zm-Serie: Täter und Verfolgte im „Dritten Reich“

Susanne und Fritz Duschner – Dentisten in Wien, gescheiterte Flucht, deportiert und ermordet

Heinz Duschner, Thorsten Halling
,
Matthis Krischel
Die Dentisten Susanne und Fritz Duschner gehörten zu den insgesamt 200.000 jüdischen Wienern, die ab 1938 verfolgt wurden und von der Deportation bedroht waren. Die rassistische und politische Verfolgung im Nationalsozialismus von österreichischen Zahnärzten, besonders aber von Zahntechnikern, ist noch nicht umfassend erforscht. An dieser Stelle soll die Reihe zu verfolgten Zahnbehandlern um eine Wiener Perspektive erweitert werden.

Anfang des 20. Jahrhunderts war die Sorge um die Mundgesundheit der österreichischen Bevölkerung einerseits marginal, andererseits in den Händen einer Vielfalt von selbst ernannten Zahnkünstlern, Zahnartisten, Zahntechnikern oder Dentisten – und nur von wenigen akademisch ausgebildeten Zahnärzten. Dies lag vor allem daran, dass seit der Mitte des 19. (und fast bis ans Ende des 20.) Jahrhunderts die Zahnmedizin als fachärztliche Spezialisierung für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde auf einem Studium der Humanmedizin aufbaute.1 Gleichzeitig wurde der Berufsstand der Dentisten – handwerklich ausgebildete Praktiker, die ähnliche Aufgaben wie Zahnärzte ausübten – in Österreich erst 1975 auf einen „Aussterbeetat“ gesetzt.2

Susanne (1900–1942) und Fritz Duschner (1897–1943) wohnten mit ihren beiden Kindern, Gertrud (1922–2005) (Abb. 2) und Josef (1927–1942) in den „Wiener Gemeindebauten“ und hatten dort auch ihr „Zahnatelier“. Nach österreichischem Recht waren beide „befugte Zahntechniker“ (mit Dentisten vergleichbar). Sie legten ihre Prüfung in den Jahren 1926 beziehungsweise 1921 ab. Ihre Zulassungsurkunden (Abb. 1) beziehen sich auf zwei von der Nationalversammlung beschlossene Gesetze:

1) das Gesetz „betreffend die Regelung der Zahntechnik“ vom 13. Juli 1920. Nach dreijähriger Lehre und „mindestens sechsjähriger Verwendung als zahntechnische Hilfskraft“ bei einem „befugten Arzt“ war damit die Befugnis zu allen zahnärztlichen Tätigkeiten verbunden, bis auf „die Vornahme von blutigen operativen Eingriffen sowie die Entfernung von Zähnen, die Vornahme der allgemeinen Narkose und der Injektionsanästhesie“ und

2) das Bundesgesetz vom 15. April 1921 (Zahntechnikergesetz), nach dem waren „befugte Zahntechniker, welche sich einer praktischen Prüfung vor einem Kammer-Gremium unterziehen [...] auch berechtigt die dem Zahnersatz hinderlichen Zähne und Wurzeln unter lokaler Anästhesie zu entfernen“.

Fritz war Mitglied der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) und Obmann der Kammer sozialdemokratischer Zahntechniker. Schon früh erkannte Fritz die Gefahren des heraufziehenden Nationalsozialismus und tauschte sich darüber brieflich etwa mit dem Sozialdemokraten, Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat und späteren General auf republikanischer Seite im Spanischen Bürgerkrieg Julius Deutsch aus.3

Von den Rassegesetzen sofort betroffen

Mit dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 verschlechterte sich die Situation für Oppositionelle, Sozialdemokraten und „Nichtarier“ schlagartig. Die einmarschierenden deutschen Truppen wurden von den Österreichern nicht bekämpft, vielmehr wurden sie von Teilen der Bevölkerung mit Jubel empfangen.4 Ab diesem Zeitpunkt galten auch in Österreich die deutschen Rassegesetze, von denen die Familie Duschner sofort betroffen war.

Bereits Ende Mai wurde Fritz Duschner verhaftet und als Jude und Mitglied der SDAP zunächst im Konzentrationslager Dachau bei München und ab September im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar inhaftiert. Während dieser Zeit, im Juni 1938, hatte der Wiener Vizebürgermeister und SA-Brigadeführer Thomas Kozich verfügt, dass alle als „nicht-arisch“ klassifizierten Mieter die Wiener Gemeindebauten verlassen mussten. Die begehrten Wohnungen sollten „verdienten Parteigenossen“ zugutekommen.5 Auch Susanne Duschner und die beiden Kinder wurden aus ihrer Wohnung „delogiert“ und mussten in eine Sammelunterkunft umziehen, wo die Familie gemeinsam ein Zimmer bewohnte. Am letzten freiwillig gewählten Wohnhaus im 11. Bezirk, Lorystraße 38, erinnert seit 1999 eine Gedenktafel an die Familie Duschner.6

