Die klinisch-ethische Falldiskussion

Narkose in der Kinderbehandlung

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Ralf Vollmuth
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Ein sechsjähriger aufgeweckter und kooperationsbereiter Junge soll in Narkose eine Cerec-Krone am kariösen Zahn 84 erhalten. Denn, so argumentiert der spezialisierte Kinderzahnarzt, die Behandlung eines Kindes erfordere viel Zeit und in Narkose ließen sich die Prozesse der Vertrauensbildung und der Behandlung abkürzen und der Patient würde weniger traumatisiert. Auch sei die Behandlung für den behandelnden Zahnarzt entspannter und weniger anstrengend.

Familie F., ein Akademikerpaar mit zwei Kindern im Teenager-Alter und einem sechsjährigen Sohn, zieht in eine deutsche Großstadt und begibt sich in der Zahnarztpraxis Dr. M. in (familien-)zahnärztliche Betreuung. Lediglich der sechsjährige Sohn A. wird von der in der Stadt ansässigen „Kinderzahnarztpraxis“ Dr. K. betreut, da die etwas ängstliche und fast schon überfürsorgliche Mutter bei allem Vertrauen zur Hauszahnärztin ihren Sohn dennoch bei diesem Spezialisten in qualifizierteren Händen sieht. Eines Tages kommt Frau F. nun aufgeregt und nervös mit der Bitte um eine Zweitmeinung zu Frau Dr. M.: Ihr Sohn solle in der Kinderzahnarztpraxis eine Cerec-Krone am kariösen Zahn 84 erhalten – und dies in Narkose. Frau Dr. M. untersucht den Jungen, ein altersentsprechend entwickeltes, aufgewecktes und kooperationsbereites Kind. Entgegen der bestehenden Planung ist sie der Auffassung, dass der kariöse Defekt nicht zwingend mit einer Krone versorgt werden muss, sondern durchaus noch mit einer (wenn auch ausgedehnteren und in der Kinderbehandlung deutlich zeitaufwendigeren) Füllung zu therapieren ist. 

Dr. M. erläutert das der Mutter, die sie bittet, über die diskrepanten Behandlungsalternativen mit Kinderzahnarzt Dr. K. zu sprechen. In einem ausnehmend kollegialen Telefonat schildert Dr. M. ihre fachlichen Bedenken und die Vorbehalte der Mutter, während Dr. K. seinen fachlichen wie auch wirtschaftlichen Standpunkt und damit auch seine Motivation für die Indikationsstellung deutlich macht.
So erfordere die Kinderbehandlung sehr viel Zeit: Zum einen müsse in der „Anbahnung“ das notwendige Vertrauen zum Kind-Patienten aufgebaut werden; zum anderen dürften die kleinen Patienten mit einer wie bei den meisten Erwachsenen üblichen zügigen Arbeitsweise nicht überfordert werden. Eine wirtschaftliche Praxisführung sei daher bei seiner Spezialisierung nicht einfach und sowohl die großzügige Indikationsstellung für eine Cerec-Krone als auch die Anwendung der Narkose seien das Ergebnis einer „ausgewogenen“ Interessenabwägung: In Narkose ließen sich beide Prozesse, also die Vertrauensbildung wie auch die eigentliche Behandlung, abkürzen und die Patienten würden auch weniger traumatisiert, weil sie von der eigentlichen Behandlung nichts mitbekämen. Mit der Indikationsstellung „Krone“ werde darüber hinaus der Gefahr eines Füllungsverlusts und einer Sekundärkaries und damit auch einer möglicherweise notwendigen Wiederholung der Behandlung vorgebeugt. Ferner sei die Behandlung auch für den behandelnden Zahnarzt entspannter und weniger anstrengend.

Die Prinzipienethik

Ethische Dilemmata, also Situationen, in denen der Zahnarzt zwischen zwei konkurrierenden, nicht miteinander zu vereinbarenden Handlungsoptionen zu entscheiden oder den Patienten zu beraten hat, lassen sich mit den Instrumenten der Medizinethik lösen. Viele der geläufigen Ethik-Konzeptionen (wie die Tugendethik, die Pflichtenethik, der Konsequentialismus oder die Fürsorge-Ethik) sind jedoch stark theoretisch hinterlegt und aufgrund ihrer Komplexität in der Praxis nur schwer zu handhaben. 

Eine methodische Möglichkeit von hoher praktischer Relevanz besteht hingegen in der Anwendung der sogenannten Prinzipienethik nach Tom L. Beauchamp und James F. Childress: Hierbei werden vier Prinzipien „mittlerer Reichweite“, die unabhängig von weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen als allgemein gültige ethisch-moralische Eckpunkte angesehen werden können, bewertet und gegeneinander abgewogen. 

