Interview mit Dr. Dr. Markus Tröltzsch

Corona zeigt: Zahnmedizin muss akademisch bleiben!

Die Corona-Krise hält die Welt in Atem. Die Gesundheitsberufe sind derzeit besonders gefordert – darunter auch die Zahnärzte. In Deutschland ist der Großteil der Zahnärzte niedergelassen in eigener Praxis. MKG-Chirurg Dr. Dr. Markus Tröltzsch aus Ansbach berichtet, wie seine Praxis mit der Infektion umgeht.

Herr Dr. Tröltzsch, welche Art Praxis betreiben Sie mit wie vielen Behandlern?

Dr. Dr. Markus Tröltzsch:

Wir haben eine MKG-chirurgische Praxis. Wir machen aber auch ganz normale Zahnheilkunde mit insgesamt vier Behandlern.

Was sind Ihre Schwerpunkte?

60 bis 70 Prozent unseres Tagesbetriebs sind chirurgische Behandlungen. Wir sind spezialisiert auf Augmentationschirurgie bei nichtgesunden Patienten, damit einher geht auch die Implantologie, die Bisphosphonat-Chirurgie, die operative und nichtoperative Therapie von Kieferhöhlen- und Nasen-Nebenhöhlenerkrankungen sowie die kleine Onkologie, insbesondere der Gesichtshaut.

Was heißt „bei nichtgesunden Patienten“?

Na, zum Beispiel bei Patienten, die eine Herzproblematik haben oder schwere Diabetiker sind, oder Tumorpatienten oder Patienten, die multiple Vorerkrankungen haben, bis zu Bisphosphonat-Patienten. Wir behandeln auch viele Dialyse-Patienten. Da viele die Behandlung von schwerer erkrankten und multimorbiden Patienten berechtigterweise sehr vorsichtig angehen, werden uns daher auch von weiter weg Fälle zugewiesen.

Haben Sie entsprechend Belegbetten?

Ja, genau. Wir haben Betten im Krankenhaus ...

… stehen die Ihnen derzeit zur Verfügung?

Aufgrund der Corona-Pandemie ist alles, was irgendwie aufschiebbar ist, an kleinen Häusern einfach kapazitätsmäßig nicht mehr gegeben. In Bayern gilt ja gerade das Katastrophenrecht. Dementsprechend ist die Anzahl der OPs, die zur Verfügung gestellt werden, extrem reduziert. Alles wird – meiner Meinung nach zu Recht – darauf vorbereitet, Kapazitäten für Covid-19-Fälle zu schaffen, die hoffentlich nicht im befürchteten Ausmaß auf uns zukommen werden.

Wenn Sie sagen „aufschiebbar“, ist es eine auffschiebbare Behandlung, wenn der Patient einen Tumor hat?

Niemals! Das ist gerade das Dilemma, in dem wir stecken. Es ist eine Sache, wenn ein kleines Haus auf Notbetrieb herunterfährt und einfach die Ressourcen nicht mehr hat, aber an den großen Häusern muss es ja weitergehen. Hier zeigt sich eine der großen Gefahren der massenhaften Ausbreitung von SARS-CoV-2: Das Gesundheitssystem könnte überlastet werden.

Können Sie in Ihrer Praxis weiterbehandeln – trotz des Mangels in der Versorgung mit Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln?

Wir verfolgen die Entwicklung für SARS-CoV-2-Infektionen seit Januar. Da wir selber sehr viel unterwegs sind und da wir durch die genannten Behandlungsschwerpunkte auch Patienten haben, die von außerhalb kommen, haben wir den Selbstschutz bereits im Auge gehabt und seit Ende Januar angefangen, unsere Ressourcen aufzustocken. Wir sind also ausgerüstet. Auch die Praxen in unserer Nachbarschaft sind – soweit ich das überblicke – gut gerüstet, weil man große Gebinde kauft. Und für uns als Praxis gilt, dass COVID-19 nicht die erste Infektion ist, die uns gefährlich werden kann, da gibt es genug andere.

