Fortbildung „Ernährung und Mundgesundheit“

Zucker – der neue Tabak? Maßnahmen zur Begrenzung des hohen Zuckerkonsums

Falk Schwendicke
Immer wieder wird in der Gesundheitspolitik heiß diskutiert, ob und in welcher Form Zwangsmaßnahmen zur Gesundheitsförderung eingesetzt werden sollen. Ein Beispiel ist die sogenannte „Zuckersteuer“. Der Beitrag gibt einen Überblick über die gesundheitlichen Auswirkungen des gestiegenen Zuckerkonsums, zeigt auf, wie Zahnmediziner hier Einfluss nehmen können, und beschreibt, welche Chancen die möglichen Maßnahmen zur Reduktion des Zuckerkonsums bieten.

„Seuche“, „Epidemie“, „der neue Tabak“ – Zucker steht in der Kritik. Dabei sind es vor allem die freien und zugesetzten Zucker, aber auch intrinsische und Milchzucker, die zu unserem Zuckerkonsum beitragen (Abbildung 1). Insgesamt nimmt jeder Europäer im Durchschnitt mehr als 20 Prozent seines Tagesenergiebedarfs mit Zucker, also Mono- oder Disacchariden, zu sich [Azaïs-Braesco et al., 2017]. Weltweit werden pro Jahr 24 kg Zucker pro Kopf konsumiert, wobei sich der Verbrauch in Afrika und Asien auf jeweils circa 17 kg, in Amerika und Europa dagegen auf 44 und 37 kg beläuft [Moynihan et al., 2018] – fast ein Zementsack voller Zucker pro Kopf und Jahr. Die WHO empfiehlt hingegen, nur zehn Prozent des Tagesbedarfs an Energie mit Zuckern zu decken, idealerweise sollte dies sogar auf fünf Prozent begrenzt werden [Moynihan et al., 2018; [Moynihan et al., 2014].

Ein Treiber dieses hohen Zuckerkonsums: Zucker ist günstig; er dient als Süßstoff, der zudem konserviert. Nachweislich ist der Preis für Zucker und zuckersüße Lebensmittel, vor allem für mit Zucker gesüßte Getränke (sugar-sweetened beverages, SSBs) seit Jahren weniger stark als die Inflation gestiegen; Zucker wird künstlich durch die Hersteller verbilligt [Pomeranz, 2012]. Dies erklärt auch teilweise, warum der Zuckerkonsum zudem sozial schief verteilt ist. Junge Menschen aus bildungsfernen Schichten beziehungsweise mit niedrigem Einkommen sind übermäßige Zuckerkonsumenten. Männer konsumieren mehr Zucker als Frauen. Diese Gradienten kommen vor allem bei SSBs zum Tragen [Max Rubner-Institut, 2008].

Gerade die SSBs stehen neuerdings im Fokus, unter anderem weil sie ein rapide wachsendes, globales Problem sind. In den USA, dem Land der „Soft Drinks“ (Cola-Fanta-Sprite), haben SSBs 1965 nur 2,5 Prozent der Tagesenergiemenge gedeckt; 2000 waren es fast zehn Prozent – genauso viel, wie die gesamte, durch Zucker realisierte Energiemenge laut WHO maximal sein sollte! SSBs werden zudem bereits in jungem Alter konsumiert; über 20 Prozent der Kleinkinder in den USA konsumieren SSBs [Welsh et al., 2013].

SSBs tragen bei Jugendlichen in Europa mehr Energie ein als alle anderen Getränke zusammen; teilweise decken sie 15 Prozent oder mehr der erforderlichen Tagesgesamtenergiemenge [Avery et al., 2015] – und das, obwohl SSBs keine sinnvolle Nahrungsquelle sind – sie stellen außer Energie keine relevanten Nahrungsbestandteile zur Verfügung [Avery et al., 2015]. Auch hier spielen der niedrige Preis, aber auch die teils aggressive Vermarktung eine Rolle. 2010 hat die Zuckerindustrie fast eine Milliarde Euro für das Marketing von SSBs ausgegeben, 50 Prozent davon zielten auf Kinder oder Jugendliche ab [Pomeranz, 2012].

