Leitartikel

Start-ups erster und zweiter Wahl

Christoph Benz

Das Start-up „Zahnarztpraxis“ scheint aus der Mode zu geraten. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen sind lieber angestellt. Für die Politik kein Grund zur Sorge, drückt sich darin doch nur die Lebensperspektive einer jungen Generation aus, der man gerne mit größeren Behandlungszentren entgegenkommen möchte. Im Gespräch mit jungen Kollegen zeigt die vermeintlich neue Lebensperspektive dann aber sehr bekannte alte Züge: „Ich habe Zahnmedizin studiert, um Zahnärztin zu sein, nicht Bürokratin“, „Warum soll ich ein persönliches Risiko eingehen, um dann im Korsett aus Richtlinien, Verordnungen und Bestimmungen zu stecken?“ Junge Wut, der wir gerne mit abgeklärter Resignation antworten: „Ja, diese Gesellschaft schätzt Sicherheit mehr als Freiheit, mitspielen ist gar nicht so schwer, machen wir alle …“ Bla, bla, bla.

Aber dann ein schöner Satz: „Wir möchten über Anreize diskutieren, die Pioniergeist und unternehmerischen Mut bei Innovationen belohnen, die die medizinische Versorgung verbessern.“ Endlich versteht man, was wir brauchen. Junge Zahnärzte, die eine Praxis gründen, zeigen beides, und natürlich wollen sie mit innovativen Gedanken die Versorgung ihrer Patienten verbessern. Dumm nur, dass die versprochenen Anreize gar nicht für unsere Jugend gedacht sind.

Im „Positionspapier E-Health“ der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aus dem der zitierte Satz stammt, geht es nämlich um die besseren, die wichtigeren, die digitalen IT-Software-App-Start-ups. Natürlich weiß jeder, dass die fünf größten Börsenkonzerne aus den USA kommen und digital unterwegs sind. Wer wird da nicht die Angst der Politik teilen, Deutschland werde Anschluss und Wohlstand verlieren. Pech nur für uns Ärzte, dass die aktuelle Projektionsfläche für digitale Zukunftsfantasien ausgerechnet unser Bereich, die Gesundheit, ist. 

Hier müssen wir entschieden die Hand heben und Stopp rufen: Als Kammer ist es unsere wichtigste Pflicht, die ethischen Grundsätze der Freiberuflichkeit und das unter allen Umständen zu schützende Arzt-Patienten-Verhältnis ins digitale Zeitalter zu übersetzen. Sascha Lobo, ein Journalist und Blogger, der sich vor allem mit dem Einfluss digitaler Technologien auf gesellschaftliche Entwicklungen beschäftigt, warnte uns schon 2015 davor, dass es für die ungesteuerte Weitergabe von personenbezogenen Patientendaten zum Beispiel über Apps – also deren Generierung, Speicherung, Auswertung und (kommerzielle) Weitergabe – an ethischen Grundsätzen fehle. Wenn nicht wir diese Grundlagen zuerst schaffen, entwickeln Unternehmen, die im Besitz unserer Gesundheitsdaten sind, eine Macht, die vor allem Patienten zum Nachteil gereicht. 

In dem Papier der Union wirft man uns vor, die Selbstverwaltung habe sich bei der Umsetzung der Gesundheitskarte „häufig als nicht genügend zielführend erwiesen“. Deshalb müsse die Politik nun „ordnend und nötigenfalls auch korrigierend“ eingreifen. Komisch, in der Diskussion um die Medizinischen Versorgungszentren werden wir gerügt, zuviel ordnen und korrigieren zu wollen, wo doch der freie Markt genau wisse, was er braucht. Viel eher weiß der digitale Markt, was er braucht. 

Was ich mir wünsche, ist mehr Fairness im Umgang mit unserer „Old-Gesundheits-Economy“. Wenn die Zahnmedizin Präventionserfolge aus präzise erhobenen Querschnittsdaten – wie zum Beispiel der Deutschen Mundgesundheitsstudie – darstellen möchte, kommt sofort der Vorwurf, dass nur Studiendesigns an der Spitze der Evidenzpyramide aussagekräftig sind. Gleichzeitig trauen die Digital-Euphoriker dann aber wild aggregierten Daten aus heterogenen Quellen den großen medizinischen Fortschritt zu. Was würde Trump sagen? Very unfair!

Und noch etwas ist unfair. Ohne uns Ärzte wäre diese ganze digitale Welt nichts. Wer soll erkennen, ob eine selbstlernende Software Unsinn lernt? Wer kann die hochklassigen Studien durchführen, die den Therapienutzen erst wirklich beweisen? Wer entlarvt die digitalen Kurpfuscher und sagt den Patienten, welche Daten sie besser nicht öffentlich machen? Und zu wem geht man, wenn es ernst wird mit der Gesundheit? 

Also, liebe Politik, verordnet uns nicht digitale Kopfgeburten, sondern fragt, was wirklich sinnvoll ist. Und nehmt bitte unsere Praxis-Start-ups ernst, damit wir gemeinsam Hemmnisse abbauen können!

Prof. Dr. Christoph BenzVizepräsident der Bundeszahnärztekammer

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