Dr. med. Dr. med. dent. Markus Tröltzsch 

FACHZAHNARZT FÜR ORALCHIRURGIEFACHARZT FÜR MUND-, KIEFER- UND GESICHTSCHIRURGIE

2016 wurde Dr. Dr. Markus Tröltzsch zum Vorsitzenden der Akademie Praxis und Wissenschaften (APW) der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) gewählt. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich Augmentation. Seit März 2017 ist er in Ansbach niedergelassen.

Wie sehr COVID-19 überhaupt ein Infektionsproblem bei richtig angewendeter Schutzausrüstung nach RKI darstellt, ist überhaupt noch nicht klar. Die klinischen Erkenntnisse aus Wuhan, die Forschung, die wir zur Schutzwirkung der verschiedenen Maskenarten bei anderen Viren kennen, all das deutet darauf hin, dass wir bei der Behandlung von Patienten, die klinisch gesund sind, mit unserer Schutzausrüstung gut aufgestellt sind. Aber es gibt Infektionskrankheiten, wie Tuberkulose oder Ebola, die gehen wirklich glatt durch, und entsprechend haben wir auch Vollschutzausrüstung vorrätig.

Wollen Sie weiterbehandeln?

Wir wollen und wir müssen weiterbehandeln. Beides. Erstens ist es so, dass die Erkrankung absolut ernst zu nehmen ist, aber der Behandlungsbedarf der Patienten, die in unsere Praxis kommen, ja nicht verschwindet. Und wir müssen uns die Frage stellen: Wie lange wird uns Corona begleiten? Nach allem, was wir aktuell wissen, wird es keine Zeit ohne Corona geben. Es wird nur noch eine Zeit mit Corona geben. Dementsprechend muss man ganz ehrlich sein und sagen: Es gibt Behandlungen, die lassen sich verschieben, aber für viele Behandlungen gilt das eben nicht, und die werden gemacht, wenn sie notwendig und indiziert sind. Und da wollen und müssen wir trotz Krise für unsere Patienten weiter da sein.

Ich habe persönlich großen Respekt für alle Kollegen, die in dieser kritischen und teils unsicheren Zeit ihrer Verpflichtung den Patienten gegenüber weiter nachkommen. Welche Behandlungen gemacht werden und welche nicht, sollte eine individuelle Abwägung der Risikofaktoren, der Dringlichkeit der Behandlung selbst und der lokalen Gegebenheiten sein, die Behandler und Patient gemeinsam treffen. Pauschallösungen sind nicht sinnvoll und werden den Bedürfnissen der Patienten auf gute zahnmedizinische Behandlung nicht gerecht.

Was wird sich aus der von Ihnen gemachten Erfahrung für Ihre Praxis nach der Krise ändern?

Wir haben den Durchlauf der Patientenzahlen deutlich gedrosselt, weil wir wissen – und das ist eben die Besonderheit an SARS-CoV-2 –, dass es zwar, wie eine normale Grippe auch, durch Tröpfcheninfektion übertragen werden kann, aber natürlich eine sehr hohe Infektiosität hat und die Bevölkerung nicht durchimmunisiert ist. Es wird dauern, bis das erreicht ist – und bis dahin werden wir die Takte, die wir früher gefahren haben, so nicht mehr fahren können. Wir haben die Anzahl der Patienten pro Tag und Behandler erheblich reduziert. Es gibt momentan gar keinen Patienten im Wartezimmer, der warten muss. Es gibt klar definierte Zeiten, in denen wir Notfälle direkt annehmen können. Da ist von vornherein kein Patient bestellt.

Den „alten“ Ablauf, der in Deutschland im internationalen Vergleich doch eine größere Anzahl Patienten pro Behandler beinhaltete, den werden wir so nicht weiter aufrechterhalten können. Mit dem Ausbruch in Italien haben wir unsere Einbestellungen bereits ausgedünnt und mit dem Ausbruch in Deutschland haben wir dann massiv gebremst und dadurch pro Behandler deutlich weniger Patienten pro Tag.

