Skandal um spanische Dentalkette

iDental: Wenn der Franchisenehmer Zahnarzt spielt

Es sei der „weltweit größte Skandal“ den die Zahnmedizin bisher erlebt habe, sagt Dr. Óscar Castro Reino, Präsident der spanischen Zahnärztekammer: Im Frühjahr 2018 wurde die Dentalkette iDental von den spanischen Behörden zwangsweise geschlossen. Betroffen sind mehr als 350.000 Patienten und 800 Zahnärzte.

2017 veröffentlichte die spanische Zahnärztekammer, der Consejo General de Colegios de Odontólogos y Estomatólogos de España, eine Untersuchung, die es in sich hat: Demnach entfielen von 2013 bis 2015 fast die Hälfte aller Patientenbeschwerden auf Praxen in Dentalketten – obwohl diese lediglich rund vier Prozent aller spanischen Zahnarztpraxen stellen (siehe Kasten).

Die Daten legen den Verdacht nahe, dass die Probleme hausgemacht sind – in diesem Fall bei der spanischen Dentalkette iDental. Der Skandal um das Unternehmen beschäftigt seit Monaten die spanische Presse. Hunderte Patienten gingen bereits auf die Straße, um gegen den „systematischen Betrug“ vorzugehen. 

Wurden 350.000 Patienten betrogen?

Was war passiert? 2014 wurde iDental gegründet, vier Jahre später, im April und Mai 2018 wurden alle 24 Filialen der Dentalkette ohne Vorankündigung von den spanischen Behörden zwangsweise geschlossen. Untersuchungen hatten ergeben, dass die Patienten von iDental durch nicht qualifiziertes Personal behandelt und dass bei der Behandlung Materialien minderer Qualität verwendet worden waren. Zurück blieben 350.000 betroffene Patienten, deren Behandlung teilweise noch gar nicht begonnen wurde, teilweise nicht beendet war, die aber immer im Voraus bezahlt hatten. Die spanischen Zeitungen schrieben von Patienten, die „mit Schrauben im Zahnfleisch statt Zähnen zurückgelassen“ wurden, sowie von „Menschen, die das Geld für die Zahnbehandlung als Kredit aufgenommen und nun alles verloren haben“.

Wie konnte es dazu kommen? iDental hatte sich selbst als „low-cost“-Unternehmen beworben, dessen Ziel es war, die zahnärztliche Behandlung selbst für das niedrigste Budget erschwinglich zu machen. Zunächst seien Behandlungen zu (üb)erhöhten Preisen angeboten worden, danach sollten aber „Rabatte von bis zu 95 Prozent“ gewährt werden, beschrieb Zahnärztekammerpräsident Castro Reino die Masche von iDental auf dem Weltkongress des Weltzahnärzteverbands Fédération Dentaire Internationale (FDI) Anfang September in Buenos Aires. Die Patienten sind laut Castro Reino mit Preisnachlässen geködert worden, um Behandlungen durchzuführen, für die sich viele bei den von iDental vermittelten Finanzanbietern verschuldet hätten. 

„Das Problem ist das System“

„Wenn versucht wird, Ihnen ein Implantat mit einer Krone für 500 Euro zu verkaufen, sollten eigentlich die Alarmglocken läuten“, sagte Castro Reino. Aber der „Billig-Zahnarzt-Boom“ habe eben zu dieser massiven Kommerzialisierung des Berufs geführt. 

Der Kammerpräsident selbst hat schon vor Jahren in den spanischen Tageszeitungen vor Kliniken gewarnt, die minderwertige Materialien verwenden und Top-Preise verlangen, auf die sie dann absurde Rabatte gewähren. Den Fehler sieht er jedoch im System: Das Problem seien nicht die Kliniken selbst, betonte er gegenüber den FDI-Delegierten, sondern „das System, das sie geschaffen haben“. 

Das spanische Gesundheitssystem ist ähnlich dem deutschen System aufgebaut – mit einem entscheidenden Unterschied: Die Zahnmedizin ist von einer umfassenden gesetzlichen Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Lediglich Zahnextraktionen und Kontrolluntersuchungen werden über die gesetzliche Krankenversicherung abgewickelt. Dafür muss der Patient zu einem bestimmten Zahnarzt des öffentlichen Dienstes gehen. Laut dem EU-Handbuch der zahnärztlichen Praxis vom Council of European Dentists werden diese jedoch verhältnismäßig schlecht bezahlt – weniger als fünf Prozent der spanischen Zahnärzte arbeiten demnach für den öffentlichen Dienst. 92 Prozent haben sich als private Praktiker für private Patienten niedergelassen.