Die gesundheitlichen Auswirkungen eines chronisch hohen Konsums von Mono- oder Disacchariden sind mittlerweile durch zahlreiche  belegt. So erhöht ein hoher Zuckerkonsum das Risiko, an Diabetes mellitus Typ II, Bluthochdruck, Übergewicht und Fettleibigkeit oder Schlaganfall zu erkranken. Hierbei werden Mechanismen der Hyperkalorie (Überversorgung mit Energie), Dyslipidämie (Fehlsteuerung des Fettstoffwechsels) und der Hyperinflammation (chronische Hochregulation entzündlicher Prozesse) involviert.

Auswirkungen eines hohen Zuckerkonsums

Auch für Karies stellen Zucker bekanntermaßen einen relevanten, wenn nicht sogar den wichtigsten Risikofaktor dar. Eine große, im Auftrag der WHO erstellte Übersichtsarbeit schloss insgesamt 55 Studien, die sich dem Zusammenhang zwischen Karies und Zuckerkonsum widmeten, ein. Dabei wurden drei Interventionsstudien, acht Kohortenstudien und 44 Querschnitts- oder Bevölkerungsstudien berücksichtigt; die Mehrzahl untersuchte Kinder [Moynihan et al., 2014]. Die eingeschlossenen Studien konnten eine klare – wenn auch unterschiedlich ausgeprägte – Dosisabhängigkeit zeigen: Mit steigender Menge des täglich zugeführten Zuckers steigt auch der jährliche Karieszuwachs.

Aufschlussreich sind auch Studien aus Japan, die die Karieszuwächse während der zuckerarmen Kriegsjahre und danach beobachteten. Insgesamt scheint es einen sogenannten sigmoidalen (S-förmigen) Zusammenhang zu geben: Unter einer jährlichen Zuckerzufuhrmenge von 15 kg pro Kopf wird ein nur geringer Karieszuwachs verzeichnet; zwischen 15 und 35 kg Zuckerzufuhr pro Jahr und Kopf kommt es mit jedem zusätzlichem Kilogramm Zuckerkonsum zu einem erhöhten Karieszuwachs, der dann abflacht und ab circa 40 kg Zuckerkonsum pro Jahr und Kopf relativ stabil bleibt [Moynihan et al., 2014; van Loveren, 2019; Bernabe et al., 2016].

Ein ähnlicher Zusammenhang wurde ebenfalls zwischen Karies und SSBs beobachtet, auch hier gibt es eine klare Dosisabhängigkeit [Bernabe et al., 2014]. Die beobachteten Zusammenhänge sind außerdem kein Phänomen, das nur an Kindern beobachtet wird, sondern bleiben über längere Lebensperioden ins Erwachsenenalter hinein stabil [Peres et al., 2016]. Da Karies zunehmend nicht mehr als eine Erkrankung von Kindern, sondern genauso von Erwachsenen und Senioren gesehen wird, gelten hier ähnliche Assoziationen [Broadbent et al., 2013].

Die Zuckermenge ist demnach ein entscheidender Faktor für die Kariesentstehung und das Kariesrisiko. Ausgehend von den Ergebnissen der Vipeholm-Studie wurde lange Zeit auch und vor allem außerdem die Frequenz der Zuckerzufuhr thematisiert [Gustafsson et al., 1954]. Neuere Daten nähren jedoch Zweifel an der Bedeutsamkeit der Frequenz der Zuckerzufuhr [Moynihan et al., 2014]. Da jedoch beides, Frequenz und aufgenommene Menge, oftmals miteinander korrelieren, ist ein Zusammenhang beider Variablen mit dem Karieszuwachs wahrscheinlich. Fluoride, zum Beispiel als Inhaltsstoffe von Zahnpasten, können den beobachteten Zusammenhang zwischen Zuckerzufuhr und Karieszuwachs dramatisch abschwächen, aber nicht aufheben [Moynihan et al., 2018; Moynihan et al., 2014; Bernabe et al., 2016].