Drei dieser Prinzipien – die Patientenautonomie, das Nichtschadensgebot (Non-Malefizienz) und das Wohltunsgebot (Benefizienz) – fokussieren ausschließlich auf den Patienten, während das vierte Prinzip Gerechtigkeit weiter greift und sich auch auf andere betroffene Personen oder Personengruppen, etwa den (Zahn-)Arzt, die Familie oder die Solidargemeinschaft, bezieht.

Für ethische Dilemmata gibt es in den meisten Fällen keine allgemein verbindliche Lösung, sondern vielfach können differierende Bewertungen und Handlungen resultieren. Die Prinzipienethik ermöglicht aufgrund der Gewichtung und Abwägung der einzelnen Faktoren und Argumente subjektive, aber dennoch nachvollziehbare und begründete Gesamtbeurteilungen und Entscheidungen. Deshalb werden bei klinisch-ethischen Falldiskussionen in den zm immer wenigstens zwei Kommentatoren zu Wort kommen.

Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth

Wie ist diese Argumentation zu beurteilen? Ist es legitim, das Behandlungskonzept nicht nur an fachlichen Standards, sondern auch an den wirtschaftlichen Interessen einer (spezialisierten) Praxis auszurichten? Welcher Stellenwert ist bei der Frage nach der Narkose etwa dem „Stressfaktor“ des Zahnarztes beizumessen? Oder wird möglicherweise eine normale zahnärztliche Maßnahme durch die Narkose für den kleinen Patienten in der Bedeutung auf ein Niveau gehoben, das letztlich per se kontraproduktiv ist?

Dr. Katrin PotheDarmstädter Str. 50, 63303 Dreieichinfo@dr-pothe.deOberstarzt Prof. Dr. Ralf VollmuthZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der BundeswehrZeppelinstr. 127/128, 14471 Potsdamvollmuth@ak-ethik.de ###more### ###title###Kommentar 1###title### ###more###

Kommentar 1

„Das Kind ist nicht behandlungsunwillig“

Das traditionelle ärztliche Ethos verlangt von den Ärzten, bei ihren Entscheidungen keine Kostenerwägungen anzustellen, sondern sich stattdessen ganz auf das Wohlergehen und den Willen des Patienten zu konzentrieren. Jedoch steht das Gesundheitssystem heute vor der Herausforderung, mit einer zunehmenden Ressourcenknappheit und steigendem Kostendruck medizinisch rational, ökonomisch sinnvoll und ethisch vertretbar umzugehen.

Problematisch sind aber der Prozess der Ökonomisierung und seine Folgen (für Patienten, medizinisches und nicht-medizinisches Personal sowie das Gesundheitssystem als solches), die die Ziele der Gesundheitsversorgung gefährden. Nach einer Definition der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer liegt Ökonomisierung vor, „wenn betriebswirtschaftliche Parameter jenseits ihrer Dienstfunktion für die Verwirklichung originär medizinischer Aufgaben eine zunehmende Definitionsmacht über individuelle und institutionelle Handlungsziele gewinnen“. Darin ist die problematische Orientierung an patientenfernen Interessen zu sehen, wobei sie zwingend von einer unter Umständen sogar notwendigen Beachtung des Effizienzgebots als ethische Dimension des Gesundheitswesens zu trennen ist. Ein von patientenfernen Interessen geleitetes Handeln gefährdet nicht nur die Orientierungssicherheit der Ärzte und die Erwartungssicherheit der Patienten, sondern konfligiert mit dem ärztlichen Ethos, das in der von Beauchamp und Childress entwickelten Prinzipienethik ausformuliert durch die Prinzipien Wohltun, Nichtschaden, Autonomie und Gerechtigkeit seinen Rahmen findet. 

In Bezug auf die mit der Fallskizze verbundenen Fragen ist festzuhalten, dass die „Unternehmensphilosophie“ sämtlicher medizinischen Einrichtungen bei allen durchaus erlaubten wirtschaftlichen Zielen vom medizinischen Auftrag und spezifischen ärztlichen Ethos bestimmt sein muss. Wie sind nun die geplanten Maßnahmen in diesem Sinn zu beurteilen?

