Einleitung
Durch den dentalen Biofilm (dentale Plaque) verursachte parodontale Erkrankungen zeichnen sich durch entzündliche Veränderungen der Gingiva sowie des gesamten Zahnhalteapparats aus. In der ersten, reversiblen Phase kommt es durch den an den Zähnen und am Zahnfleischsaum anhaftenden mikrobiellen Biofilm zu einer Entzündung der Gingiva, die sich klinisch durch Rötung, Schwellung sowie eine erhöhte Blutungsneigung auszeichnet [Löe et al., 1965]. Die Gingivitis stellt eine chronische Entzündung dar, kann bei Nicht-Behandlung zu einer Parodontitis und daraus resultierend zu Zahnverlust führen [Chapple et al., 2015].
Nicht bei allen Patienten schreitet die Gingivitis zu einer Parodontitis fort, ihre Entwicklung ist anteilig durch genetische Prädisposition sowie signifikant von „Lifestyle“-Faktoren wie Rauchen, Typ-2-Diabetes, Ernährung und Stress bestimmt [Chapple et al., 2015], was als „unbalancierte“ Immunantwort zusammengefasst werden kann. Bei der Parodontitis handelt es sich um eine irreversible Entzündung des den Zahn umgebenden Zahnhalteapparats, bestehend aus Zement, parodontalem Ligament und Alveolarknochen, die im weiteren Verlauf zum Verlust des betroffenen Zahnes führen kann [Kinane & Attström, 2005].
Der dentale Biofilm gilt somit als die Grundvoraussetzung beider Erkrankungen und die gingivale Entzündung (Gingivitis) als der Hauptrisikofaktor für die Parodontitis [Chapple et al., 2015]. Eine mangelhafte Mundhygiene hat einen hohen Einfluss auf die Etablierung der Gingivitis wie auch der Parodontitis [Abdellatif & Burt, 1987] (Abbildung 1).
Abbildungen 2a und 2b: Antibakterielle Mundspüllösungen können als Adjuvans zum mechanischen Biofilmmanagement zur Ausheilung einer Gingivitis beitragen. | Thorsten Auschill
Sowohl die wissenschaftliche als auch die klinische Evidenz sprechen für die Notwendigkeit einer ausreichenden Mundhygiene zur Vermeidung von parodontalen Erkrankungen und Zahnhartsubstanzdefekten. Dennoch weisen entzündliche parodontale Erkrankungen eine hohe Prävalenz auf [Jordan & Micheelis, 2016]. In Deutschland liegt der Anteil der Menschen mit moderater und schwerer Parodontitis in der Altersgruppe der jüngeren Erwachsenen (35- bis 44-Jährige) bei circa 52 Prozent und in der Altersgruppe der Senioren (65- bis 74-Jährige) bei circa 65 Prozent. Die Autoren der DMS V resümieren, dass die Zahl der Parodontalerkrankten rückläufig ist (Vergleich DMS IV zu DMS V), in Zukunft aber aufgrund der demografischen Entwicklung und der Verlagerung chronischer Munderkrankungen in ein höheres Lebensalter mit einem steigenden Behandlungsbedarf zu rechnen ist [Jordan & Micheelis, 2016].
Zur Vermeidung und/oder zur Therapie beider Krankheitsbilder ist somit die Etablierung einer adäquaten Mundhygiene zwingend notwendig [Axelsson et al., 2004; van der Weijden & Slot, 2011]. Die wichtigste Prophylaxestrategie ist die regelmäßige und möglichst vollständige Entfernung des dentalen Biofilms. Somit ist eine erfolgreiche Behandlung parodontaler Erkrankungen unabhängig von der Immunlage nur im Zusammenhang mit einem weitgehend plaquefrei gehaltenen Gebiss möglich und setzt eine sehr gute Mundhygiene des Patienten voraus [Lindhe & Nyman, 1975].
Dem mechanischen Management des mikrobiellen Biofilms durch die Zahnbürste und interdentale Hilfsmittel kommt hierbei die Hauptrolle der Mundhygiene zu [Berchier et al., 2008; DG-PARO-Leitlinie „Häusliches mechanisches Biofilmmanagement in der Prävention parodontaler Erkrankungen“, 2018]. Allerdings kann aus den epidemiologischen Daten abgelesen werden, dass mit mechanischen Mundhygienemaßnahmen häufig nicht das Niveau erreicht wird, das notwendig ist, um die parodontalen Erkrankungen zu vermeiden und/oder zu therapieren [van der Weijden & Slot, 2011; Marsh, 1992; Arweiler et al., 2018; van der Weijden et al., 2015; Serrano et al., 2015].
