Brexit

Jeder dritte zugewanderte Zahnarzt will weg

Die britische Zahnärztekammer (General Dental Council, GDC) hat eine Umfrage unter ihren ausländischen Mitgliedern durchgeführt, um die Folgen des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU auf die Zahnmedizin abzuschätzen. Ergebnis: Ein Drittel der zugewanderten Zahnärzte will die Insel verlassen. Das liegt vor allem an der unsicheren Rechtslage.

Mehr als die Hälfte der befragten Zahnärzte (55 Prozent) war ursprünglich zum Arbeiten nach Großbritannien gekommen: Auf der Insel verdienten sie ihren Angaben nach deutlich mehr als im restlichen Europa, zudem war es aufgrund von Zahnärztemangel und vieler unbesetzter Stellen relativ einfach, einen Job zu finden (drei Viertel von ihnen fanden innerhalb von drei Monaten eine Stelle).

Die GDC-Umfrage

Die Online-Umfrage wurde an alle 6.300 in der EU ausgebildeten Zahnärzte im GDC-Register ausgegeben, 2.464 nahmen teil, das entspricht einer Rücklaufquote von 39 Prozent. Auf Grundlage der Ergebnisse wurde außerdem ein Leitfaden für zehn vertiefende Interviews entwickelt.

In Großbritannien arbeiten insgesamt rund 35.000 Zahnärzte, davon 9.000 angestellt (Office for National Statistics, Juni 2018).

Mit dem Referendum hat sich die Situation allerdings grundlegend geändert: Der (drohende) Brexit habe vielen eingewanderten Zahnärzten jegliche Sicherheit genommen, resümiert die britische Kammer in der Auswertung ihrer kürzlich veröffentlichten Umfrage. Heute spielt deshalb fast ein Drittel der EU-ausländischen Zahnärzte (32 Prozent) mit dem Gedanken, in den nächsten Jahren auszureisen – mehr als die Hälfte davon in den nächsten zwei Jahren.

Auch das Personal verlässt in Scharen die Insel

Acht von zehn sagen, dass der Brexit und die unklaren Regelungen für EU-Bürger, die im Vereinigten Königreich leben und arbeiten, ein wesent‧licher Grund für diese Entscheidung sind. Ein Viertel (27 Prozent) nennt persönliche beziehungsweise fami‧liäre Motive, ein weiteres knappes Viertel die Arbeitsbedingungen in der Branche oder den schlechten Zustand der Zahnmedizin im Vereinigten Königreich.

Vier von zehn Befragten gehen davon aus, dass sich der Brexit negativ auf ihren Arbeits‧platz auswirkt, etwas mehr als die Hälfte rechnet mit schädlichen Konsequenzen für die Zahnmedizin und sechs von zehn für das Gesundheitswesen im Allgemeinen. Fast ein Viertel ist sich sicher, dass auch das Personal kündigt und geht. Drei Viertel befürchten deshalb, dass der Brexit die bereits bestehenden Probleme bei der Rekrutierung von Zahnärzten verschärft, und acht von zehn sind der Ansicht, dass die Suche nach medizinischem Personal aufgrund nationaler Engpässe ebenfalls schwieriger wird.

Ein daraus resultierender Mangel an NHS-Zahnärzten, heißt es, werde auch dazu führen, dass immer mehr Patienten Probleme haben, einen Zugang zu Zahnbehandlungen im NHS zu bekommen und lange Wartelisten für Termine in Kauf nehmen müssen.

Der Stress steigt, die Löhne sinken

In den Interviews erzählen einige Zahnärzte überdies, warum sie der Job mehr und mehr stresst, insbesondere die Arbeit im NHS: Weil ihre Chefs von ihnen sehr oft verlangen, über Gebühr Patienten an einem Tag einzubestellen. Oder weil sie Angst davor haben, dass Patientenbeschwerden zu GDC-Klagen oder Rechtsstreitigkeiten führen könnten. Ihr Fazit: Weg hier – woanders lebt es sich (vielleicht) besser!

Der Einbruch des Pfunds ist ein weiterer Faktor, warum der Zahnarztberuf in Großbritannien vielen Befragten nicht mehr so attraktiv erscheint wie früher: Die Löhne bewegen sich zunehmend auf dem Level der anderen europäischen Länder und der damit stärker durchschlagende Anstieg bei den Material- und Produktkosten lässt manchen Inhaber befürchten, seine Praxis nicht mehr lange weiter betreiben zu können.

Ob sie gehen oder bleiben, hängt für die Zahnärze aber hauptsächlich davon ab, ob sie im Arbeits- und Privatleben weiterhin die gleichen Rechte haben wie bisher und ob ihre Qualifikationen nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU anerkannt werden. Fest steht: Zusicherungen der Regierung bezüglich Staatsbürgerschaft und der Rechte auf Leben und Arbeit würde etliche Zahnärzte davon abhalten, das Vereinigte Königreich zu verlassen.

Goodbye Great Britain, hola España!

Gefragt, welches Land sie nach der Ausreise aus Großbritainnien favorisieren, nannten die EU-Zahnärzte Spanien (13 Prozent), Polen (10 Prozent), Griechenland (9 Prozent), Schweden (8 Prozent) und Portugal (7 Prozent).

Die Umfrage offenbart aber auch, dass sich viele Zahnärzte aufgrund des Referendums im Vereinigten Königreich nicht mehr so willkommen, ja, von der Regierung und der Öffentlichkeit regelrecht verraten fühlen. Denn nach eigener Aussage hat es sie einst auf die Insel gezogen, um den Zahnärztemangel zu beheben, eine Dienstleistung für die britischen Bürger zu erbringen, Steuern zu zahlen und etwas zur britischen Wirtschaft beizutragen.

Klar ist: Junge Zahnärzte, die erst nach dem Referendum ins Vereinigte Königreich gekommen sind und sich noch (relativ) am Anfang ihrer Karriere befinden, sind schneller weg. Interessanterweise kommt es jedoch für Befragte, die im United Kingdom drei bis 20 Jahre gelebt und gearbeitet haben, eher infrage, in den nächsten Jahren zu gehen (ungefähr ein Drittel), als für diejenigen, die seit zwei Jahren und weniger (27 Prozent) oder aber seit mehr als 21 Jahren (18 Prozent) im Land leben.

Für manche Zahnärzte, die sich am Ende ihrer Karriere befinden, ist es dagegen schwer vorstellbar, woanders hinzugehen, weil sie beruflich und privat so eng mit der Insel verbunden sind: Wer kurz vor dem Ruhestand steht, tut sich schwer, sich neu etwas aufzubauen.

Die Staatsbürgerschaft wäre eine Lösung

Nur wenige Zahnärzte glauben übrigens, dass die britische Zahnärztekammer ihnen mehr Sicherheit und Unterstützung geben könnte. Im Gegenteil: Viele ausländische Zahnärzte sehen inzwischen davon ab, ins Vereinigte Königreich zu ziehen - sie lesen schließlich fast täglich in den Medien, was sie dort (voraussichtlich) erwartet.

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