Es liegen sowohl zur Versorgung stark zerstörter Milchzähne mit Kronen als auch zur zahnärztlichen Behandlung von Kindern in Intubationsnarkose Stellungnahmen der DGZMK vor. Danach hängt aufgrund fehlender vergleichender Studien zur Überlebensrate von Kronen und adhäsiv verankerten Füllungsmaterialien im Milchgebiss die Entscheidung, entweder adhäsiv zu befestigende Füllungen oder Kronen zu verwenden, unter anderem von der Erfahrung des Behandlers und von der Kooperations-fähigkeit des Kindes ab. Da A. nach Einschätzung von Frau Dr. M. durchaus kooperationsbereit scheint und sie sich die Füllungstherapie zutraut, sollte im Sinne des Wohltuns-Prinzips eine Füllungstherapie durchgeführt werden. Die Überlegungen zu den Gefahren einer Füllungstherapie versus Kronenbehandlung von Dr. K. sind wegen der fehlenden Datenlage spekulativ.

Gemäß der Stellungnahme zur Intubationsnarkose zählen zu den Indikationen dieser Behandlungsmaßnahme neben akuten Erkrankungen auch allgemeinmedizinische Risiken und Vorerkrankungen oder Verhaltensstörungen. Gewinnt der Zahnarzt bei behandlungsunwilligen Kindern während der Vorbehandlungen den Eindruck, dass eine weitere und adäquate Versorgung unter Lokalanästhesie nicht möglich ist, kann sich hieraus ebenfalls eine Indikation für die Durchführung einer Intubationsnarkose ergeben. All dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Nicht genannt werden in der Stellungnahme der DGZMK die von Dr. K. vorgebrachten Argumente für die Intubationsnarkose: Abkürzung der Vertrauensbildung und der eigentlichen Behandlung, geringe Traumatisierung des Patienten und das entspanntere Arbeiten für den Behandler. Diese Argumente können also die Anwendung der Intubationsnarkose nicht begründen, und insofern ist diese im Sinne des Benefizienz-Prinzips hier nicht angezeigt. 

In Belangen der Patientenautonomie wird der sechsjährige A. aus Gründen der fehlenden Einwilligungsfähigkeit von seiner Mutter vertreten. Es ist aufgrund der in der Fallskizze geschilderten Situation anzunehmen, dass Dr. K. das Prinzip der Patientenautonomie verletzt hat, indem er die von ihm vorgeschlagene Behandlung als alternativlos dargestellt hat. Über den tatsächlichen Willen von Frau F. kann nur spekuliert werden, weil sie Frau Dr. M. zunächst lediglich bittet, sich mit Dr. K. auszutauschen. Die Erregung und Nervosität und das Einholen einer Zweitmeinung deuten jedoch darauf hin, dass sie mit der von Dr. K. vorgeschlagenen Behandlung nicht einverstanden ist und wahrscheinlich eher einer weniger invasiven Behandlung in Form einer Füllung unter Lokalanästhesie den Vorrang geben würde. 

Die Füllungstherapie ist weniger invasiv und geht mit einer Substanzschonung am Zahn 84 einher. Fundierte vergleichende Aussagen zu möglicherweise notwendigen Wiederholungsmaßnahmen sind, wie oben bereits erwähnt, zurzeit nicht möglich. Insofern ist die Füllungstherapie dem Nichtschadensgebot folgend vorzuziehen. Eine Intubationsnarkose stellt durch die notwendige apparative, personelle und medikamentöse Ausstattung einen sehr hohen therapeutischen Aufwand und ein viel höheres Risiko als eine Behandlung in Lokalanästhesie dar. In seiner Argumentation für die Intubationsnarkose das Nichtschadensgebot betreffend führt Dr. K. eine kürzere Behandlungsdauer und die geringere Traumatisierung des Jungen an. In der Gegenüberstellung wiegen aber die Argumente gegen die Intubationsnarkose schwerer, so dass eine Lokalanästhesie im Sinne des Nichtschadensprinzips zur Anwendung kommen sollte.

Auch aus gerechtigkeitsethischen Überlegungen kommt man bei dieser Fallkonstellation zu dem Schluss, dass der Füllungstherapie in Lokalanästhesie der Vorzug zu geben ist, weil sie ressourcenschonender ist.

Die von Dr. K. für sich reklamierte „ausgewogene“ Interessenabwägung, die die Entscheidung für die vom ihm vorgeschlagenen Behandlungsmaßnahmen begründet, kann ethisch nicht als zielführend für die Behandlungsentscheidung angesehen werden. Vielmehr sollte er sich bei seiner Entscheidung aus individual-ethischer Sicht an Evidenz zu Wirksamkeit, Nutzen und Risiken sowie an den Präferenzen des Patienten orientieren und aus gerechtigkeitsethischen Aspekten den Ressourcenverbrauch zur Erreichung des Therapieziels minimieren.

