Arbeitssitzung des Forums Zahn- und Mundgesundheit in Berlin

Präventionslücken und Präventionsdefizite

Der Gedanke, Krankheiten zu vermeiden anstatt sie später behandeln zu müssen, hat sich in der Zahnmedizin heute flächendeckend und geradezu vorbildlich durchgesetzt. Der Paradigmenwechsel vom Reparieren zum Vorbeugen funktioniert: Seit 1991 ist die Zahl der über die GKV abgerechneten Extraktionen um 25% und die der Füllungen sogar um 41% zurückgegangen. Der kurative Sektor schrumpft – die Prävention ist im Aufwind. Doch es gibt trotz aller Erfolge noch erhebliche Lücken und Defizite, wie die jüngste Sitzung des Forums Zahn- und Mundgesundheit in Berlin zeigte.

Seit 1991 ist die Zahl der über die GKV abgerechneten Extraktionen um 25 Prozent und die der Füllungen sogar um 41 Prozent zurückgegangen. Der kurative Sektor schrumpft – die Prävention ist im Aufwind. Doch es gibt trotz aller Erfolge noch erhebliche Lücken und Defizite, wie die jüngste Sitzung des Forums Zahn- und Mundgesundheit gestern in Berlin zeigte.

Man könnte fast meinen, der zeitliche Ablauf der öffentlichen Verlautbarungen zur zahnärztlichen Prävention sei fein aufeinander abgestimmt gewesen. Gerade hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf dem Frühjahrsempfang von Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung (KZBV) und Bundeszahnärztekammer (BZÄK) die Präventionsbemühungen des Berufsstandes positiv hervorgehoben - „Prävention im zahnärztlichen Bereich hat sich gut etabliert“ lobte der Minister –, da erfuhr man am Tag darauf auf der Sitzung des Forums Zahn- und Mundgesundheit, dass es trotz aller Erfolge immer noch nicht unbeträchtliche Lücken und Defizite gibt.

Zwei Themen: die zahnmedizinische Prävention von Flüchtlingen und die Prävention im betrieblichen Umfeld

Zwei Themen standen im Mittelpunkt der Veranstaltung, zu der traditionell Experten aus Wissenschaft und Zahnmedizin mit Gesundheitspolitikern zusammenkommen: die Einbeziehung von Flüchtlingen in die zahnmedizinische Prävention und ein Pilotprojekt der Universität Witten/Herdecke, in dem es um die Integration von Prävention in ein betriebliches Umfeld gehen soll.

BZÄK-Vizepräsident Prof. Dr. Dietmar Oesterreich verwies in seiner Begrüßung auf die Erfolge der zahnärztlichen Prävention, aber auch darauf, dass es nach wie vor Präventionslücken und -defizite gibt. Zwar seien diese durchaus identifiziert, wichtig sei es jedoch für den politischen Diskurs, auch konkrete Daten vorlegen zu können.

Flüchtlinge und Mundgesundheit

Mit der im November letzten Jahres vorgestellten repräsentativen Querschnittsstudie "Flüchtlinge in Deutschland - Mundgesundheit, Versorgungsbedarfe und deren Kosten" der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), BZÄK und KZBV sei dies bereits gelungen. Zum Thema „betriebliche Prävention“ werde gerade eine Studie mit einem Pilotprojekt vorbereitet.

Als Vertreter der Gesundheitspolitik nahmen Sabine Dittmar, MdB und gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, und Dietrich Monstadt, MdB und Berichterstatter für die Zahnärzte der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, an der Veranstaltung teil.

Dittmar: "Nur die akute Schmerzbehandlung ist unbefriedigend!"

Die Ällgemeinmedizinerin Dittmar betonte in ihrem Grußwort, dass es aus ärztlicher Sicht „absolut unbefriedigend“ sei, beispielsweise bei Flüchtlingen ausschließlich eine akute Schmerzbehandlung durchführen zu können. Sie stehe deshalb an der Seite der Zahnärzte, wenn es um Fortschritte in der Prävention und die Schließung entsprechender Lücken geht.

Monstadt lobte die „exzellenten Daten“ der Zahnmedizin im Hinblick auf die deutliche Verbesserung der Mundgesundheit in den letzten Dekaden. So viel sei deshalb gar nicht zu verbessern, allenfalls „Kleinigkeiten“ müssten angegangen werden – so Mohnstadt. Ob diese Äußerung als ausschließliches Kompliment gedacht war oder auch als Fingerzeig bezogen auf die Hürden bei den anstehenden Verhandlungen im G-BA um die UPT verstanden werden sollte – das blieb offen.