Im September 1938 entzog die zuständige Sanitätsbehörde Susanne Duschner das Recht, als Zahntechnikerin zu praktizieren. Offenbar fand sich jedoch ein christlicher Zahnarzt, der sie noch für eine Zeit bei sich arbeiten ließ.7 Im Februar 1939 wurde Fritz Duschner unter der Auflage aus dem Konzentrationslager entlassen, sich wöchentlich bei der Polizei zu melden und in absehbarer Zeit zu emigrieren. Der Familie gelang es zwar, Ausreisepapiere nach Shanghai zu beschaffen, eine Krankheit und Operation von Susanne verhinderte jedoch die Emigration. Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen im September 1939 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden die Ausreisepläne über See obsolet.

Im Oktober 1939 wurde Fritz von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) darüber informiert, zur „Umsiedlung“ nach Nisko im „Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete“ vorgesehen zu sein. Adolf Eichmann, damals Leiter der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien, machte diese Aktion zu seinem Projekt. Er versicherte dem Leiter der IKG Wien, Dr. Löwenherz, dass die Umsiedlung in „humanitärer Weise“ durchgeführt werde. Dies sei für Juden ein Weg in ein neues, freies und autonomes Leben ohne die Restriktionen des Nationalsozialismus. Zunächst sollten die Männer ein Lager aufbauen, Frauen und Kinder könnten folgen, sobald Nisko dafür vorbereitet sei. Heute wird der Nisko-Plan als Vorstufe der „Endlösung der Judenfrage“, also des industrialisierten Massenmords, verstanden.8 Hieran arbeitete Eichmann 1942 im Rahmen der Wannseekonferenz in entscheidender Rolle mit.

Deportation, Flucht und Tod im Gulag

Insgesamt waren Deportationen von mehr als 10.000 Wiener Juden nach Nisko geplant. Für den ersten Transport mit etwa 1.000 Personen am 20. Oktober 1939 wurden speziell Handwerker, Ärzte und ehemalige Offiziere aus dem Ersten Weltkrieg ausgewählt. Sie sollten außer ihrem Werkzeug beziehungsweise den Ärztetaschen Kleidung für vier Wochen mitbringen. Dem Transportzug wurden offene und geschlossene Güterwagen mit Baumaterial angehängt. Spätestens als an der polnischen Grenze Beamte der Gestapo zustiegen und den Männern Ausweispapiere und Geld abnahmen, wurde der wahre Charakter der Deportation deutlich.

Durch Machtkämpfe innerhalb der NS-Bürokratie und Konflikte mit der Wehrmacht, die die Züge für sich beanspruchte, erreichten jedoch nur wenige Züge im Oktober 1939 Nisko. Dort angekommen wurden die Deportierten, bis auf wenige Ausnahmen, von der SS weggejagt und mit Erschießen bedroht, falls sie sich nicht in kurzer Zeit zehn Kilometer entfernt hätten.

Unter der Führung der mitgereisten Weltkriegsveteranen wurden Marschgruppen gebildet, um sich bis zur russischen Grenze durchzuschlagen. Nach zehntägigem, entbehrungsreichem Marsch erreichte Fritz Duschner das russisch besetzte Lemberg (heute Lwiw, Ukraine).

Im März 1940 schrieb Fritz von dort seiner Frau Susanne nach Wien mit der Bitte, für ihn einen Reisepass und andere benötigte Dokumente zu beantragen. Die Familie beabsichtigte zu diesem Zeitpunkt eine Emigration in die USA. Dies machte Duschner in den Augen des sowjetischen Innenministeriums verdächtig; wie viele Flüchtlinge zu dieser Zeit wurde er als potenzieller Spion angesehen. Er geriet erneut in eine Verfolgungsspirale. Als „Internierter“ und vermutlich auch wegen vorgeschobener Verbrechen gegen den Staat wurde er 1.600 Kilometer nach Nordosten ins Arbeitslager Unzhlag (bei Nischni Nowgorod) deportiert. Er arbeitete als Dentist im Lagerhospital. Dort traf er die Röntgenschwester Hilda Vitzthum, die in ihrem Buch die Begegnung mit ihm beschreibt:

„Während meiner ersten Tage im Hospital erregte ein Mann mein besonderes Interesse. [...] Als ich kurz darauf in die Zahnklinik musste, traf ich diesen Mann. [...] Fritz war untröstlich, da er niemanden hatte, mit dem er sprechen konnte, er verstand kein Wort russisch. [...] Als ich später das Lager verlassen musste, drückte mir Fritz Duschner als Abschiedsgeschenk, ein Stück Seife in die Hand, das er sich von seiner Ration abgeknausert hatte. [...] Als ich ihm ein letztes Mal zuwinkte [...] sah ich das traurige Gesicht von Fritz. Ich empfand nur zu stark, dass es für ihn schlecht enden würde. [...] Etwas später erfuhr ich, dass kurz nach meiner Abreise Fritz in ein nahes Zweiglager verlegt wurde, wo er schwere landwirtschaftliche Arbeit verrichten musste. Duschner war für eine solche Arbeit nicht gemacht und wurde bald todkrank in unser Hospital zurückgebracht, wo er starb.“9