Der zugrundeliegende pathogenetische Zusammenhang zwischen Zucker und Karies ist allgemein bekannt. Aber auch für die Parodontitis wird eine hohe Zuckerzufuhr mittlerweile als Risikofaktor angesehen. So führt Glykämie zu oxidativem Stress und zu einer Akkumulation von sogenannten advanced glycation end products (AGEs), die die oben beschriebene Hyperinflammation bedingen. Eine sinnvolle Begrenzung der Zuckerzufuhr ist also allgemeinmedizinisch, kariologisch und parodontologisch geboten [Chapple et al., 2017].

Maßnahmen zur Begrenzung der Zuckerzufuhr

Eine solche Begrenzung kann durch zahlreiche Maßnahmen – allerdings mit unterschiedlichem Erfolg – erreicht werden. Diese werden in Tabelle 1 zusammengefasst.

Zahnarzt-bezogene Interventionen

Um in der zahnmedizinischen Praxis (individualprophylaktische) Maßnahmen zur Begrenzung der Zuckerzufuhr erreichen zu können, sollte zunächst die zahnmedizinische Ausbildung in diesem Bereich angepackt werden: Zahnärzte, aber auch das zahnärztliche Assistenzpersonal sollten in der Lage sein, Grundregeln der Ernährungslehre sowie aktuelle Ernährungsleitlinien zu vermitteln, den Zusammenhang zwischen Zuckerzufuhr und allgemeinen und zahnmedizinischen Erkrankungen zu erklären [Moynihan et al., 2018], Ernährungsempfehlungen für spezielle Risikogruppen (kleine Kinder, Senioren) abzugeben und schließlich Verhaltensänderungen zu erwirken [Moynihan et al., 2018].

Gerade der letzte Punkt ist nicht einfach – wir alle wissen spätestens Mitte Januar, wie schwierig es ist, die an Silvester vorgenommenen Verhaltensänderungen umzusetzen! Gerade die geringe Wirksamkeit individualprophylaktischer Maßnahmen zur Verhaltensänderungen [Harris et al., 2012] sollte aber Ansporn sein, in diesem wichtigen Bereich aufzuholen! Wenn Zahnmediziner und ihr Team zukünftig „Gesundheitsmanager“ sein sollen beziehungsweise wollen, wird dieser Bereich zunehmend wichtig werden!

Eine wirksame Maßnahme zur Verhaltensänderung sollte möglichst theoretisch (psychologisch) fundiert sein; dabei sollte der Transport von „Informationen“ (Aufklärung) nur ein (kleinerer) Baustein sein. Oft sind die Gesundheitsrisiken schädigenden Verhaltens ja bekannt und werden trotzdem ignoriert. Natürlich kann gerade bei der Frage, wo denn überhaupt Zucker enthalten ist, noch Aufklärung geleistet werden; die Zuckerzufuhr wird ja nicht überwiegend als Haushaltszucker, sondern versteckt als Milchzucker, Malzextrakt, Glukosesirup oder Fruchtzucker realisiert.

Wichtiger scheint jedoch – gerade wenn Verhalten langfristig geändert werden soll – das Verstehen dieses Verhaltens und seiner zugrundeliegenden Treiber im Alltag. Dies erlaubt, ganz gezielt, diesen Alltag zu restrukturieren beziehungsweise motivierende Faktoren anzusprechen. Maßnahmen der Selbstüberwachung (hierzu werden zunehmend Apps untersucht und empfohlen) oder das Aufzeigen weniger schädlicher Alternativen können hier sinnvoll sein [Vezina-Im et al., 2017]. Zudem sollte betont werden, dass Zucker sowohl für zahnmedizinische als auch für allgemeinmedizinische Erkrankungen ein wichtiger Risikofaktor ist (gemeinsamer Risikofaktorenansatz) [Sheiham und Watt, 2000].

Alternativen zu herkömmlichen Zuckern (Saccharose, Glukose, Laktose, Fruktose) sind Zuckeraustausch- und Zuckerersatzstoffe. Zu den Zuckeraustauschstoffen gehören Sorbit, Mannit, Xylit und Maltit, also Zuckeralkohole (Polyole). Diese sind kalorisch wirksam, haben jedoch weniger Energie als herkömmliche Zucker. Sie sind allerdings teilweise auch weniger süß; Sorbit süßt nur etwa halb so stark wie Saccharose. Xylit erreicht hingegen die Süßkraft von Saccharose. Bei einer hohen Zufuhr führen Zuckeralkohole zu Nebenwirkungen wie Durchfällen. Das am besten untersuchte Zuckeralkohol ist Xylit; es ist nicht kariogen und reduziert die Streptococcus-mutans-Speichelkonzentration [Burt, 2006].

