Anwendung von Tranexamsäure

Wie Sie Nachblutungen nach Zahn-OPs vermeiden

Daniel Schneider
,
Peer W. Kämmerer
In der ambulanten zahnärztlichen Behandlung gehören Blutungen bei kompromittierten Patienten zu den häufigen postinterventionellen Komplikationen. Die evidenzbasierte Datenlage und klinische Erfahrungen bestätigen eine Senkung der Nachblutungsrate durch die topische Anwendung von Tranexamsäure und das dadurch minimierte Risiko eines Blutungsereignisses.

Die Therapie mit oralen Thrombozyten-aggregationshemmern und Antikoagulantien (Tabelle 1) ist eine geeignete und etablierte Prophylaxe von thromboembolischen Ereignissen, beispielsweise nach Herzinfarkt oder Schlaganfall. Indikationen wie Vorhofflimmern, die tiefe Beinvenenthrombose sowie der Zustand nach Herzklappen-ersatz führen in der Praxis ebenfalls zum klassischen Einsatz von oralen Blutverdünnern. Allerdings besteht nach Verletzungen oder chirurgischen Eingriffen ein erhöhtes Blutungsrisiko, das ursächlich durch eine Verschiebung des Hämostase-Gleichgewichts in Richtung Blutungsneigung entsteht. 

Besonders Patienten im höheren Alter erwartet ein Bedarf an oralchirurgischen Eingriffen, wobei potenzielle Komplikationen in Form von postoperativen Blutungen auftreten können, da diese Patientengruppe häufig dauerhaft gerinnungshemmende Medikamente einnimmt [Bump et al., 1973; Jafri et al., 1993; Verma, 2014; Kämmerer et al., 2015].

Unter Fortführung der oralen Antikoagulation/Thrombozytenaggregationshemmung sind unter Verwendung eines Lokalanästhetikums mit Vasokonstriktor durchaus dentalchirurgische Eingriffe ohne Blutungserwartung möglich. Mit adaptierenden Nähten, Tamponaden, Verbandsplatten, Hämostyptika und gegebenenfalls bipolarer Blutstillung stehen dem Zahnarzt vielfältige Möglichkeiten der Blutungsprophylaxe und Blutstillungsmöglichkeiten zur Verfügung (Tabelle 2). 

Bei Patienten mit Blutungsneigung gehören sie obligat in das Therapiekonzept integriert [Kearon et al., 1997; Blinder et al., 1999; Campbell et al., 2000; Al-Mubarak et al., 2007; Pototski et al., 2007; Sacco et al., 2007; Kämmerer et al., 2015; Wahl et al., 2015]. 

Tranexamsäure

Tranexamsäure (TXA) eignet sich zur Therapie von Blutungen bzw. deren Prophylaxe. TXA (Cyclokapron®; [chemische Summenformel C8H15NO2]) gehört zusammen mit ε-Aminocapronsäure (EACA) zu den anti-fibrinolytischen Substanzen. Der dem Lysin ähnelnde synthetische Stoff wirkt am Ende der Gerinnungskaskade und führt zu einer Stabilisierung des Fibrins. Der Wirkmechanismus beruht auf einer Komplexbildung mit Plasminogen, dessen Bindung an der Fibrinoberfläche gehemmt wird [Andersson et al., 1965; Nuvvula et al., 2014]. Studien demonstrierten, dass es sich bei TXA um ein einfach anwendbares, preiswertes und sicheres Medikament handelt [Cap et al., 2011; Dakir et al., 2014]. 

Zahlreiche Arbeiten evaluierten ein siebentägiges Therapieschema. Postoperative Blutungen treten jedoch nicht selten innerhalb von 24 bis 48 Stunden auf, damit kann auch eine kürzere Anwendungszeit (beispielsweise zwei Tage) ebenso wirksam sein. [Patatanian et al., 2006]. 

Zu den seltenen Nebenwirkungen von TXA zählen allergische Reaktionen, Übelkeit, Durchfall, Erbrechen, Kopfschmerzen und gelegentlich orthostatische Kreislaufstörungen [Dunn et al., 1999; Karimi et al., 2012]. Sie treten allerdings vor allem unter der systemischen Anwendung von TXA auf [Patatanian et al., 2006]. TXA ist als intravenöse Injektion (100 mg/ml) auf dem Markt [Carter et al., 2003a]. EACA, als potenzielle Alternative zu TXA, ist als 500-mg-Tablette, als injizierbare Lösung (250 mg/ml) und als ein Himbeere-aromatisierter Sirup erhältlich (250 mg/ml). TXA ist allerdings sechs- bis zehnfach potenter als EACA, was sowohl in vitro als auch in vivo nachgewiesen ist [Okamoto et al., 1964; Nilsson, 1980]. Der vergleichsweise kostenintensive EACA-Sirup eignet sich durch seine leichte Handhabung vor allem zur Mundspülung [Patatanian et al., 2006].