Gertrud Duschner konnte nach Palästina fliehen

Im November 1939 gelang es der Tochter Gertrud Duschner mit dem sogenannten „Kladovo-Transport “ aus Wien zu fliehen, bei dem es sich um einen illegalen jüdischen Flüchtlingstransport mit dem Ziel Britisches Mandatsgebiet Palästina handelte. Mit etwa 200 Jugendlichen und nach einer zwei Jahre dauernden, dramatischen Flucht, teils über die Donau, teils mit dem Zug erreichte sie das Ziel, während etwa 600 Personen des Transports von Truppen der Wehrmacht gefangen genommen und in der Folge ermordet wurden.10 Gertrud Duschner lebte in einem Kibbuz, heiratete einen ungarischen Juden und wanderte in die USA aus. Sie studierte Psychologie, promovierte und arbeitete 35 Jahre als Professorin. Als sie 2005 verstarb, hatte sie drei Kinder und acht Enkel.11 1999 übergab sie der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ihre Zeitzeugenaussagen.

Nach der Deportation von Fritz und der Flucht von Gertud mussten Susanne Duschner und ihr Sohn Josef in eine andere Sammelunterkunft nahe dem etwas abgelegenen Wiener Vorort-Bahnhof Aspang umziehen, von wo Wiener Juden bei Nacht deportiert wurden. Ab November 1941 fanden zehn Transporte mit jeweils 1.000 Juden in das Vernichtungslager Maly Trostinez (bei Minsk) statt. Susanne und Josef waren auf dem letzten der Transporte, Nr. 44, Zugnummer 230, der laut Fahrplan am 5. Oktober 1942 um 22.22 Uhr abging. Die ersten beiden Tage waren sie in Personenwagen dritter Klasse eingepfercht, mit dem Überschreiten der Grenze nach Polen wurden ihnen die letzten Habseligkeiten geraubt und sie wurden in Viehwaggons „umwagoniert“.

Abtransport und Ermordung

Von nun an gab es bis zur Ankunft in Maly Trostinez am 9. Oktober weder Verpflegung noch Wasser. Alte und kranke Deportierte starben so bereits während des Transports. Der Zug fuhr auf einer von deutschen Eisenbahn-Pionieren errichteten letzten Teilstrecke in den Wald von Blagovscina, wo Susanne Duschner und ihr 15-jähriger Sohn am Rand einer Grube erschossen wurden. Andere Deportierte wurden in Gaswagen ermordet.12

Maly Trostinec muss als „Blaupause“ für die spätere Massenvernichtung jüdischen Lebens in den Vernichtungslagern gelten. Es wurden Tötungstechniken erprobt und die Ermordeten systematisch ausgeplündert; Adolf Eichmann war teils persönlich anwesend.

Im Juni 2018 besuchten die Bundespräsidenten Österreichs und Deutschlands, Alexander van der Bellen und Walter Steinmeier, Maly Trostinec, wo seit 2015 eine neue Gedenkstätte entstanden ist. Der Ort ist insbesondere in der österreichischen Erinnerungskultur verankert, weil dort mehr als 10.000 deportierte Wiener Jüdinnen und Juden ermordet wurden, mehr als in jedem anderen Vernichtungslager. Zivilgesellschaftliche Erinnerungsarbeit geht auch von dem Verein IM-MER (Initiative Malvine – Maly Trostinec erinnern) aus.13

Dr. Matthis Krischel

Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin

Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf

matthis.krischel@hhu.de

Fußnoten:

1 Aus diesem Grund kann für die Geschichte der Verfolgung von österreichischen Zahnärzten auf die Literatur zur Verfolgung von Ärzten dort zurückgegriffen werden, vgl. etwa Czech/Weindling, 2017;

2 Groß, 2019, 39

3 Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung,. SD Parteistellen, Karton 120;

4 Spann, 1997;

5 Exenberger/Koss/Ungar-Klein, 1996;

6 https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Gedenktafel... (25.5.2020);

7 Yad Vashem: „Pages of Testimony“ Tirzah Schutzengel (ledig Gertrud Duschner), vom 18.06.1999;

8 Goshen, 1981, 74–96

9 Vitzthum, 1984;

10 Anderl/Manoschek, 1993;

11 O.A. (2005) Nachruf Tirzah Schutzengel (https://www.legacy.com/obituaries/northjersey/obituary.aspx?n=tirzah-schutzengel&pid=15909131, 25.5.2020);

12 Rentrop, 2011;

13 http://www.im-mer.at/ (28.5.2020)

Heinz Duschner, Thorsten Halling

Dr. Matthis Krischel

Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf

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