Zuckerersatzstoffe sind kalorienarme oder -freie Süßstoffe, die deutlich stärker süßen als Saccharose. Verbreitet sind Aspartam, Zyklamat und Saccharin. Saccharin hat beispielsweise die 300- bis 500-fache Süßkraft von Saccharose. Die Bedenken, Zuckerersatzstoffe seien karzinogen, führten zu Verboten dieser Stoffe in einigen Ländern; die Bedenken konnten bisher nicht wissenschaftlich eindeutig belegt werden [Weihrauch und Diehl, 2004]. Ein recht „junger“ Zuckerersatzstoff wird aus dem Extrakt der Steviapflanze gewonnen.

Zahnarztbezogene Interventionen zur Reduktion der Zuckerzufuhr stehen demnach zwar zur Verfügung, sind jedoch nur begrenzt wirksam [Harris et al., 2012]. Der Einsatz von Zuckeraustauschstoffen wie Xylit könnte sinnvoll sein [Riley et al., 2015]. Das entscheidende Argument, warum diese Maßnahmen allein jedoch unzureichend sind, liegt im zahnärztlichen Inanspruchnahmeverhalten begründet: Hochrisikoindividuen gehen nur unregelmäßig zum Zahnarzt. Gerade die, die erreicht werden müssten, stehen für individualprophylaktische Maßnahmen im Zahnarztstuhl seltener zur Verfügung [Reda et al., 2018; Reda et al., 2018b].

Lokale Umweltbedingungen optimierenAus diesen Überlegungen heraus werden seit Längerem andere, auf ganze Bevölkerungsgruppen (Schulen oder Schulklassen, Betriebe) statt auf einzelne Individuen abzielende Maßnahmen diskutiert. Schulbasierte Programme, bei denen vor allem die Aufklärung der Kinder im Vordergrund steht, wurden durch mehrere Studien untersucht. Diese sind initial relativ wirksam zur Reduktion der Zuckerzufuhr, langfristig jedoch weniger. Zudem kommt es zu Ausweicheffekten: Statt SSBs werden beispielsweise vermehrt Fruchtsäfte, die auch kalorisch und kariogen sind, konsumiert [Avery et al., 2015]. Die Zurverfügungstellung kostenlosen Trinkwassers (in Flaschen oder aus Brunnen) kann wirksam sein, um einerseits generell den Wasserkonsum zu erhöhen und andererseits den Konsum von SSBs zu reduzieren.

Solche Programme sind jedoch teils relativ kostenintensiv [Avery et al., 2015]. Deutlich günstiger, aber ebenfalls wirksam ist die Steuerung des Nahrungsangebots in Schulen (oder Betrieben); die Umstellung der an Getränkeautomaten angebotenen Getränke ist teilweise nahezu kostenfrei und ebenso wirksam; gleiches gilt für Speiseautomaten [Avery et al., 2015]. Diese Maßnahmen können nachweislich eine Gewichtsabnahme und eine Reduktion des Körperfettanteils bewirken. Auch hier ist aber gerade wieder bei der Hochrisikogruppe ein Ausweichverhalten wahrscheinlich – Getränke werden dann extern gekauft oder von zu Hause mitgebracht [Avery et al., 2015].

Die kostenlose Anlieferung gesunder Getränke nach Hause wurde ebenfalls bereits getestet. Diese reduziert so lange, wie die Getränke in der Tat angeliefert werden, massiv den Konsum von SSBs. Sie führt auch zu einer Gewichtsabnahme. Erneut ist aber eine Langfristwirkung nur schwer zu erreichen; vor allem, wenn die Lieferung eingestellt wird, ist ein „Rückfall“ in alte Verhaltensmuster wahrscheinlich [Avery et al., 2015].

