Bei der oralen Mukositis handelt es sich um eine Entzündung der Mundschleimhaut, die als akute oder chronische Nebenwirkung einer laufenden oder vorangegangenen Radio- und/oder Chemotherapie auftreten kann. Die Ätiologie beruht vermutlich auf einer Schädigung der Epithelzellen der oralen Mukosa, wobei verschiedene pathophysiologische Ansätze diskutiert werden. Klinisch können nach der WHO-Einteilung fünf Schweregrade (0 bis IV) unterschieden werden, die von einem einfachen Erythem bis hin zu schwersten und generalisierten Ulzerationen der gesamten oralen Mukosa reichen. Neben einem generalisierten Befall der oralen Mukosa und sogar der Schleimhaut des gesamten Verdauungstrakts von den Lippen bis zum Rektum werden teilweise auch lokal begrenzte Befunde beobachtet. Die Diagnose wird anhand der Anamnese und des klinischen Befunds gestellt und kann durch eine Biopsie verifiziert werden.
Radio- und/oder Chemotherapie
Die Radio- und Chemotherapie sind Eckpfeiler moderner onkologischer Therapiekonzepte. Während die Chemotherapie mit wenigen Ausnahmen immer systemisch verabreicht wird, wird bei einer Radiotherapie zwischen der lokalen (zum Beispiel Bestrahlung eines Lymphabflussgebiets) und der Ganzkörperbestrahlung (zum Beispiel vor einer Stammzelltransplantation) unterschieden. Dabei kann die Radiotherapie sowohl alleine als auch in Kombination mit einer Chemotherapie angewendet werden. Die Vorteile dieser Kombination liegen unter anderem in einer Zytostatika-induzierten Radiosensibilisierung von Tumorzellen sowie im Schluss möglicher therapeutischer Lücken. Dabei werden nach der Intention der Therapie präventive, kurative und palliative Ansätze bei neoadjuvanten und adjuvanten Konzepten unterschieden. Beim oralen Plattenepithelkarzinom, dem häufigsten malignen Tumor der Mundhöhle und einem der zahlenmäßig häufigsten Tumoren weltweit, gehört die adjuvante Radio- beziehungsweise kombinierte Radiochemotherapie – zum Beispiel bei zervikalen Lymphknotenmetastasen – zum leitliniengerechten Therapiestandard (AWMF S3-Leitlinie Mundhöhlenkarzinom). Hinsichtlich der Radiotherapie hat sich mittlerweile die IntensitätsModulierte RadioTherapie (IMRT) mit einer Gesamtdosis von ca. 60 bis 70 Gy etabliert. Bezüglich der Chemotherapie bilden die platinhaltigen Derivate (zum Beispiel Cisplatin, Carboplatin) den Therapiestandard, der im Zweitlinienprotokoll (bei Rezidiven oder Therapieversagen) durch MTX (Methotrexat), Taxane und/oder Cetuximab (EGFR-Antikörper) ersetzt werden kann. Die akuten und chronischen Nebenwirkungen sind vielfältig. Bei der Radiotherapie im Kopf-Hals-Bereich werden zum Beispiel akute Hautirritationen im Strahlenfeld beschrieben (Abbildung 1). Als Langzeitfolgen gelten unter anderem die Xerostomie (Abbildung 2), die Strahlenkaries und die infizierte Osteoradionekrose (Abbildung 3). Bei der Chemotherapie gelten das Zytostatika-induzierte Erbrechen sowie nephro- und neurotoxische Effekte als bekannte Nebenwirkungen. Eine gemeinsame, akute Nebenwirkung ist die Mukositis, die neben der Mundhöhle (orale Mukositis, Abbildungen 4 und 5) die Schleimhaut des gesamten Gastrointestinaltrakts betreffen kann.