Tranexamsäure führt bei systemischer Applikation zu keiner nachweisbaren Konzentration im Speichel, hingegen ist die einmalige Spülung über zwei Minuten noch nach acht Stunden im Speichel nachweisbar; somit ist die orale Applikation zur Prävention und Behandlung von Blutungen im Mundbereich zu bevorzugen [Carter et al., 2003b].

Überblick gängiger oraler Antikoagulantien/Thrombozytenaggregationshemmer

Handelsname

Wirkstoff

Wirkmechanismus

Wirkstoffklasse

Falithrom®, Marcumar®

Phenprocoumon

Vitamin-K-Antagonisten

Orale Antikoagulantien

Coumadin ®

Warfarin

Vitamin-K-Antagonisten

Orale Antikoagulantien

Pradaxa ®

Dabigatranetexilat

Direkte Thrombininhibitoren

Orale Antikoagulantien

Argatra ®

Argatroban

Direkte Thrombininhibitoren

Orale Antikoagulantien

Eliquis ®

Apixaban

Direkte Faktor-Xa-Inhibitoren

Orale Antikoagulantien

Xarelto ®

Rivaroxaban

Direkte Faktor-Xa-Inhibitoren

Orale Antikoagulantien

Lixiana ®

Edoxaban

Direkte Faktor-Xa-Inhibitoren

Orale Thrombozytenaggregationshemmer

Aspirin ®, ASS®, Godamend ®

Acetylsalicylsäure (ASS)

COX-Inhibitor

Orale Thrombozytenaggregationshemmer

Plavix ®, Iscover ®

Clopidogrel

ADP-Rezeptorinhibitor

Orale Thrombozytenaggregationshemmer

Efient ®

Prasugrel

ADP-Rezeptorinhibitor

Orale Thrombozytenaggregationshemmer

Tiklyd ®

Ticlopidin

ADP-Rezeptorinhibitor

Orale Thrombozytenaggregationshemmer

Quelle: Schneider/Kämmerer
Tabelle 1

An der Universitätsmedizin Rostock konnte genau diese Wirksamkeit von TXA als Mundspüllösung in einer derzeit laufenden Studie bei Patienten unter oraler Antikoagulation/Thrombozytenaggregationshemmung nachgewiesen werden. Leider ist ein Fertig-arzneimittel für diese Indikation nicht zugelassen und TXA als Rezeptursubstanz so nicht erhältlich. 

Daher ist das erfolgreiche Procedere das folgende: Der Patient erhält im Vorfeld der Operation ein Rezept über 200 ml fünfprozentige Tranexamsäure (Abbildung 1) und bringt diese zum OP-Tag mit. Wichtig ist hier, dass das Präparat erst vor dem Eingriff abgeholt wird, da die Haltbarkeit der Mundspüllösung nur kurz ist. Nach dem chirurgischen Eingriff spült der Zahnarzt den Situs mit TXA aus. Der Patienten wird postoperativ instruiert, zu Hause weitere Spülungen vorzunehmen. Dabei wird ihm verordnet, für mindestens zwei Tage viermal täglich diese Spülungen zu wiederholen. Die vorliegenden positiven Ergebnisse der Studie unterstreichen die aktuelle Literatur. Hier wurde bestätigt, dass bei antikoagulierten Patienten (Abbildung 2) die Nachblutungsrate signifikant gesenkt werden kann, wenn postoperativ mit Tranexamsäure gespült beziehungsweise die Extraktionsalveole ausgespült wird [Gaspar et al., 1997; Bublitz et al., 2000]. 

Diese Indikation der ambulanten operativen Behandlung unter oraler Antikoagulation/ Thrombozytenaggregationshemmung besteht jedoch nur bei Patienten, deren Allgemeinzustand und Compliance dies zulässt. 

Eine Möglichkeit zur Nachsorge auch außerhalb der regulären Sprechstunde soll für die betroffenen Patienten geboten werden. Bei multimorbiden Patienten unter oraler Antikoagulation/Thrombozytenaggregationshemmung wird eine Behandlung durch den Fach(zahn)arzt beziehungsweise in der Fachklinik oder gegebenenfalls unter stationären Kautelen empfohlen.

Bekannterweise stellt für den Zahnarzt die Applikationsform von TXA ein praxisorientiertes Anwendungsproblem dar. An dieser Stelle wird auf den publizierten Off-Label-Einsatz von Carter et al. [Carter et al., 2003a; Carter et al., 2003b] verwiesen: 

  • Sonderanfertigung einer Mundspülung durch einen Apotheker (fünfprozentige Tranexamsäure; Abbildung 1).

  • Unmittelbar nach der Extraktion erfolgt die Spülung mit 10 ml dieser Lösung.

  • Platzierung eines getränkten absorbierbaren Cellulose-Mesh in das apikale Drittel des Zahnfaches mit anschließender Naht.