„Aus meiner Erfahrung heraus, wird die zahnärztliche Versorgung per Gesetz nicht als integrativer Bestandteil der Gesundheitsversorgung betrachtet“, bestätigt Zahnärztin Paola Fraboulet Torres, die in Valencia in einem privaten Versorgungszentrum praktiziert. „Möchte man die freie Arztwahl nutzen, so sind das reine Privatleistungen und die müssen dementsprechend bezahlt werden.“ Da es jedoch keine vorgeschriebene Gebührenskala gebe, bestimme der Wettbewerb die Preise. 

Insgesamt fehlen Regularien, betont Castro Reino auf der Webseite der Zahnärztekammer und kritisiert die „laxe Gesetzgebung“ in Spanien. Es sei genauso leicht eine Zahnarztpraxis zu eröffnen „wie einen Friseursalon oder ein Nagelstudio“, bestätigt Torres. „Das Einzige, was man braucht, ist eine Person mit einer zahnärztlichen Approbation, die verantwortlich zeichnet.“

Die Praxis auf Mallorca, in der sie nach ihrem Studium gearbeitet hat, gehörte einem Polizisten. „Seine Nichte war Zahnärztin und hat alle erforderlichen Papiere unterschrieben, er hat die wirtschaftlichen Entscheidungen getroffen“, erzählt Torres.

Ähnlich liegt der Fall von iDental. Eigentümer der Dentalkette ist der Investmentfonds Weston Hill. 24 Zahnklinken wurden im Sinne eines Franchise-Unternehmens eröffnet – mit über 3.000 Mitarbeitern, wovon rund 800 als Zahnärzte tätig waren. Um die 350.000 Patienten wurden in den iDental-Kliniken behandelt.

Praktisch jeder kann eine Zahnklinik gründen

Laut Torres verkommt die Zahnbehandlung zu einer reinen Verkaufsveranstaltung: „Die erste Behandlung ist kostenfrei. Wenn die Patienten nach Hause gehen, haben sie aber alle erforderlichen Weiterbehandlungsverträge unterschrieben. Teilweise nehmen sie Kredite mit langen Laufzeiten für komplizierte Zahnbehandlungen auf. Je mehr gemacht wird, desto besser.“ 

Im Fall von iDental geht es jedoch um mehr: Der Verdacht erhärtet sich, dass es sich um „systematischen Betrug“ handelt. Schließlich soll das Unternehmen seinen Kunden systematisch eine billige Behandlung angeboten und sich diese im Voraus bezahlen haben lassen, um dann die Zahnbehandlung nur teilweise durchzuführen, so dass die Patienten in einem schlechten Gesundheitszustand waren und noch mehr Geld investieren mussten. 

Um Nachweise für diesen Betrug zu finden, hatte die Nationalpolizei Anfang August in 19 Büros des Unternehmens eine Razzia durchgeführt. Wie die spanischen Medien berichten, hoffe man darüber hinaus feststellen zu können, ob die Patienten tatsächlich von unqualifiziertem Personal betreut und ob schlechtes Material verwendet wurde. 

Inzischen haben spanische Nachrichten gemeldet, dass drei führende Mitarbeiter von iDental verhaftet worden seien.

Spanische Studie zu Patientenbeschwerden

Fast 25-mal mehr Beschwerden über die 3,9 Prozent Dentalketten 

Von den 21.628 Zahnarztpraxen in Spanien werden 20.411 (94,4  Prozent ) von niedergelassenen Zahnärzten, 852 (3,9  Prozent) von Dentalketten und 365 (1,7  Prozent) Praxen von Versicherungen betrieben. Die spanische Zahnärztekammer zählte in den Jahren 2013 bis 2015 insgesamt 4.648 Patientenbeschwerden. Davon betrafen 2.213 (47,6  Prozent) niedergelassene Praxen, 2.258 (48,6  Prozent) Dentalkettenpraxen und 177 (3,8  Prozent) von Versicherungen betriebene Praxen. Knapp 74 Prozent der Beschwerden richteten sich gegen die zahnärztliche Diagnostik und Behandlung.

Quelle: Consejo General de Colegios de Odontólogos y Estomatólogos de España

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