Was wird sich für die zahnmedizinische Versorgungslandschaft Ihrer Meinung nach ändern?

Das Bewusstsein, dass wir ständig in einem potenziell infektiösen Raum unterwegs sind, ist jetzt bei den Zahnärzten angekommen. Das war schon immer so, hat sich aber in dieser Krise noch manifestiert. Die Schutzmaßnahmen in der Praxis – Mundschutz, Handschuhe, Einmalhaube, Brille, eventuell Einmalmäntel – werden auf hohem Niveau bleiben und wir werden sehen, was da noch auf uns zukommt. Im Schnitt wird der Durchlauf in den Praxen geringer, natürlich wird dadurch auch der Umsatz geringer, gleichzeitig wird der Bedarf an Schutzausrüstung höher werden. All das wird natürlich in der Zukunft berücksichtigt werden müssen.

Quo vadis, Zahnarzt? Welchen Weg wird die Zahnmedizin aus Ihrer Sicht in Zukunft einschlagen und welche Bedeutung hat das für den Berufsstand?

Da hat Prof. Frankenberger [Anm. d. Red.: Prof. Dr. Roland Frankenberger ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, DGZMK] etwas sehr Bezeichnendes gesagt: Das große M in der ZahnMedizin werde jetzt deutlicher nach vorne treten, sprich die Zahnmedizin wird noch näher als bisher an die Medizin heranrücken. Der Selbstschutz und die Situation in der Mundhöhle sind nicht so easy, wie viele bisher gedacht haben.

Kann diese Erfahrung den Beruf des Zahnarztes – mit Blick auf seine Bedeutung als medizinisch-akademischer Beruf – stärken? Ich schaue da gerade auch auf die Niederlande, wo die Politik versucht, die Behandlungskompetenz vom Zahnarzt auf andere Berufsgruppen zu verlagern?

Zunächst: Den Weg, den die Niederlande die vergangenen zehn Jahre gesundheitspolitisch gegangen sind, finde ich nicht nachvollziehbar und teilweise scheint es sogar fahrlässig.

Der Zahnarzt heißt so, weil es sich um eine Profession handelt, die für die orale Gesundheit zuständig ist, also im Grunde ist der Zahnarzt der Facharzt für die Mundhöhle. Etwas anderes gibt es tatsächlich nicht zu sagen. Es kann nicht sein, dass dem Zahnarzt die Kompetenz immer weiter abgesprochen und behauptet wird, sie könne in nicht-akademische Bereiche ausgelagert werden. Gerade in Ländern, in denen der Zahnarzt immer mehr auf den Dentisten reduziert wurde und eine Nicht-Akademisierung eingesetzt hat, muss jetzt jedem klar sein, dass dies ein Irrweg ist.

In einer Welt, in der sich neue Infektionskrankheiten sehr schnell weiterverbreiten, die so schnell nicht kontrollierbar sind, treten zwangsläufig Versorgungsproblematiken auf. Zusammen mit der entsprechenden Mikrobiologie und mit dem Wissen um infektiöse Problematiken, wird tatsächlich ein an die Medizin angelehntes Studium benötigt. Das lässt sich nicht einfach in einem Wochenendkurs nachholen. Eine der Konsequenzen für die Niederlande muss sein, das zu erkennen und den Weg zurückzufinden, um die Kompetenzen an die Zahnärzte zurückzugeben und diese Verbreiterung des Feldes aufzugeben.

Zahnmedizin ist und bleibt ein akademisches Fach und die aktuelle Krise zeigt einmal mehr, dass die enge Verquickung mit der Medizin alltagsnotwendig für jeden Zahnarzt und lebensnotwendig für jeden Patienten ist.

Das Interview führte Anita Wuttke, München, freie Journalistin und Chefredakteurin des EDI Journals.

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