Dr. Hans-Jürgen GahlenKurfürstenwall 5, 45657 Recklinghausengahlen@ak-ethik.de


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Kommentar 2

„Der höhere Aufwand sollte dem Spezialisten bekannt sein“

Wie ist nun der oben beschriebene Fall zu bewerten? – Sehen wir uns zuerst einmal die vorgeschlagenen Therapieoptionen an.

Einen therapiebedürftigen größeren Befund am Zahn 84 haben beide Zahnärzte diagnostiziert. Die DGZMK hat in mehreren wissenschaftlichen Stellungnahmen Erhalt und Therapie von Milchzähnen dargestellt. Demnach sollten sie möglichst bis zur natürlichen Exfoliation erhalten werden. Der Versorgung mit plastischen Füllungsmaterialien wie Kompositen oder Kompomeren wird dabei der Vorzug vor Materialien wie Glasionomerzementen oder Amalgam gegeben. Bei größeren Defekten ist die Versorgung mit konfektionierten Stahlkronen empfohlen. Dazu liegen Studien vor, dass dabei sogar auf die Entfernung von Karies verzichtet werden kann. Dementsprechend können diese Kronenversorgungen auch bei „unkooperativen“ Kindern eingesetzt werden, denen nur eine kurze Behandlungsdauer zuzumuten ist. Es besteht dabei kaum ein Risiko für das Auftreten von Sekundärkaries, eine extrem geringe Verlustrate macht eine weitere Behandlung vor der natürlichen Exfoliation unnötig.

Aufruf

Schildern Sie Ihr Dilemma!

Haben Sie in der Praxis eine ähnliche Situation oder andere Dilemmata erlebt? Schildern Sie das ethische Problem – die Autoren prüfen den Fall und nehmen ihn gegebenenfalls in diese Reihe auf.

Kontakt:Prof. Dr. Ralf Vollmuthvollmuth@ak-ethik.de

Die vom Kinderzahnarzt Dr. K. vorgeschlagene Überkronung ist grundsätzlich ebenso zur Versorgung geeignet, wie die durch die Familienzahnärztin Dr. M. empfohlene plastische Füllung. Allerdings erscheint die Kronentherapie unter Hinblick auf das vorgesehene Material deutlich teurer (Zuzahlung durch die Eltern) und auch ausschließlich in Verbindung mit der ebenfalls vorgeschlagenen Vollnarkose durchführbar. Die Füllungstherapie erfordert möglicherweise einen höheren Zeitaufwand als bei einem vergleichbaren Fall in der Erwachsenenbehandlung, ist jedoch günstiger (Übernahme durch die Krankenkasse) und auch ohne Narkose möglich. Die wissenschaftliche Stellungnahme der DGZMK vom November 1994 sieht die Indikation für eine Behandlung in Intubationsnarkose auch dann, wenn während der Vorbehandlung der Eindruck entsteht, dass eine weitere und adäquate Versorgung des kleinen Patienten unter Lokalanästhesie nicht möglich ist.

Im vorliegenden Fall handelt es sich allerdings offenbar um ein „altersentsprechend entwickeltes, aufgewecktes und kooperationsbereites“ (Vor-)Schulkind. Die Beschreibung der Befundungssituation in der Praxis der Hauszahnärztin lässt keinen Anhaltspunkt für eine derartige Indikation erkennen. Auch fehlt ein entsprechender Hinweis im kollegialen Telefonat zwischen den beiden Zahnärzten, sollte das Auftreten des Kindes in der Kinderzahnarztpraxis ein anderes sein.

Patientenautonomie (Selbstbestimmungsrecht)

Aufgrund des Alters des Patienten ist seine Mutter für die Wahrung seiner Patientenautonomie verantwortlich. In diesem Zusammenhang muss die Frage gestellt werden, ob Frau F. ausreichend über mögliche Behandlungsalternativen und Therapierisiken aufgeklärt wurde und damit in der Lage ist, eine fundierte Entscheidung für ihren Sohn treffen zu können. Ihre Äußerungen der Familienzahnärztin gegenüber lassen daran zumindest Zweifel aufkommen.

Sollte eine adäquate Aufklärung unterlassen worden sein, wäre im Übrigen aus rechtlicher Sicht gar keine wirksame Einwilligung in die vorgeschlagene Behandlung möglich.

