S3-Leitlinien zur Parodontitistherapie

Adjuvante systemische Antibiotikagabe bei subgingivaler Instrumentierung

Yvonne Jockel-Schneider
,
Sonja Sälzer
,
Benjamin Ehmke
,
Ulrich Schlagenhauf
,
Bernadette Pretzl
,
Sonja Sälzer
Die Wirksamkeit der unterstützenden systemischen Antibiotikagabe im Zusammenspiel mit der mechanischen Parodontitistherapie ist weithin belegt. Gleichwohl haben Antibiotika noch weitgehend unerforschte Einflüsse auf die menschlichen Mikrobiota und bergen die Gefahr von Resistenzbildungen. In diesem Spannungsfeld gibt die neue Leitlinie „Adjuvante systemische Antibiotikagabe bei subgingivaler Instrumentierung im Rahmen der systematischen Parodontitistherapie“ eine evidenzgestützte Entscheidungshilfe.

Einleitung

Die Ätiologie der Parodontitis ist eng mit der Manifestation einer proinflammatorisch wirkenden bakteriellen Dysbiose durch Überwachsen spezifischer, meist gramnegativer Keime in den die Zähne bedeckenden bakteriellen Biofilmen (Plaque/Zahnbeläge) verbunden [Hajishengallis, 2015].

Bleibt die Parodontitis unbehandelt, kommt es zu einem Verlust von zahntragendem Gewebe, einer apikalen Migration des Saumepithels und letztlich zu Zahnverlusten [Flemmig, 1999]. Parodontale Erkrankungen führen zu erheblichen Einschränkungen der Kaufunktion, der Phonetik sowie der Ästhetik von Betroffenen und damit zu einer relevanten Ausgrenzung und Beeinträchtigung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben [Brignardello-Petersen, 2017; Roumanas, 2009]. Zusätzlich hat die Parodontitis nicht nur lokale Auswirkungen auf die Integrität und Funktion des Zahnhalteapparats, sondern führt auch häufig zu einer signifikanten Zunahme der systemisch wirksamen Entzündungslast [Loos, 2005]. 

Zentrales Ziel jeder etablierten systematischen Parodontitistherapie ist es daher, die Menge der den Zähnen aufsitzenden Bakterien durch regelmäßige professionelle wie häusliche Reinigung zu reduzieren [Tonetti et al., 2015]. Zur Effektivitätssteigerung dieser mechanischen Therapie hat sich die adjuvante Gabe systemisch wirksamer Antibiotika etabliert. 

Obwohl die Evidenz aus der großen Mehrheit klinischer Interventionsstudien einen statistisch verifizierbaren Zusatznutzen der adjuvanten systemischen Gabe von Antibiotika im Rahmen der mechanischen, auf die Entfernung bakterieller Biofilme ausgerichteten Parodontitistherapie belegt, wird ihre klinische Relevanz kontrovers diskutiert. Aufgrund der mit einer Antibiotikagabe untrennbar verbundenen Gefahr der Entstehung mikrobieller Resistenzen und des Einflusses auf das gesamte Mikrobiom des menschlichen Organismus ist eine ex juvantibus erfolgende Antibiotikagabe kritisch zu hinterfragen. Das Vorliegen einer Parodontitis ist per se keine pauschale Indikation für eine adjuvante systemische Antibiotikatherapie.

Fragestellung

Das Ziel der Leitlinie „Adjuvante systemische Antibiotikagabe bei subgingivaler Instrumentierung im Rahmen der systematischen Parodontitistherapie“ ist es, eine Entscheidungshilfe zur adjuvanten Gabe systemisch wirksamer Antibiotika in der Parodontitistherapie zu geben. Dabei sollte einerseits die Frage beantwortet werden, ob eine durch Studien belegte Evidenz zum Nutzen der systemisch adjuvanten Gabe von Antibiotika nach mechanischer Biofilmentfernung verfügbar ist, und wenn ja, ob Informationen zur Indikationsstellung bezüglich Schwere der Erkrankungen, Auswahl des Antibiotikums und Komorbiditäten existieren.