  • Zur eigenhändigen Mundspülung erhält der Patient TXA in mehreren Behältern von je 10 ml. 

Bei bereits manifesten Blutungsereignissen haben sich – beispielsweise im zahnärztlichen Notdienst – Aufbisstupfer zur Kompression mit beschicktem Tranexamsäuregel oder flüssiger Tranexamsäure bewährt. 

Im Gegensatz zu unbeherrschbaren Blutungsrisiken während eines oralchirurgischen Eingriffs muss das theoretische Risiko eines potenziellen thromboembolischen Ereignisses, das durch Umstellen beziehungsweise Aussetzen einer antikoagulatorischen/thrombozytenaggregationshemmenden Medikation ausgelöst werden kann, berücksichtigt werden.

Exemplarische Möglichkeiten der lokalen Blutstillung in der Praxis

Postoperative Blutungsvermeidung und lokale Blutstillung

Aufklärung über Verhaltensmaßnahmen (z. B. Lagerung [Oberkörper 30° hoch], übermäßige Bewegung & übermäßiges Sprechen vermeiden, Aufbisstupfer bei Blutungen, Nachsorge anbieten)

 

Adaptierende Nähte (keine Periostschlitzung)

 

Einlage resorbierbarer Matrices/Hämostyptika (Kollagen, Oxycellulose, Gelantine); fakultativ Tränkung derselben mit Tranexamsäure

 

Verbandsplatte

 

Mundspülung mit 5 % Tranexamsäure (4-mal täglich für 2 Minuten, bis zu fünf Tage postoperativ); mit Tranexamsäure getränkte Aufbisstupfer

 

Fibrin- oder Cyanoacrylatkleber

 

Bipolare Blutstillung

 

Einlage von Knochenwachs

 

Quelle: Schneider/Kämmerer
Tabelle 2

So können die meisten oralchirurgischen Eingriffe ohne schwerwiegende Komplikationen unter Verwendung von hämostatischen Maßnahmen bei unveränderter Fortführung der oralen Antikoagulation/oralen Thrombozytenaggregationshemmung durchgeführt werden (Tabelle 2) [Kämmerer et al., 2015]. Gleichzeitig solle eine enge interdisziplinäre Absprache mit dem zuständigen oder behandelnden Hausarzt erfolgen. Unter Rücksprache und keinesfalls eigenständig können am Morgen der Operation bestimmte Medikamente ausgesetzt werden. Bei bestehenden Unsicherheiten, fehlendem Komplikationsmanagement oder unklaren Fällen ist auch hier die Überweisung an den Fach(zahn)arzt beziehungsweise an die Fachklinik empfohlen.

Ob die prophylaktische Anwendung von TXA-Mundspüllösung auch bei Patienten ohne orale Antikoagulation/Thrombozytenaggregationshemmung sinnvoll ist, lässt sich derzeit durch Studien nicht nachweisen. Mit der positiven Wirksamkeit in der Zahnheilkunde hält TXA in der lokalen Anwendung jedoch auch in anderen Gebieten wie zum Beispiel der HNO-Chirurgie Einzug. Hier wird es erfolgreich in der Nebenhöhlen- und Tränenwegschirurgie sowie der Therapie der Sekundärnachblutung nach Tonsillektomie eingesetzt [Abrams, 2012].

Fazit für die Praxis 

  • Patienten mit oraler Antikoagulation, aber auch mit oraler Thrombozytenaggregationshemmung kann zur Vermeidung von Nachblutungsereignissen eine zwei- bis siebentägige Mundspülung (4xd) mit fünfprozentiger Tranexamsäure gegeben werden.

  •  Der verantwortliche Zahnarzt sollte erreichbar sein beziehungsweise dem Patienten sollte eine Möglichkeit zur Nachsorge auch außerhalb der regulären Sprechstunde geboten werden.

  •  Multimorbiden Patienten mit oraler Antikoagulation/Thrombozytenaggregationshemmung wird eine Behandlung durch den Fach(zahn)arzt beziehungsweise in der Fachklinik oder gegebenenfalls unter stationären Kautelen empfohlen.

Dr. Dr. Daniel Schneider

Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Plastische Operationen
Helios Kliniken Schwerin
Wismarsche Str. 393–397, 19049 Schwerin 
daniel.schneider2@helios-kliniken.de

PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, MA, FEBOMFS

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie 
Universitätsmedizin Rostock
Schillingallee 35, 18057 Rostock 
peer.kaemmerer@med.uni-rostock.de

Dr. Dr. Daniel Schneider

Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie, Helios Kliniken Schwerin
Wismarsche Str. 393-397,
19049 Schwerin

Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Leitender Oberarzt/
Stellvertr. Klinikdirektor
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-
und Gesichtschirurgie – Plastische
Operationen, Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 2, 55131 Mainz

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