Leitartikel

„Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ – eine besondere Erfolgsgeschichte

Wolfgang Eßer
,
Dietmar Oesterreich

Während der Corona-Krise sind andere Themen aus dem Blickpunkt der politischen Diskussion geraten. Deshalb möchten wir an einen Bereich der Versorgung erinnern, der der Zahnärzteschaft seit mehr als zehn Jahren am Herzen liegt und der sich zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt hat, auf die wir stolz sein können. Mit dem Konzept „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ – AuB-Konzept – haben BZÄK und KZBV im Jahr 2010 gemeinsam wissenschaftlich abgesicherte Vorschläge unterbreitet, um die zahnärztliche Versorgung älterer Menschen, Pflegebedürftiger und Menschen mit Beeinträchtigung systematisch zu verbessern. Gerade für diese vulnerablen Patientengruppen ist Mundgesundheit sehr wichtig, da sie häufig nicht mehr in der Lage sind, für ihre Mundgesundheit selbstständig und eigenverantwortlich zu sorgen.

Unser beispielgebendes Konzept ist eine Blaupause für ein abgestimmtes und zielführendes Vorgehen des Berufsstands, weil es die Betreuung dieser Menschen fokussiert in den Blick nimmt. Bis das Konzept schrittweise in der Versorgung ankam, war auf Bundes- und Landesebene allerdings viel Beharrlichkeit im politischen Prozess erforderlich.

So können seit 2014 spezielle Kooperationsverträge mit Pflegeeinrichtungen geschlossen werden, die Zahnärztinnen und Zahnärzten eine Betreuung der Patienten vor Ort ermöglichen. Deren Zahl ist im Vorjahresvergleich weiterhin gestiegen: Ende 2019 wurden bereits 5.400 Verträge gezählt. Daraus ergibt sich ein Abdeckungsgrad bei stationären Einrichtungen von bundesweit 37 Prozent. Damit haben auch die Zahlen der aufsuchenden Betreuung nochmals um 4,6 Prozent auf 979.500 Besuche zugenommen. Der positive Trend setzt sich also fort.

Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz wurde der Gemeinsame Bundesausschuss dann im Jahr 2015 mit der Regelung zahnärztlicher Präventionsleistungen für diese Patientengruppe beauftragt. Im Jahr 2017 verabschiedete der G-BA dann auf Betreiben der KZBV die Erstfassung der Richtlinie nach § 22a SGB V: Damit sind nach der aufsuchenden Versorgung auch wesentliche Leistungen zur Prävention rechtlich verankert, die von der Zahnärzteschaft im G-BA maßgeblich miterarbeitet wurden.

Neben regelhaften Vorsorgeuntersuchungen werden diese zusätzlichen Leistungen von den Krankenkassen einmal im Kalenderhalbjahr übernommen – in der Praxis, in der Wohnung oder in Pflegeheimen. Die Angebote tragen dazu bei, das Risiko für Karies-, Parodontal- und Mundschleimhauterkrankungen zu senken sowie die Mundgesundheit zu verbessern oder zu erhalten.

Der Bedarf für die Fokussierung auf ältere Patienten und Menschen mit Beeinträchtigung wird von der Wissenschaft gestützt: Nach Daten der DMS V haben ältere Menschen mit Pflegebedarf eine höhere Karieserfahrung, weniger eigene Zähne und häufiger herausnehmbaren Zahnersatz als die gesamte Altersgruppe älterer Senioren (75- bis 100-Jährige). Knapp 30 Prozent der Menschen mit Pflegebedarf sind nicht mehr in der Lage, Zähne und Prothesen eigenständig zu reinigen. Mit zunehmendem Pflegebedarf steigt der Anteil deutlich an. 60 Prozent der Pflegebedürftigen können auch keinen Zahnarzttermin mehr organisieren und die Praxis aufsuchen.

Infolge des demografischen Wandels verlagern sich Zahnerkrankungen ins hohe Alter und dabei besonders auf Menschen mit Pflegebedarf. Diese Verlagerung bringt unweigerlich neue Herausforderungen für unsere Therapie- und Versorgungskonzepte mit sich. Die Versorgung muss noch stärker als bislang auf die genannten Patientengruppen ausgerichtet werden. Der Berufsstand ist gefordert, sich weiter dem politischen, gesellschaftlichen und fachlichen Diskurs im Bereich Pflege und Betreuung zu stellen. So gilt es auch, dem überdurchschnittlich hohen Mehraufwand (zeitlich, personell, instrumentell, apparativ) bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit schweren und komplexen Behinderungen Rechnung zu tragen. Nur so werden wir dem Anspruch gerecht, die Mundgesundheit aller Menschen über den gesamten Lebensbogen hinweg zu fördern und zu verbessern.

Wir betonen deshalb weiterhin unseren Gestaltungsanspruch bei der Förderung von Gesundheitskompetenz vulnerabler Gruppen. Das haben wir zuletzt bei der Fachtagung „Gesundheitskompetenz im digitalen Zeitalter“ des BMG öffentlich deutlich gemacht.

Zeit für eine Bilanz: Die Zahnärzteschaft hat die Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Beeinträchtigung nachhaltig verbessert. Diesen Weg gehen wir auch künftig weiter. Die Erfolgsgeschichte des Konzepts „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ zeigt, dass es uns trotz Widerständen gelingt, entscheidende Impulse für die Weiterentwicklung der Versorgung zu setzen. Wir erreichen als Berufsstand immer dann viel, wenn wir geschlossen auftreten. Auch dafür steht das AuB-Konzept – von der Entstehung bis zur Umsetzung.

Dr. Wolfgang Eßer,

Vorsitzender des Vorstands der KZBV

Prof. Dr. Dietmar Oesterreich,           

Vizepräsident der BZÄK

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