Das vornehmliche Ziel des chemischen Biofilmmanagements ist die zusätzliche Anwendung antimikrobieller Wirkstoffe zur Hemmung oder Vorbeugung der dentalen Biofilmbildung – und damit die Prophylaxe oder Bekämpfung der Entzündung der Gingiva. Der Einsatz von chemischen Hilfsmitteln kann beispielsweise in Form von antibakteriellen Mundspüllösungen als Ergänzung zum mechanischen Biofilmmanagement oder auch in bestimmten Fällen als Ersatz für die Hemmung der Plaqueneubildung erfolgen. Definiert werden solche chemischen Plaquehemmer oder Anti-Plaque-Wirkstoffe als Agenzien zur lokalen Anwendung von Wirkstoffen mit dem Ziel der Plaquehemmung und damit der Prophylaxe von Karies und Gingivitis.
Die effektivsten Wirkstoffe zum chemischen Biofilmmanagement sind Wirkstoffe, deren Aktivität in erster Linie gegen die bakterielle Plaque, aber indirekt auch gegen gingivale Entzündungen und Zahnsteinbildung gerichtet ist [Heasman & Seymour, 1994]. Die Effektivität solcher Zusätze wird maßgeblich von dem antibakteriellen Potenzial und der Verweildauer des Wirkstoffs im Mund bestimmt [Goodson, 1989]. Im Rahmen der Applikation ist der direkte Kontakt des Wirkstoffs in Mundspüllösungen am Wirkungsort auf die kurze Zeit der Spülung im Mund beschränkt [Guggenheim, 1990]. Anschließend bewirkt der Speichelfluss einen schnellen Abtransport der Wirkstoffe. Eine hohe Substantivität, das heißt, eine verlängerte aktive Wirkung einer chemischen Substanz über die Spülzeit hinaus, verbessert die Effektivität eines Wirkstoffs in der Mundhöhle und stellt neben der direkten Abtötung der Mikroorganismen die wichtigste Einflussgröße für die unterschiedliche Wirksamkeit der einzelnen Wirkstoffe dar. Manche Wirkstoffe besitzen – zumeist durch ihre Ladung und gute Anlagerung an orale Strukturen – eine eigene Substantivität oder sie werden in ihrer Wirkung durch Zusatzstoffe oder Wirkstoffkombinationen erhöht.
Die Kombination aus klinischer Wirksamkeit und Substantivität in der Mundhöhle ergibt dann Agenzien beziehungsweise Produkte, die nicht nur in vitro einen Effekt haben, sondern dem Management von Plaque und Gingivitis dienen. Neben der Gingivitis-reduzierenden und Plaque-hemmenden Wirkung ist für den Verbraucher zusätzlich ein frischer, guter Geschmack der Mundspüllösung von Bedeutung. Aus medizinischer Sicht sollten nur solche Wirkstoffe angewandt werden, bei denen systemische Nebenwirkungen, Toxizität, Resistenzbildung und allergische Reaktionen ausgeschlossen sind.
Ziel der Leitlinie
Da der Gingivitis-Prävention und -Therapie damit sowohl für den Erhalt der parodontalen Gesundheit als auch des parodontalen Gewebes eine primäre und entscheidende Aufgabe zukommt [Addy & Moran, 1997], ist das Ziel der Leitlinie, den Anwendern eine Entscheidungshilfe zur Prävention und Therapie gingivaler Erkrankungen mittels Mundspüllösungen zu geben. Hierfür wurde die klinische Wirksamkeit der zusätzlichen Anwendung von Mundspüllösungen (chemische Biofilmkontrolle) im Vergleich zur reinen mechanischen Plaquekontrolle oder mechanischer Plaquekontrolle mit zusätzlicher Anwendung einer Placebo- oder Kontroll-Mundspüllösung bewertet.
Methodik
Diese Leitlinie entspricht den Richtlinien von PRISMA [2014] zur Erstellung systematischer Übersichtsarbeiten. Es wurde untersucht, welchen Effekt bei Patienten mit und ohne Gingivitis das chemische Biofilmmanagement durch eine Mundspüllösung in Kombination mit mechanischer Mundhygiene im Vergleich zur reinen mechanischen Mundhygiene oder zur Reinigung in Kombination mit einer Placebo-/Kontrollspüllösung während eines Beobachtungszeitraums von mindestens sechs Monaten in Bezug auf gingivale Parameter und Plaque-Parameter hat (PICO-Frage).
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