6 mm (%)

3.0

3.7

0.81

2.8

2.9

2.3

Zähne mit ST ≥4 mm (%)

46.9

45.3

1.04

45.5

47.0

39.2

Zähne mit ST ≥6 mm (%)

8.5

7.8

1.09

8.3

8.5

7.5

mittleres AL (mm)

3.7

4.0

0.93

3.6

3.6

3.5

Prävalenz des AL ≥3 mm (%)

 

97.9

92.2

1.06

100.0

100.0

100.0

Prävalenz des AL ≥5 mm (%)

79.9

66.0

1.21

81.6

82.0

80.0

mittlere Anzahl Zähne mit AL ≥3 mm

10.4

3.4

3.06

12.2

11.9

 

13.5

mittlere Anzahl Zähne mit AL ≥5 mm

4.6

1.8

2.56

5.4

5.1

5.6

Flächen mit AL ≥3 mm (%)

64.7

69.0

0.94

65.7

66.0

64.4

Flächen mit AL ≥5 mm (%)

25.3

30.3

0.83

24.6

24.5

24.9

Zähne mit AL ≥3 mm (%)

88.3

84.9

1.04

89.5

89.7

89.0

Zähne mit AL ≥5 mm (%)

43.8

45.9

0.95

42.8

43.1

41.8

CPI-Grad 4 (%)

23.6

19.6

1.20

29.5

30.7

24.1

schwere Parodontitis (CDC/AAP-Fallklassifikation) (%)

31.5

15.4

2.05

40.6

38.7

48.8

bezogen auf parodontal erkrankte Studienteilnehmer¹:

n = 86

n = 683

mittlere Anzahl Zähne mit ST ≥4 mm

8.5

3.7

2.30

9.4

9.7

9.0

mittlere Anzahl Zähne mit ST ≥6 mm

1.3

0.6

2.17

1.5

1.5

1.3

¹ mind. ein Zahn mit ST ≥4 mm

Quelle: IDZ

Nimmt man die Mundgesundheitsziele nicht nur relativ (Halbierung schwerer Parodontalerkrankungen), sondern auch absolut ernst, wird man zu dem Schluss kommen, dass die Verbreitung parodontaler Erkrankungen in der Bevölkerung (zu) hoch ist. Um die ehrgeizigen parodontologischen Mundgesundheitsziele bis 2020 erfüllen zu können, muss sich daher die erhebliche Morbiditätsdynamik, wie sie sich aus dem Trendvergleich von DMS IV und DMS V darstellt, verstetigen.

Eine abrundende Betrachtung der Ergebnisse der DMS V ermutigt indes, wenn man zum Vergleich wieder das Partial-Mouth- Recording heranzieht: Der Anteil nicht an Parodontitis erkrankter jüngerer Erwachsener stieg außerordentlich, und zwar von 26,7 Prozent (DMS IV) auf 41,3 Prozent (CPI-Grade 0-2). Bei den jüngeren Senioren kletterte dieser Anteil von 12,2 Prozent auf 24,6 Prozent. Ganz offensichtlich hat also eine beachtliche Morbiditätsdynamik auch in der Parodontologie eingesetzt, die optimistisch stimmt, dass die Mundgesundheitsziele – zumindest relativ gesehen – erreicht werden können.

Priv.-Doz. Dr. med. dent. A. Rainer Jordan, MSc., Wissenschaftlicher DirektorInstitut der Deutschen Zahnärzte (IDZ)Universitätsstraße 73, D-50931 Köln

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