Insgesamt scheinen Maßnahmen zur Optimierung der Umweltbedingungen („ein gesundes Verhalten ermöglichen“) wirksam zu sein. Sie leiden aber auch unter einer begrenzten Nachhaltigkeit [Vezina-Im et al., 2017].

Gesetzgebung und Regulation

Um die teils enormen Kosten solcher lokalen Maßnahmen sowie Rückfalleffekte zu vermeiden, sind seit einigen Jahren vermehrt gesetzgeberische beziehungsweise im weiteren Sinne „regulatorische“ Maßnahmen in der Diskussion. Ein drastisches Beispiel in dieser Kategorie sind Verbote bestimmter Getränke (Red Bull, Alcopops) [Pomeranz, 2012]. Auch die sogenannte Reformulierung, also die schrittweise Neu-Zusammensetzung von Nahrungsmitteln durch die Hersteller mit dem Ziel, gesündere Produkte anzubieten, fällt in diese Kategorie. Oftmals betreiben Hersteller diese Reformulierung bereits vor einer gesetzgeberischen Intervention, um dieser auszuweichen, oder beugen sich öffentlichem Druck.

Auch die Begrenzung von Packungsgrößen kann eine sinnvolle Maßnahme zur Ernährungssteuerung sein: Seit den 70er-Jahren sind die Verpackungsgrößen von SSBs zum Beispiel um mehr als 50 Prozent gestiegen. In den USA haben erste Bundesstaaten jetzt Maximalpackungsgrößen vorgeschrieben, was automatisch auch den Konsum senkt [Pomeranz, 2012; Welsh et al., 2013].

Ein neuerlich heiß diskutiertes Thema ist die sogenannte „Zuckersteuer“ beziehungsweise eine Steuer auf mit Zucker gesüßte Getränke („SSB-Tax“). Steuern im Bereich der Lebens- und Genussmittel sind nichts Ungewöhnliches – Alkohol und Tabak werden seit Jahrzehnten besteuert. Initial zielten diese Steuern jedoch vor allem auf die Aufbesserung der Staatskasse ab; die eigentliche „Steuerungswirkung“ steht erst in jüngerer Zeit im Vordergrund.

Diese bedient sich eines Prinzips der Ökonomie; der sogenannten Elastizität [Colchero et al., 2015]. Sie beschreibt, wie sich Konsumverhalten bei Preisänderungen ändert. Bei wenig elastischen Produkten (oftmals jene, die man unbedingt braucht oder unbedingt will – von Grundnahrungsmitteln über Wohnen bis hin zum teuren Smartphone) ändert eine Preisänderung nur wenig am Konsumverhalten. Bei stark elastischen Produkten hingegen schwankt der Konsum in Abhängigkeit vom Preis: Eine Preissteigerung von 10 Prozent führt bei einem elastischen Produkt zu einer Konsumreduktion von 10 Prozent. Oftmals sind solche Reduktionen dann jedoch mit einem Mehrkonsum anderer Produkte assoziiert, solch ein Ausweichkonsum wird auch ökonometrisch erfasst (Kreuzelastizität). Ein typisches kreuzelastisches Nahrungsmittel zu SSBs wären die beschriebenen Fruchtsäfte [Colchero et al., 2015]. Kreuzelastische Effekte sollten vor der Einführung einer Steuer bedacht werden.

Süße Nahrungsmittel sind teilelastisch – es findet keine 1:1-Konsumänderung als Reaktion auf eine Preisänderung statt, jedoch sind sehr wohl Konsumentenreaktionen zu verzeichnen. Preisänderungen können durch Zölle, direkte Besteuerung im Fertigungsprozess oder als Umsatzsteuer erreicht werden. Ein wichtiger Aspekt bei solchen Preisänderungen: Sie sind „regressiv“; Konsumenten mit geringem Einkommen reagieren empfindlicher auf Preisänderungen als jene mit hohem Einkommen [Eyles et al., 2012; Finkelstein et al., 2013]. Die Preissteigerungen treffen demnach die sozial Schwachen, was auf den ersten Blick unfair wirkt.

