Interview mit Dr. Jan Willem Vaartjes

Niederlande: "Bei uns werden DHs zu Bachelor-Zahnärzten gemacht!"

Geht es nach dem niederländischen Gesundheitsminister, sollen Dentalhygienikerinnen (DHs) in Zukunft zahnärztliche Aufgaben übernehmen. Für Dr. Jan Willem Vaartjes, Präsident des niederländischen Zahnärzteverbandes ANT, ein No-Go.

Die Zahnärzte in den Niederlanden sind besorgt über die Entwicklungen bei der zahnärztlichen Versorgung. Was passiert dort gerade?

Dr. Jan Willem Vaartjes:

Vor Kurzem hat der niederländische Gesundheitsminister beschlossen, im Jahr 2020 ein Experiment zu starten, das es Dentalhygienikerinnen erlauben soll, ohne Anweisung oder Aufsicht eines Zahnarztes lokale Betäubungen vorzunehmen, Primärkarieskavitäten zu präparieren und zu füllen und Intraoralscans durchzuführen und auszuwerten, und das sogar in eigenen Praxen ohne Anwesenheit eines Zahnarztes.

Patienten werden sich direkt in Zahnhygienepraxen behandeln lassen können, ohne von einem Zahnarzt überwiesen worden zu sein. Das liegt zum Teil daran, dass unsere Universitäten aufgrund der Regierungspolitik in den letzten acht Jahren nur sehr wenige Zahnärzte ausgebildet haben, was mit dem Bestreben zusammenhängt, bestimmte Arbeitsschritte vom Zahnarzt auf die Dentalhygienikerin zu übertragen. Das Ende vom Lied ist jedoch, dass fast ein Drittel aller Zahnärzte, die wir jetzt haben, aus anderen Ländern in die Niederlande gekommen sind.

In den meisten europäischen Ländern stellen die Zahnärzte die Diagnose, entwickeln einen Behandlungsplan und delegieren die Aufgaben entsprechend an die Teammitglieder. Wie sind Zahnarztpraxen in den Niederlanden organisiert?

In den letzten 20 Jahren sind aus vielen Zahnarztpraxen mit einem oder zwei Zahnärzten und deren Helferinnen Einrichtungen geworden, die von einem großen Team betrieben werden, das aus Fachärzten (zum Beispielen Spezialisten für Implantologie oder Endodontie), Allgemeinzahnärzten, Dentalhygienikern und Zahnarzthelferinnen besteht (auch Letztere sind in die Behandlung von Patienten eingebunden).

Primäre und sekundäre Präventivmaßnahmen werden zum Großteil an Dentalhygienikerinnen und Assistentinnen delegiert. In einigen Großpraxen führen Dentalhygienikerinnen auch Behandlungen durch, zum Beispiel das Legen von Füllungen. Derzeit ist es rein rechtlich schon möglich, Behandlungsaufgaben an Assistentinnen zu delegieren; in der Praxis ist das aber noch selten der Fall.

In den Niederlanden gibt es keine "klassische" Zahnärztekammer, die Lobbyarbeit für den zahnärztlichen Berufsstand macht. Wer engagiert sich in Ihrem Land gegen solche (Fehl-) Entwicklungen?

Die niederländischen Zahnärzte sind in (zahnärztlichen) Berufsverbänden organisiert. Es gibt zwei derartige Verbände und ich bin Vorsitzender von einem der beiden. Diese Verbände übernehmen einige Aufgaben, die ihnen von der niederländischen Regierung übertragen wurden; dazu gehört zum Beispiel die Einrichtung eines Beschwerdeausschusses für Patienten.

Die zahnärztlichen Organisationen werden oft zur geplanten Regierungspolitik befragt, sie haben aber keine Handhabe, tatsächlich zu intervenieren. Das führt zu vielen Rechtsstreitigkeiten zwischen der Regierung und den zahnärztlichen Berufsverbänden; in jüngster Zeit war das Abrechnungssystem Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren.

Der niederländische Gesundheitsminister hat die Einführung eines detaillierten Katalogs zahnärztlicher Dienstleistungen angekündigt, um die praktizierenden Zahnärzte von einem Teil der Aufgaben zu entlasten, die mit den komplexen Verantwortlichkeiten einhergehen. Wie stehen Sie dazu?

Es passieren merkwürdige Dinge, wenn politische Entscheidungsträger die Zahnärzte von etwas "befreien" wollen, was diese selbst gar nicht als Belastung betrachten.

Gibt es Betroffene, die auf diese Initiative reagieren? Was wird getan oder was sollte getan werden?