Benefizienz (Wohl des Patienten)

Das Wohl des Patienten haben beide Zahnärzte im Auge, keiner empfiehlt den Verzicht auf eine Therapie. Gerade im Altersband des Jungen ist eine rasche Therapie angezeigt. Die Nichtbehandlung von Karies an Milchzähnen kann zu Schmerzen oder zu Abszessen führen. Die Infektionsgefahr für die Nachbarzähne steigt rapide. Bei vorzeitigem Verlust der Milchzähne kann der Durchbruch der bleibenden Zähne erschwert werden, da die Platzhalterfunktion verloren geht. Darüber hinaus ist natürlich auch die Ästhetik nicht außer Acht zu lassen, um mögliche Hänseleien zu vermeiden.

Non-Malefizienz (Nichtschadensprinzip)

Aber würde dem kleinen Patienten durch eine Behandlung in Narkose nicht doch geschadet? Er bekäme den Eindruck, das Legen einer Füllung sei keine normale zahnärztliche Behandlung, sondern ein Anlass, der eine Narkose (mit all deren Risiken und Begleiterscheinungen wie Herz-Kreislauf-Versagen, Anaphylaxie, Thrombosen, die Gefahr einer Lungenentzündung durch Aspiration, oder auch „nur“ die vorher nötige Nüchternheit oder Übelkeit und Erbrechen als Nachwirkung beispielsweise) erfordert. Ein normaler adäquater Umgang mit den notwendigen Zahnarztbesuchen im Laufe des Lebens ist dadurch wahrscheinlich eher nicht möglich. Die Indikation für eine Vollnarkose sollte in diesem Fall also eher eng gestellt werden, da die Risiken für die Behandlung lediglich eines Zahns doch sehr hoch sind. Wenn sie hingegen vorliegt, steht die Anfertigung der Cerec-Krone auch 

deutlich hinter der Füllungstherapie. In Narkose lässt sich selbst eine ausgedehnte Füllung zügig und so fachgerecht legen, dass die Risiken von Sekundärkaries und Füllungsverlust innerhalb der zu erwartenden Nutzungsdauer von 3 bis 5 Jahren bis zur natürlichen Exfoliation sehr gering sind. Die lange Narkosedauer, die für die Anfertigung einer Cerec-Krone notwendig ist, steht in keinem Verhältnis dazu.

Gerechtigkeit

Aus Sicht des Kinderzahnarztes Dr. K. steht die Rentabilität und Wirtschaftlichkeit seiner Praxis natürlich in engem Zusammenhang mit den offerierten und präferierten Behandlungsoptionen. Es wäre ihm nicht zuzumuten, wirtschaftliche Einbußen zugunsten des Patienten hinzunehmen. Jedoch kann die monetäre Komponente nicht höherwertiger sein als das Wohl des Patienten.

Die Entscheidung für den Therapievorschlag von Dr. K. würde darüber hinaus zu einer ungerechten Belastung der Solidargemeinschaft führen, da in diesem Fall die Kosten für Narkose und Zahnersatz, zumindest anteilig, zu tragen wären. 

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es legitim ist, beim Behandlungskonzept neben der Einhaltung fachlicher Standards auch die wirtschaftlichen Interessen einer Praxis im Blick zu behalten. Das Wohl des Patienten ist jedoch das deutlich höher zu wertende Gut und darf auf keinen Fall hinten angestellt werden.

Der „Stressfaktor“ des Zahnarztes in Bezug auf die Narkoseindikation ist sehr gering einzustufen, zumal es sich hier um eine Spezialpraxis handelt, bei der man erwarten kann, dass der erhöhte Zeit- und Betreuungsaufwand der Kinderpatienten bekannt ist und mit der Spezialisierung „erlernt“ und in Kauf genommen wird.

Die Behandlung eines einzelnen Zahns in Vollnarkose bei einem normal kooperationsbereiten Kind gibt dieser Behandlung einen Stellenwert, der weit über die Normalität hinausgeht und es voraussichtlich unmöglich macht, einen adäquaten Umgang mit dem Zahnarztbesuch im Allgemeinen und den Therapien im Speziellen zu erlernen. Die Schaffung eines „Angstpatienten“ mit einer weiteren Karriere der Behandlung in Vollnarkose scheint hier vorgezeichnet.

Kathleen BröhlChristoph-Rapparini-Bogen 580639 MünchenKathleen.Broehl@gmx.de

Arbeitskreis Ethik

Der Arbeitskreis verfolgt die Ziele:

  • das Thema „Ethik in der Zahnmedizin“ in Wissenschaft, Forschung und Lehre zu etablieren,

  • das ethische Problembewusstsein der Zahnärzteschaft zu schärfen und 

  • die theoretischen und anwendungsbezogenen Kenntnisse zur Bewältigung und Lösung von ethischen Konflikt- und Dilemmasituationen zu vermitteln.

www.ak-ethik.de

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