Allerdings sind ja genau diese Gruppen auch diejenigen mit dem ungünstigen Verhaltensprofil (sie konsumieren viel Zucker, stehen aber für individualprophylaktische Maßnahmen nur selten zur Verfügung) und sollen durch eine solche Maßnahme besonders angesprochen werden. Der unfaire Charakter der Preissteigerung führt dazu, dass sie schlussendlich weniger Zucker konsumieren und ihr Konsumverhalten überproportional gesünder wird. Eine Zuckersteuer kann vor allem eine sozial sinnvolle Maßnahme sein, wenn die Einnahmen gleichzeitig dazu genutzt werden, gesunde Lebensmittel günstiger zu machen – beispielsweise durch Steuersenkungen [Colchero et al., 2015; Eyles et al., 2012; Finkelstein et al., 2013; Andreyeva et al., 2010].

Seit 2010 wurden in zahlreichen Ländern Steuern auf Lebensmittel erhoben, um ungesundes Konsumverhalten zu kontrollieren. Finnland, Mexiko, Frankreich, das Vereinigte Königreich und Ungarn haben Zuckersteuern eingeführt; Portugal und Ungarn zudem eine Salzsteuer. Dänemark hatte eine „Fettsteuer“ eingeführt, diese aber mittlerweile wieder abgeschafft. Bei solchen Steuern unterscheidet man Mengensteuern, die die Menge des Produkts besteuern, von Ad-valorem-(oder Wert-)Steuern, die auf den Produktpreis anfallen. Letztere treffen vor allem teure Produkte; Ausweicheffekte auf Billigprodukte und große (billigere) Mengen sind dabei nahezu unausweichlich [Wright et al., 2017].

Die Wirksamkeit einer Zuckersteuer wurde durch eine Reihe von Studien untersucht (Tabelle 2). Gerade die sogenannten Modellierungen zeigten positive Effekte. Diese Studien messen jedoch keine wirklichen Effekte, sondern arbeiten unter bestimmten Annahmen. Dabei gehen Modellierungen beispielsweise nach folgendem Schema vor: Die Elastizität für SSBs ist x%, eine Preissteigerung von x% reduziert den SSB-Konsum demnach um xl/Tag und führt damit zu einer Reduktion der Zuckerzufuhr um ?g/Tag; gleichzeitig findet eine Kreuzelastizität zu Fruchtsäften mit x% statt, wodurch die Zuckerzufuhr um xg/Tag gesteigert wird; die Nettoreduktion der Zuckerzufuhr wird zu x Tausend weniger Fällen von Übergewicht in Deutschland führen.

Für die Auswirkungen einer Zuckersteuer auf Karieserfahrung und Übergewichtsprävalenz in Deutschland gibt es solche Modellierungen; diese zeigen moderate Gesundheitseffekte und bescheinigen einer solchen Steuer auch sinnvolle soziale Ausgleichseffekte. Danach gehen Karies und Übergewicht vor allem in sozial schwachen Schichten zurück; jüngere Männer aus bildungsfernen Schichten profitieren von einer solchen Steuer überproportional [Schwendicke und Stolpe, 2017; Schwendicke et al., 2016]. Die Effekte, die dann in der Realität gemessen werden, sind allerdings oftmals kleiner.

Ein wichtiger Aspekt scheint die Höhe der Steuer zu sein. Aus politischen Opportunitäten heraus werden diese Steuern oft niedriger angesetzt als in den Modellierungen angenommen. Um deutlich messbare Effekte zu generieren, sind jedoch oftmals Preissteigerungen von circa 15–20 Prozent notwendig [Vezina-Im et al., 2017]. Die öffentliche Unterstützung für jegliche Steuern diese Art ist allerdings – unabhängig von deren Höhe und Wirksamkeit – gering [Wright et al., 2017]. Experimentelle Studien existieren keine, allerdings sind diese auch kaum umsetzbar.