Das Forum Zahn- und Mundgesundheit

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Weitere Informationen erhalten Sie unterhttp://www.forumzahnundmundgesundheit.de

Im ersten Teil der Veranstaltung stellten Prof. Dr. Christian Splieth und Dr. Moutaz Takriti von der Universitätsmedizin Greifswald die Ergebnisse der Studie "Flüchtlinge in Deutschland - Mundgesundheit, Versorgungsbedarfe und deren Kosten" vor. Die Studienautoren hatten in der Studie mit über 544 Flüchtlingen aller Altersgruppen, die in der Zeit von Ende 2016 bis Mitte 2017 untersucht wurden, vielfach erhöhten Kariesbefall und einen niedrigen Sanierungsgrad mit Füllungen und Prothetik festgestellt.

In der Altersgruppe 45 bis 64 Jahre gab es kaum noch parodontal gesunde Probanden. Einen Hinweis auf die Ursachen geben demnach die bei Flüchtlingen durchgängig sehr hohen Plaquewerte und Zahnstein, die auch mit den Ergebnissen von Untersuchungen in den jeweiligen Heimatländern korrespondieren. Hier liegt nach Meinung der Studienautoren auch ein wichtiger Ansatzpunkt für Verbesserungen.

Anhand von Beispielrechnungen zeigte Splieth, dass die Einbeziehung von Flüchtlingen in die Prävention auch wirtschaftlich gesehen empfehlenswert sei. „Die frühzeitige Sanierung kariöser Defekte erscheint kostengünstiger als weitergehende Therapien bei akuten Schmerzen mit Wurzelkanalbehandlungen oder Zahnersatz nach Extraktionen“, sagte Splieth. Weiterhin empfahl er, die offensichtliche Präventionslücke bei Kindern zu schließen und die entsprechenden Präventionsmaßnahmen (FU/IP) in das Asylbewerberleistungsgesetz zu übernehmen. Prävention sei günstiger als die spätere Behandlung – so das Fazit.

Das Pilotprojekt zur betrieblichen zahnmedizinischen Prävention

Im zweiten Teil der Veranstaltung stellte Prof. Dr. Stefan Zimmer, Lehrstuhlinhaber für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin an der Universität Witten/Herdecke, ein Pilotprojekt zur betrieblichen zahnmedizinischen Prävention vor. Ausgangspunkt für die Überlegungen zu einer solchen Erwachsenenprävention waren Zimmer zufolge wissenschaftliche Erkenntnisse der letzten Jahre.

Die Hoffnung, dass die erfolgreiche zahnmedizinische Kinder- und Jugendprophylaxe prägende Verhaltensänderungen in Richtung sorgfältiger Mundhygiene für den weiteren Lebensweg hinterlasse und somit auch zu einer Kariesreduktion im Erwachsenenalter führe, habe sich in großen Teilen als „Trugschluss“ erwiesen.

Kinder-Prophylaxe führt zu Verhaltensänderungen - ein Trugschluss?

Die Erfolge in der Kariesbekämpfung seien in erster Linie Erfolge der „Fremdversorgung“ und nicht Ergebnis verbesserter Mundhygiene. Darum, so Zimmer, müsse Prävention zunehmend auch für Erwachsene etabliert werden. Mit dem noch im Mai 2018 startenden Pilotprojekt zur betrieblichen Prävention wolle man nun die Umsetzbarkeit und Wirksamkeit eines niedrigschwelligen Präventionsangebotes untersuchen.

Als Partner für das Projekt konnte ein mittelständisches Unternehmen gewonnen werden, in dem 200 Berufstätige mit Büroarbeitsplätzen an der Studie teilnehmen. Die Laufzeit beträgt ein Jahr.

Im Rahmen der Studie werde es eine Eingangsuntersuchung geben, in der Gewohnheiten und Präventionswissen der Teilnehmer sowie deren Mundhygiene- und Parodontalstatus erhoben werden. Als Intervention werden drei Maßnahmen durchgeführt: Schulung in zahnmedizinischer Prävention, Bereitstellung von zuckerfreiem Kaugummi und Mundspüllösungen zur zweimal täglichen Anwendung.

In der Abschlussuntersuchung werden die Parameter aus der Eingangsuntersuchung erneut erhoben. Ein Vergleich der Werte gibt Aufschluss über den möglichen Effekt der Maßnahmen. Stellen sich positive Effekte ein ergäbe sich die Perspektive, das entwickelte Programm auf größere Studienpopulationen und längere Laufzeiten zu übertragen.

Krankenkassen: Interesse an der Prävention hält sich in Grenzen

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass sich das Interesse der Krankenkassen an Prävention in äußerst engen Grenzen hält. So sei es bislang trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, für das Pilotprojekt zur betrieblichen Prävention eine Kasse als Partner zu gewinnen. Verschiedene Teilnehmer berichteten von zunehmenden Widerständen der Krankenkassen beim Thema Prävention. sie sinnvoll angelegt ist, wird sie sich auch wirtschaftlich auszahlen.

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