Bei der Entwicklung dieser Leitlinie wurde das Regelwerk der AWMF verwendet. Die Leitlinie wurde mittels des Deutschen Leitlinien-Bewertungsinstruments (DELBI) auf ihre methodologische Qualität überprüft. Bei der systematischen Literatursuche wurde folgende fokussierte Fragestellung im PICO-Format [Guyatt et al., 2011] formuliert:

„Gibt es bei Patienten mit Parodontitis (P) bei der subgingivalen Instrumentierung im Zusammenhang mit der systematischen Parodontitistherapie mit adjuvanter systemischer Antibiotikatherapie (I) im Vergleich mit der Kontrollgruppe (C) Unterschiede in Bezug auf die Sondierungstiefen (TST [Taschensondierungstiefe], primäres Outcome) sowie sekundäre Outcomes (O) wie

  • Attachmentgewinn oder -verlust

  • BOP (bleeding on probing)

  • PISA (Periodontal Inflamed Surface Area) und subjektive Parameter (mundgesundheitsbezogene Lebensqualität, oral health related quality of life [OHRQoL])“

Empfehlungen und Statements 

  • Voraussetzung für eine systematische Parodontitistherapie ist die adäquate Anamneseerhebung sowie die eindeutige klinische und radiologische Befundung (unter anderem TST, Attachmentverlust und BOP) sowie Diagnosestellung. Da lebende Bakterien in intakten Biofilmen eine erhöhte Toleranz gegenüber antibiotischen Wirkstoffen zeigen, stellt die mechanische Zerstörung der Integrität und die Reduktion bakterieller Biofilme durch ein sub- und supragingivales Debridement eine essenzielle Voraussetzung für die Wirksamkeit adjuvanter systemischer Antibiotika dar. Eine vorhergehende mechanische Entfernung des bakteriellen Biofilms trägt daher erheblich zur Verbesserung der klinischen Wirksamkeit des verordneten Antibiotikums bei. Die Entfernung des Biofilms sollte primär durch ein geschlossenes Vorgehen minimalinvasiv direkt über einen Zugang durch die parodontale Tasche (ohne Lappenbildung) durchgeführt werden. Bei entsprechender Indikation soll die adjuvante Gabe eines systemisch wirksamen Antibiotikums nur in unmittelbarem Zusammenhang mit der mechanischen Entfernung supra- und insbesondere subgingival anhaftender bakterieller Biofilme erfolgen.

  • In Abhängigkeit vom Patientenalter und der Schwere der Krankheitsausprägung kann sich in bestimmten Erkrankungsfällen ein klinisch relevanter Vorteil zugunsten der adjuvanten Antibiotikatherapie ergeben. So können Patienten mit Parodontitis, die jünger sind als 56 Jahre und an mehr als 35 Prozent aller erfassten Mess-Stellen eine TST größer/gleich 5 mm aufweisen, im Rahmen der subgingivalen Instrumentierung eine adjuvante systemische Antibiotikagabe erhalten. Patienten mit Parodontitis und einem Lebensalter ab 56 Jahren und/oder einem geringeren Anteil parodontaler Läsionen (weniger als 35 Prozent aller erfassten Mess-Stellen mit TST größer/gleich 5 mm) sollten primär keine Antibiotikatherapie erhalten.

  • Bei Patienten mit Parodontitis, die 35 Jahre alt oder jünger sind, sollte zur Verbesserung des Therapieergebnisses im Zusammenhang mit der subgingivalen Instrumentierung die adjuvante Gabe eines Antibiotikums erfolgen, sofern eine Parodontitis mit Stadium III vorliegt (aktuelle Klassifikation von parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zuständen) [Papapanou et al., 2018].

  • Parodontitispatienten mit Diabetes, Raucher: Bei Patienten mit Diabetes zeigten die verfügbaren Daten eine statistisch signifikant ausgeprägtere Reduktion der TST unter dem Einfluss adjuvanter Antibiotikagabe, wohingegen bei Rauchern die Studienlage heterogen ist. Da bislang keine gesonderten Schwellenwertanalysen für Patienten mit Diabetes mellitus oder bei Patienten mit regelmäßigem Tabakkonsum verfügbar sind, gelten für diese Patienten die dargestellten Empfehlungen.

  • Bei der Frage, welches Antibiotikum im Zusammenhang mit der subgingivalen Instrumentierung verwendet werden sollte, empfiehlt die Leitlinie als erste Wahl die Kombination von Amoxicillin und Metronidazol. Unter Berücksichtigung der oben gestellten Indikationen sollte die Dosierung von Amoxicillin 500 mg und Metronidazol 400 mg jeweils 3/d für sieben Tage betragen. Bei Penicillin-Allergie und/oder Arzneimittelexanthem ist die alleinige Gabe von Metronidazol zu empfehlen. Zusätzlich sollen grundsätzlich die jeweils aktuellen Fachinformationen des Herstellers zu Dosierung und Einnahmeregelungen beachtet werden. Die Auswahl keimspezifischer Antibiotika auf Basis von mikrobiologischen Testergebnissen erscheint nicht sinnvoll.

Dr. med. dent. Yvonne Jockel-Schneider, M.Sc.

Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am Universitätsklinikum Würzburg
Pleicherwall 2, 97080 Würzburg
jockel_y@ukw.de

Dr. Sonja Sälzer

Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Arnold-Heller-Str. 3, 24105 Kiel

Univ.-Prof. Dr. med. dent. Benjamin Ehmke

Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung am Universitätsklinikum Münster
Waldeyerstr. 30, 48149 Münster

Prof. Dr. med. dent. Ulrich Schlagenhauf

Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am Universitätsklinikum Würzburg
Pleicherwall 2, 97080 Würzburg

PD Dr. med. dent. Bernadette Pretzl

Poliklinik für Zahnerhaltungskunde am Universitätsklinikum Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg

Die Leitlinie „Adjuvante systemische Antibiotikagabe bei subgingivaler Instrumentierung im Rahmen der systematischen Parodontitistherapie“ kann über die Websites der DG PARO (www.dgparo.de), der DGZMK (www.dgzmk.de) und der AWMF (www.awmf.org) im Volltext frei heruntergeladen werden.

Literatur

Brignardello-Petersen, R. (2017) Tooth loss, periodontal disease, and dental caries may be associated with decreased oral health-related quality of life, but there is no evidence about the magnitude of this association. J Am Dent Assoc. doi:10.1016/j.adaj.2017.06.049.

Flemmig, T. F. (1999) Periodontitis. Ann Periodontol 4, 32-38. doi:10.1902/annals.1999.4.1.32.

Guyatt, G. H., Oxman, A. D., Kunz, R., Atkins, D., Brozek, J., Vist, G., Alderson, P., Glasziou, P., Falck-Ytter, Y. & Schunemann, H. J. (2011) GRADE guidelines: 2. Framing the question and deciding on important outcomes. J Clin Epidemiol 64, 395-400. doi:10.1016/j.jclinepi.2010.09.012.

Hajishengallis, G. (2015) Periodontitis: from microbial immune subversion to systemic inflammation. Nat Rev Immunol 15, 30-44. doi:10.1038/nri3785.

Loos, B. G. (2005) Systemic markers of inflammation in periodontitis. J Periodontol 76, 2106-2115. doi:10.1902/jop.2005.76.11-S.2106.

Papapanou, P. N., Sanz, M., Buduneli, N., Dietrich, T., Feres, M., Fine, D. H., Flemmig, T. F., Garcia, R., Giannobile, W. V., Graziani, F., Greenwell, H., Herrera, D., Kao, R. T., Kebschull, M., Kinane, D. F., Kirkwood, K. L., Kocher, T., Kornman, K. S., Kumar, P. S., Loos, B. G., Machtei, E., Meng, H., Mombelli, A., Needleman, I., Offenbacher, S., Seymour, G. J., Teles, R. & Tonetti, M. S. (2018) Periodontitis: Consensus report of workgroup 2 of the 2017 World Workshop on the Classification of Periodontal and Peri-Implant Diseases and Conditions. J Periodontol 89 Suppl 1, S173-S182. doi:10.1002/JPER.17-0721.

Roumanas, E. D. (2009) The social solution-denture esthetics, phonetics, and function. J Prosthodont 18, 112-115. doi:10.1111/j.1532-849X.2009.00440.x.

Tonetti, M. S., Eickholz, P., Loos, B. G., Papapanou, P., van der Velden, U., Armitage, G., Bouchard, P., Deinzer, R., Dietrich, T., Hughes, F., Kocher, T., Lang, N. P., Lopez, R., Needleman, I., Newton, T., Nibali, L., Pretzl, B., Ramseier, C., Sanz-Sanchez, I., Schlagenhauf, U. & Suvan, J. E. (2015) Principles in prevention of periodontal diseases: Consensus report of group 1 of the 11th European Workshop on Periodontology on effective prevention of periodontal and peri-implant diseases. J Clin Periodontol 42 Suppl 16, S5-11. doi:10.1111/jcpe.12368.

Dr. Yvonne Jockel-Schneider

Universitätsklinikum Würzburg, Ableitung für Parodontologie
Pleicherwall,
97070 Würzburg

Dr. Sonja Sälzer

Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie
am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Arnold-Heller-Str. 3
24105 Kiel

Univ.-Prof. Dr. med. dent. Benjamin Ehmke

Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung am Universitätsklinikum Münster
Waldeyerstr. 30
48149 Münster

Prof. Dr. med. dent. Ulrich Schlagenhauf

Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am Universitätsklinikum Würzburg
Pleicherwall 2
97080 Würzburg

PD Dr. med. dent. Bernadette Pretzl

Poliklinik für Zahnerhaltungskunde am Universitätsklinikum Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 400
69120 Heidelberg

Dr. Sonja Sälzer

Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Sektion Parodontologie
Arnold-Heller-Str. 3, Haus 26,
24105 Kiel

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