Schlussfolgerungen

Die empfohlene maximale Tagesenergiemenge, die mit Zucker, also Mono- und Disacchariden, gedeckt werden sollte, liegt bei fünf bis zehn Prozent. Die Realität liegt teilweise bei einem Vielfachen. Der Zuckerkonsum ist dabei überwiegend bei jüngeren Menschen aus bildungsfernen und einkommensschwachen Schichten besonders hoch; hier werden vor allem mit Zucker gesüßte Getränke (SSBs) übermäßig konsumiert. Ein hoher Zuckerkonsum ist nachweislich Risikofaktor für zahlreiche allgemein- und zahnmedizinische Erkrankungen. Maßnahmen zur Begrenzung des Zuckerkonsums können auf verschiedenen Ebenen wirken:

  • In der Zahnarztpraxis im Rahmen individualprophylaktischer Beratungen: Hier sind neben Informationsvermittlung (Aufklärung) weitere Interventionen, die eine nachhaltige Verhaltensänderung bewirken, gefragt. Insgesamt ist die Wirksamkeit solcher 1:1-Beratungen begrenzt; zudem werden nur jene erreicht, die zahnärztliche Leistungen in Anspruch nehmen. Gerade die Risikokonsumenten mit übermäßiger Zuckerzufuhr werden seltener erreicht.

  • Lokale Umweltfaktoren können optimiert werden, um einen gesünderen Alltag zu ermöglichen: Diese Maßnahmen erreichen breitere Bevölkerungsschichten, sind aber relativ teuer. Die Studienlage hierzu ist ebenfalls begrenzt; initial liegt wahrscheinlich eine relativ hohe Wirksamkeit vor, die jedoch langfristig nachlässt (begrenzte Nachhaltigkeit).

  • Gesetzgeberische und regulatorische Maßnahmen werden zunehmend diskutiert und auch eingesetzt: Verbote, der Zwang zur Produktreformulierung, eine Packungsgrößenbegrenzung oder Besteuerung fallen in diese Kategorie. Gerade eine „Zuckersteuer“ (unter anderem eine Steuer auf zuckergesüßte Getränke) scheint geeignet, bei den Hochrisikogruppen, also den jungen Menschen aus bildungsfernen und einkommensschwachen Schichten, eine Verhaltensänderung zu bewirken. Die generierten Steuereinnahmen sollten idealerweise eingesetzt werden, um gesündere Lebensmittel günstiger zu machen oder gesundes Verhalten zu unterstützen. Eine wirksame Begrenzung des Zuckerkonsums ist dringend geboten, um die meisten „Volkskrankheiten“ (Diabetes, Übergewicht, Karies, Parodontitis) nachhaltig zu bekämpfen.

PD Dr. Falk Schwendicke, MDPH

Stellvertretender Abteilungsleiter / Oberarzt
Abteilung für Zahnerhaltung und Präventivzahnmedizin,
Charité Centrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin
falk.schwendicke@charite.de

PD Dr. Falk Schwendicke, MDPH

  • 2009: Promotion, Thema: Peptidische Inhibitoren einer Filarienchitinase – Auffindung und Charakterisierung, Institut für Biochemie, Charité – Universitätsmedizin Berlin (Prof. Dr. W. Höhne), Note: ‚magna cum laude‘

  • 2009–2012: Zahnarzt, Banbury Dental Practice, 35 High Street, Banbury, Oxfordshire, Vereinigtes Königreich

  • 2012–2013: Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie der Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

  • 2013: Oberarzt, Abteilung für Zahnerhaltung und Präventivzahnmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin

  • seit 2015: Editorial Board des Journal of Dental Research

  • seit 2015: Sprecher des Fachbereichs Zahnmedizin und Vorstand im Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM)

  • seit 2015: Stellvertretender Abteilungsleiter, Abteilung für Zahnerhaltung und Präventivzahnmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin

  • 2015: Venia Legendi für das Fach Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde durch die Medizinische Fakultät der Charité – Universitätsmedizin Berlin

  • Spezialist für restaurative und präventive Zahnmedizin (Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung)

Literaturverzeichnis

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29. Schwendicke, F., et al., Effects of Taxing Sugar-Sweetened Beverages on Caries and Treatment Costs. J Dent Res, 2016. 95(12): p. 1327-1332.

Univ.-Prof. Dr. Falk Schwendicke

Direktor der Abteilung für Orale
Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde
und Versorgungsforschung,
CharitéCentrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, MVZ Charité
Zahnheilkunde Charité –
Universitätsmedizin Berlin
Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin

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