Die zahnärztlichen Berufsverbände tun alles in ihrer Macht stehende, um diese Initiative zu stoppen. Die Instrumente, die wir einsetzen, reichen von Zeitungsartikeln über Pressemeldungen, die unsere Meinung zum Ausdruck bringen und vor den Problemen warnen, die dadurch auftreten könnten.

  • 1998 Zahnmedizinischer Abschluss in Amsterdam

  • 2004 Registrierter Implantologe (NVOI)

  • 2005 Assoziiertes Mitglied der American Association of Implant Dentistry (AAID)

  • 2013 Vorsitzender des Verbandes niederländischer Zahnärzte (Associatie Nederlandse Tandartsen, ANT)

Wir informieren die Öffentlichkeit auch darüber, dass zu wenige Studenten zum Zahnmedizinstudium an den Universitäten zugelassen werden und dass der Weg, der im Hinblick auf den Berufstand des Dentalhygienikers beschritten wird, nicht der richtige ist, um dem Zahnärztemangel zu begegnen. Als letzter Ausweg haben die Zahnärzte beschlossen, in einen Streik zu treten und Dentalhygienikerinnen während der vorgeschriebenen Praktika nicht mehr beizubringen, wie man Zähne präpariert und Füllungen legt. Über diesen "Streik" wurde in nationalen Zeitungen und Radiosendern ausführlich berichtet.

Was erwarten Sie in dieser speziellen Hinsicht von der Europäischen Union?

Da unser Berufsstand unter die Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen fällt und die freie Berufsausübung des Zahnarztes innerhalb von Europa einen Mindeststandard im Hinblick auf die Ausbildung bedingt, sollte sich die EU unserer Erachtens einschalten, wenn ein Land Maßnahmen ergreift, die in dieser Hinsicht beträchtliche Auswirkungen haben werden. Der Versuch, einem anderen Berufsstand zu erlauben, einen Großteil der ursprünglichen Aufgaben des Zahnarztes auszuführen, sollte aus europäischer Perspektive betrachtet werden.

Haben Sie Kontakt zum Council of European Dentists, der Dachorganisation aller zahnärztlichen Verbände der EU-Mitgliedstaaten?

Ja, wir stehen in Kontakt mit dem CED. Im März hat der CED unserem Gesundheitsminister eine sehr kritische Stellungnahme geschickt, in deren Fokus die Rolle des Zahnarztes als Leiter des zahnärztlichen Teams stand und in der betont wurde, dass Dentalhygienikerinnen nicht die erforderliche Ausbildung besitzen, um Röntgenaufnahmen auszuwerten und alle Unregelmäßigkeiten und Erkrankungen zu diagnostizieren, die unter Umständen darauf zu erkennen sind.

Was wird Ihrer Meinung nach - im Hinblick auf die Patienten und den Beruf des Zahnarztes - auf lange Sicht geschehen, wenn die Initiative der niederländischen Regierung an Triebkraft gewinnt und sich möglicherweise auf andere Länder ausweitet?

Die Regierungspolitik wirkt sich nachteilig auf die Zukunft der Zahnmedizin aus. Viele Entscheidungen werden ohne die Zustimmung der eigentlichen Experten getroffen: der Zahnärzte.

Die eigentliche Motivation, die dieser Politik zugrunde liegt, scheinen Kosteneinsparungen zu sein - Bildungskosten durch eine Verringerung der Zahnärzte oder Behandlungskosten durch wiederholte Gebührensenkungen -, indem anderen Mitgliedern des zahnärztlichen Teams oder sogar unabhängigen Dentalhygienikerinnen zahnärztliche Aufgaben übertragen und sie zu einer Art "Bachelor-Zahnarzt" gemacht werden.

Wir gehen davon aus, dass die Kosten dadurch eher steigen werden als zu sinken, während gleichzeitig die Qualität schlechter werden wird.

Dentalhygienikerinnen sollten für die Prophylaxe zuständig sein, nicht für die gesamten zahnärztlichen Behandlungen. Sie sollten die Entwicklung von Karies verhindern, statt den Bohrer einzusetzen, um Füllungen zu legen. Außerdem kann ein zahnärztliches Team mit einem akademisch ausgebildeten Zahnarzt als Leiter und Koordinator viel effizienter und sicherer agieren als einzelne zahnärztliche Fachkräfte mit weniger Erfahrung und untergeordneter Ausbildung.

Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Interview!

Nachdruck aus BDIZ EDI konkret 2/2018Das Interview führte Anita Wuttke, München.

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