Abbildung 1: Extraorale Hautirritation der rechten Gesichtshälfte und des rechten Halses im Sinne einer Verbrennung ersten Grades während einer laufenden Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich. Zusätzlich zeigt sich eine ödematöse Schwellung der rechten Wange und des rechten Ohres.| Copyright
Abbildung 2: Ausgeprägte Xerostomie der linken Wange mit deutlichem Verlust des Oberflächenglanzes der Mundschleimhaut | Copyright
Abbildung 3: Infizierte Osteoradionekrose (IORN) des Unterkiefers in regio 43–46. Neben der entzündlich veränderten Mundschleimhaut zeigt sich freiliegender, infizierter Kieferknochen. Das vollständige Ausmaß der Osteoradionekrose lässt sich klinisch nur bedingt einschätzen und erfordert zur weiteren Diagnostik eine 3-D-Bildgebung [Kämmerer et al., 2016]. | Copyright
Orale Mukositis infolge einer Krebstherapie
Bei der Mukositis handelt es sich allgemein per definitionem um eine Entzündung beziehungsweise eine entzündliche Veränderung der Mukosa. Diese kann in der Mundhöhle durch eine Vielzahl verschiedener Ursachen, zum Beispiel durch einen bakteriellen Biofilm, hervorgerufen werden [Heitz-Mayfield and Salvi, 2018]. Als Folge einer Radio- und/oder Chemotherapie kann die Mukositis das auskleidende Epithel des gesamten Gastrointestinaltrakts betreffen, von der Mundhöhle bis zum Rektum [Lalla et al., 2016]. Die Pathophysiologie der Mukositis ist komplex und noch nicht abschließend geklärt. Nach einer vorangegangenen oder während einer laufenden Radio- und/oder Chemotherapie lässt sich ihre Entstehung – ähnlich wie der Haarausfall – durch den starken Effekt der Strahlung und der Zytostatika auf sich schnell teilende Zellen und Gewebe mit einer hohen Proliferationsrate erklären. Die Schleimhaut des Gastrointestinaltrakts und besonders die orale Mukosa hat eines der höchsten Regenerationspotenziale des menschlichen Körpers. Die Epithelzellen, besonders die stark proliferierenden Zellen des Stratum basale, durchlaufen den Zell-zyklus in einer hohen Frequenz. Innerhalb dieses Zellzyklus gibt es bestimmte Phasen (zum Beispiel G1, G2), in der die Zellen – sowohl benigne als auch maligne – besonders empfindlich gegenüber den zytostatischen und zytotoxischen Effekten einer Radio- und/oder Chemotherapie sind. Daher werden in der oralen Mukosa die basalen Epithelzellen in der kutanen Basalschicht besonders geschädigt, wodurch das Regenerationspotenzial der Mukosa deutlich negativ beeinträchtigt wird und es es zu einer Atrophie und zu Ulzerationen der Mukosa kommt. Es entstehen zunehmend Defekte in der Integrität der Schleimhaut, die diese für verschiedenste Noxen anfälliger machen (mechanisch, chemisch, thermisch, bakteriell, viral und muzin). Der Verlauf einer Mukositis lässt sich in einem Fünf-Phasen-Modell beschreiben [Bollig 2016]:
- (I) Initiation
- (II) Inflammation und Freisetzung von Zytokinen
- (III) Signalverstärkung
- (IV) Ulzeration
- (V) Abheilung
Eine interessante Theorie hinsichtlich der Pathophysiologie der Mukositis beschreibt strahlungsinduzierte Veränderungen in der inflammatorischen Signalkaskade durch NF-ҡB (nuclear factor-kappa B), einem wichtigen Transkriptionsfaktor, der neben Immunreaktionen und der Apoptose von Zellen bei einer Aktivierung auch inflammatorische Reaktionen induzieren kann [Frings et al., 2016]. Insgesamt ist die Bedeutung von NF-ҡB im Kontext der oralen Mukositis aber noch wenig im Detail verstanden. Interessanterweise zeigten Curra et al. bei einer durch 5-FU (5-Fluoruracil) im Tiermodell induzierten oralen Mukositis und einer experimentellen, therapeutischen Photobiomodulation mildere Schweregrade der Mukositis bei einer Aktivierung des NF-ҡB-Signalwegs [Curra et al., 2015]. Zusammenfassend muss hinsichtlich der Pathophysiologie der Mukositis von einem multifaktoriellen Geschehen ausgegangen werden, das in seiner Gesamtheit noch nicht geklärt ist.
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